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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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ist, in welche die arglosen schwäbischen Seelen tückisch verlockt werden sollen.
Allein sie sind klug und weise, mannhaft stehen sie auf der Wacht und feier¬
lich ertönt der Protest von den Lippen ihres Sprechers, -- bis ihm bemerklich
gemacht wird, daß der von einem Süddeutschen gestellte Antrag lediglich das
Interesse Süddeutschlands selbst zu wahren bestimmt ist, das am meisten unter
der bisherigen Reichs- und Münzanarchie gelitten hat.

Allein consequent wenigstens war dieser Protest gegen die Anbahnung
einer deutschen Münzreform. Was geht auch den Württemberger eine deutsche
Münzreform an? Seine speciellen Interessen weisen ihn nicht auf Deutsch¬
land hin, sondern auf Frankreich und die Schweiz, und in jedem Falle kann
Württemberg nur als souveräner Staat bet solchen Verhandlungen sich be¬
theiligen. Soll also das Münzwesen reformirt werden, so kann nur eine
internationale, nicht aber eine deutsche EnquSte helfen. Ist doch Deutsch,
land gegenüber Württemberg in der fatalen Lage, nur eine Minderheit zu
bilden, deren Meinung, obwohl sie stets die bessere ist, stets rücksichtslos über-
stimmt werden kann. Sind aber Frankreich, Oestreich, Dänemark und wer
immer sonst noch von der Partie, so kann es darauf zählen, gute Bundes¬
genossen zu finden, denen es sich mit Vertrauen anschließen mag und die
ihm einen Rückhalt bieten, wenn 36 Millionen Deutscher sich herausnehmen
wollen, die 2 Millionen Schwaben zu majorisiren.

Dieses "internationale" Bewußtsein der schwäbischen Demokratie, wie
Becher es inmitten eines deutschen Parlaments ganz unbefangen entwickelte,
kam übrigens damals nicht zum erstenmale zum Vorschein, es gehört viel¬
mehr zu ihren charakteristischen Eigenthümlichkeiten. Ganz so äußerte es sich,
als auf dem letzten kurzen Landtag -- es war am 11. März -- die neue
Maß- und Gewichtsordnung zur Berathung stand. Die Einführung des
Metersystems war etwas selbstverständliches, nachdem die "Nachbarn in Nord,
Ost, Süd und West", um den unparteiischen Ausdruck des Grafen Bray zu
gebrauchen, damit vorgegangen waren, und die Annahme im norddeutschen
Reichstag überhob auch die legislativen Factoren des württembergischen
Staats der Nothwendigkeit, erst noch langjährige Vorstudien zumachen,
Enquötecommissionen einzusetzen, um nachher die Vorlage in dem herkömm¬
lichen Tempo die peinliche Reise durch die landesüblichen Instanzen hindurch
unternehmen zu lassen. Bei denjenigen Gesetzesarbeiten, welche in den Spuren
der norddeutschen Gesetzgebung wandeln, ist in der That eine raschere Be¬
handlung zu bemerken, als die sonst gewohnte, und es kommt dann in der
Regel nur darauf an, einzelne Wörter auf sinnreiche Art abzuändern, auch
unschädliche stylistische Eigenthümlichkeiten anzubringen, damit doch die Sou-
veränetät des eigenen Staats eelatant gewahrt bleibe. Bei jenem Gesetz
aber bot sich die sehr erwünschte Gelegenheit, in besonders imponirender
Weise die Unabhängigkeit von Berlin zu documentiren. Nicht das nord-


ist, in welche die arglosen schwäbischen Seelen tückisch verlockt werden sollen.
Allein sie sind klug und weise, mannhaft stehen sie auf der Wacht und feier¬
lich ertönt der Protest von den Lippen ihres Sprechers, — bis ihm bemerklich
gemacht wird, daß der von einem Süddeutschen gestellte Antrag lediglich das
Interesse Süddeutschlands selbst zu wahren bestimmt ist, das am meisten unter
der bisherigen Reichs- und Münzanarchie gelitten hat.

Allein consequent wenigstens war dieser Protest gegen die Anbahnung
einer deutschen Münzreform. Was geht auch den Württemberger eine deutsche
Münzreform an? Seine speciellen Interessen weisen ihn nicht auf Deutsch¬
land hin, sondern auf Frankreich und die Schweiz, und in jedem Falle kann
Württemberg nur als souveräner Staat bet solchen Verhandlungen sich be¬
theiligen. Soll also das Münzwesen reformirt werden, so kann nur eine
internationale, nicht aber eine deutsche EnquSte helfen. Ist doch Deutsch,
land gegenüber Württemberg in der fatalen Lage, nur eine Minderheit zu
bilden, deren Meinung, obwohl sie stets die bessere ist, stets rücksichtslos über-
stimmt werden kann. Sind aber Frankreich, Oestreich, Dänemark und wer
immer sonst noch von der Partie, so kann es darauf zählen, gute Bundes¬
genossen zu finden, denen es sich mit Vertrauen anschließen mag und die
ihm einen Rückhalt bieten, wenn 36 Millionen Deutscher sich herausnehmen
wollen, die 2 Millionen Schwaben zu majorisiren.

Dieses „internationale" Bewußtsein der schwäbischen Demokratie, wie
Becher es inmitten eines deutschen Parlaments ganz unbefangen entwickelte,
kam übrigens damals nicht zum erstenmale zum Vorschein, es gehört viel¬
mehr zu ihren charakteristischen Eigenthümlichkeiten. Ganz so äußerte es sich,
als auf dem letzten kurzen Landtag — es war am 11. März — die neue
Maß- und Gewichtsordnung zur Berathung stand. Die Einführung des
Metersystems war etwas selbstverständliches, nachdem die „Nachbarn in Nord,
Ost, Süd und West", um den unparteiischen Ausdruck des Grafen Bray zu
gebrauchen, damit vorgegangen waren, und die Annahme im norddeutschen
Reichstag überhob auch die legislativen Factoren des württembergischen
Staats der Nothwendigkeit, erst noch langjährige Vorstudien zumachen,
Enquötecommissionen einzusetzen, um nachher die Vorlage in dem herkömm¬
lichen Tempo die peinliche Reise durch die landesüblichen Instanzen hindurch
unternehmen zu lassen. Bei denjenigen Gesetzesarbeiten, welche in den Spuren
der norddeutschen Gesetzgebung wandeln, ist in der That eine raschere Be¬
handlung zu bemerken, als die sonst gewohnte, und es kommt dann in der
Regel nur darauf an, einzelne Wörter auf sinnreiche Art abzuändern, auch
unschädliche stylistische Eigenthümlichkeiten anzubringen, damit doch die Sou-
veränetät des eigenen Staats eelatant gewahrt bleibe. Bei jenem Gesetz
aber bot sich die sehr erwünschte Gelegenheit, in besonders imponirender
Weise die Unabhängigkeit von Berlin zu documentiren. Nicht das nord-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/42>, abgerufen am 06.07.2024.