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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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deutsche Gesetz sollte zum württembergischen Landesgesetz erhoben werden, son¬
dern dasjenige der großen Nation, und zwar ging die überwiegend aus
"Patrioten" bestehende Commission mit deutscher Gründlichkeit auf die Quelle,
auf das Originalgesetz des französischen Convents von 1793 zurück, das in
seinen Einzelheiten getreu copirt wurde, während sie die teutonischen Be¬
zeichnungen, in deren Erfindung der norddeutsche Reichstag sich gefallen hatte,
verächtlich bei Seite schob. An die Spitze des Gesetzes aber wurde feierlich
folgender Artikel gestellt: "Ein Meter ist diejenige Längengröße, welche durch
das in Paris aufbewahrte metre ass aredivss bei der Temperatur des
schmelzenden Eises dargestellt wird." Die Patrioten der württembergischen
Kammer thaten sich dann nicht wenig daraus zu gut, daß sie dem Berliner
Platinstab ihre gründliche Mißachtung zu erkennen gegeben und ihrem Lande
nicht ein deutsches, sondern ein internationales Gesetz gegeben hatten.

Daß nun das Zollparlament jenen Antrag von Bamberger zum Be¬
schluß erhob, war die eine fatale Erfahrung, welche die süddeutsche Fraction
machen sollte, die andere noch empfindlichere war das Gelingen der Tarif¬
reform. Probst telegraphirte zu den letzten entscheidenden Sitzungen eilig
seine Landsleute herbei, die bis dahin größtenteils keine Lust zu der Reise
nach dem unerfreulichen Norden, gezeigt hatten, allein sie waren nicht mehr im
Stande, das Unglück abzuwenden. Unter diesen Umständen war es sehr
weise gewesen, daß die süddeutsche Fraction ihr berühmtes Festmahl, welches
die schwäbischen Demokraten mit den Herren v. Neurath, v. Windthorst,
v. Thüngen, Ewald u. s. w. brüderlich vereinigte, mehrere Tage vor jenen
Abstimmungen hielt. Denn nach demselben verkehrte sich ihre gehobene Stim¬
mung plötzlich in das Gegentheil. Der unschätzbare Werth des Prinzips der
Mehrheitsentscheidung, auf welchem die neue Zollvereinsverfassung beruht,
hatte sich zum erstenmale an einem großen Gegenstand bewährt. Mit dem "Ver¬
pfuschen" war es diesmal nichts gewesen. Müde und verdrossen kehrten die
schwäbischen Zollboten an den häuslichen Heerd zurück. Der obligate Feldzug.
den alljährlich der schwäbische Particularismus gegen das neue Deutschland
eröffnet -- seine Mittel erlauben ihm das -- hatte auch diesmal nichts zurück¬
gelassen, als das Gefühl einer beschämenden Niederlage und machtlosen Groll.

Wer aber an dem prachtvollen Morgen des 19. Juni im Hofe der Zol-
lernburg stand und die Hunderte und aber Hunderte von Männern aus
Schwaben überblickte, die im Glauben an das neue Deutschland festverbunden
sich hier zusammenfanden, der trug die fröhliche Ueberzeugung mit sich fort,
daß in dem Lande, über welches rings der Blick von dieser unvergleichlichen
Stätte schweift, eine neue Generation heraufzieht. -- ein glücklicheres Ge¬
schlecht, das nicht mehr von den Gefühlen des Hasses bestimmt wird, ein Ge¬
schlecht, dem noch viel Arbeit und mancher harte Strauß bevorsteht, dem aber

die Zukunft gehört, denn es ist -- die neue Generation.




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deutsche Gesetz sollte zum württembergischen Landesgesetz erhoben werden, son¬
dern dasjenige der großen Nation, und zwar ging die überwiegend aus
„Patrioten" bestehende Commission mit deutscher Gründlichkeit auf die Quelle,
auf das Originalgesetz des französischen Convents von 1793 zurück, das in
seinen Einzelheiten getreu copirt wurde, während sie die teutonischen Be¬
zeichnungen, in deren Erfindung der norddeutsche Reichstag sich gefallen hatte,
verächtlich bei Seite schob. An die Spitze des Gesetzes aber wurde feierlich
folgender Artikel gestellt: „Ein Meter ist diejenige Längengröße, welche durch
das in Paris aufbewahrte metre ass aredivss bei der Temperatur des
schmelzenden Eises dargestellt wird." Die Patrioten der württembergischen
Kammer thaten sich dann nicht wenig daraus zu gut, daß sie dem Berliner
Platinstab ihre gründliche Mißachtung zu erkennen gegeben und ihrem Lande
nicht ein deutsches, sondern ein internationales Gesetz gegeben hatten.

Daß nun das Zollparlament jenen Antrag von Bamberger zum Be¬
schluß erhob, war die eine fatale Erfahrung, welche die süddeutsche Fraction
machen sollte, die andere noch empfindlichere war das Gelingen der Tarif¬
reform. Probst telegraphirte zu den letzten entscheidenden Sitzungen eilig
seine Landsleute herbei, die bis dahin größtenteils keine Lust zu der Reise
nach dem unerfreulichen Norden, gezeigt hatten, allein sie waren nicht mehr im
Stande, das Unglück abzuwenden. Unter diesen Umständen war es sehr
weise gewesen, daß die süddeutsche Fraction ihr berühmtes Festmahl, welches
die schwäbischen Demokraten mit den Herren v. Neurath, v. Windthorst,
v. Thüngen, Ewald u. s. w. brüderlich vereinigte, mehrere Tage vor jenen
Abstimmungen hielt. Denn nach demselben verkehrte sich ihre gehobene Stim¬
mung plötzlich in das Gegentheil. Der unschätzbare Werth des Prinzips der
Mehrheitsentscheidung, auf welchem die neue Zollvereinsverfassung beruht,
hatte sich zum erstenmale an einem großen Gegenstand bewährt. Mit dem „Ver¬
pfuschen" war es diesmal nichts gewesen. Müde und verdrossen kehrten die
schwäbischen Zollboten an den häuslichen Heerd zurück. Der obligate Feldzug.
den alljährlich der schwäbische Particularismus gegen das neue Deutschland
eröffnet — seine Mittel erlauben ihm das — hatte auch diesmal nichts zurück¬
gelassen, als das Gefühl einer beschämenden Niederlage und machtlosen Groll.

Wer aber an dem prachtvollen Morgen des 19. Juni im Hofe der Zol-
lernburg stand und die Hunderte und aber Hunderte von Männern aus
Schwaben überblickte, die im Glauben an das neue Deutschland festverbunden
sich hier zusammenfanden, der trug die fröhliche Ueberzeugung mit sich fort,
daß in dem Lande, über welches rings der Blick von dieser unvergleichlichen
Stätte schweift, eine neue Generation heraufzieht. — ein glücklicheres Ge¬
schlecht, das nicht mehr von den Gefühlen des Hasses bestimmt wird, ein Ge¬
schlecht, dem noch viel Arbeit und mancher harte Strauß bevorsteht, dem aber

die Zukunft gehört, denn es ist — die neue Generation.




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[0043] deutsche Gesetz sollte zum württembergischen Landesgesetz erhoben werden, son¬ dern dasjenige der großen Nation, und zwar ging die überwiegend aus „Patrioten" bestehende Commission mit deutscher Gründlichkeit auf die Quelle, auf das Originalgesetz des französischen Convents von 1793 zurück, das in seinen Einzelheiten getreu copirt wurde, während sie die teutonischen Be¬ zeichnungen, in deren Erfindung der norddeutsche Reichstag sich gefallen hatte, verächtlich bei Seite schob. An die Spitze des Gesetzes aber wurde feierlich folgender Artikel gestellt: „Ein Meter ist diejenige Längengröße, welche durch das in Paris aufbewahrte metre ass aredivss bei der Temperatur des schmelzenden Eises dargestellt wird." Die Patrioten der württembergischen Kammer thaten sich dann nicht wenig daraus zu gut, daß sie dem Berliner Platinstab ihre gründliche Mißachtung zu erkennen gegeben und ihrem Lande nicht ein deutsches, sondern ein internationales Gesetz gegeben hatten. Daß nun das Zollparlament jenen Antrag von Bamberger zum Be¬ schluß erhob, war die eine fatale Erfahrung, welche die süddeutsche Fraction machen sollte, die andere noch empfindlichere war das Gelingen der Tarif¬ reform. Probst telegraphirte zu den letzten entscheidenden Sitzungen eilig seine Landsleute herbei, die bis dahin größtenteils keine Lust zu der Reise nach dem unerfreulichen Norden, gezeigt hatten, allein sie waren nicht mehr im Stande, das Unglück abzuwenden. Unter diesen Umständen war es sehr weise gewesen, daß die süddeutsche Fraction ihr berühmtes Festmahl, welches die schwäbischen Demokraten mit den Herren v. Neurath, v. Windthorst, v. Thüngen, Ewald u. s. w. brüderlich vereinigte, mehrere Tage vor jenen Abstimmungen hielt. Denn nach demselben verkehrte sich ihre gehobene Stim¬ mung plötzlich in das Gegentheil. Der unschätzbare Werth des Prinzips der Mehrheitsentscheidung, auf welchem die neue Zollvereinsverfassung beruht, hatte sich zum erstenmale an einem großen Gegenstand bewährt. Mit dem „Ver¬ pfuschen" war es diesmal nichts gewesen. Müde und verdrossen kehrten die schwäbischen Zollboten an den häuslichen Heerd zurück. Der obligate Feldzug. den alljährlich der schwäbische Particularismus gegen das neue Deutschland eröffnet — seine Mittel erlauben ihm das — hatte auch diesmal nichts zurück¬ gelassen, als das Gefühl einer beschämenden Niederlage und machtlosen Groll. Wer aber an dem prachtvollen Morgen des 19. Juni im Hofe der Zol- lernburg stand und die Hunderte und aber Hunderte von Männern aus Schwaben überblickte, die im Glauben an das neue Deutschland festverbunden sich hier zusammenfanden, der trug die fröhliche Ueberzeugung mit sich fort, daß in dem Lande, über welches rings der Blick von dieser unvergleichlichen Stätte schweift, eine neue Generation heraufzieht. — ein glücklicheres Ge¬ schlecht, das nicht mehr von den Gefühlen des Hasses bestimmt wird, ein Ge¬ schlecht, dem noch viel Arbeit und mancher harte Strauß bevorsteht, dem aber die Zukunft gehört, denn es ist — die neue Generation. s*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/43>, abgerufen am 26.06.2024.