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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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und zwingt sie in eine gemeinschaftliche Richtung. Indessen scheint im Som¬
mer 1815 eine Theilung Frankreichs unter mehrere Bourbons kaum ernstlich
erwogen zu sein, wenigstens kam sie nicht zur Berathung in den Conferenzen."

Bald nach dem Pariser Frieden zeigte in den Gedichten Jansemin's (von
den Franzosen Jasmin genannt) die occitanische Volkstümlichkeit einen Auf¬
schwung, der auch der französischen Akademie eine Anerkennung abnöthtgte.
Und wie wenig die so eingeleitete Bewegung eine Gasconnade war, erkennt
man am besten aus der Huldigung, welche jüngst der geniale Mistral dar¬
brachte, als er aus der Provence abgeordnet war, um der Enthüllung des
Standbildes von Jansemin in Ager beizuwohnen. Ich übersetze von dem
fliegenden Blatt, das die Ueberschrift trägt: "Zu Ehren Jansemin's", und datirt
ist: Ager, 12. Mai 1870. Für die Nation, so beginnt Mistral seine Stro¬
phen, indem er die occitanische Nation meint, nicht die französische, ist dieser
Tag ein Triumph. Darum sei er, der Dichter, gekommen, im Namen der
Provence den Dank abzustatten dem großen Troubadour des Südens.
"Zuerst der Gascogne, die. ihre Pflicht erfüllend ohne Furcht noch Scheu,
ihre alte Sprache behauptet und durch sie Zeugniß ablegt, einen Gruß mit
offenen Armen!" niedergeworfen durch das insolente Paris, habe das Volk
um Hilfe gerufen, und ein solcher Strom von Poesie habe sich aus Ager
ergossen, daß von Bordeaux bis Marseille Alles in Glanz geschwommen.
Nachdem Mistral die berühmtesten Dichtungen Jansemin's hervorgehoben,
fährt er fort: "Wenn Jemand, der uniformen Mode zu gefallen, dir sagte:
Poet, dein Ton stimmt nicht zur Jetztzeit, gasconisire nicht mehr, der Fort¬
schritt befiehlt's! so antwortest du: "das kleine Vaterland geht dem großen
vor, Franzmann? (?raiienima.na) Niemals!" Und endlich sei Paris, der
König, alle Welt entzückt gewesen über den Dichter und sein Werk. "Alles
was von den hohen Gipfeln, die Euch gehören, von der Stirn der Pyre¬
näen das Auge uns zeigt, Catalanisch oder Gasconisch, versteht unsere Sprache.
Von den Bergen, auf flachem Wege, sehe ich ein gebräuntes Volk sich bewegen,
und die Kronen der Lebenden und der Todten regnen auf die Bronze Jan¬
semin's. Denn unsre Todten, unsre Väter und unsre heiligen Rechte als
Volk und als Dichter, die gestern der Fuß des Usurpators niedertrat, und
die mißhandelt klagten, jetzt leben sie ruhmvoll! Jetzt treibt Blüthen die
Langue d'oc zwischen ihren beiden Meeren. O Jansemin, du hast uns gerächt"*).



') Ich gebe zur Probe die letzte Strophe im Original:
(Zar uösti mort, ö nosti pairv,
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und zwingt sie in eine gemeinschaftliche Richtung. Indessen scheint im Som¬
mer 1815 eine Theilung Frankreichs unter mehrere Bourbons kaum ernstlich
erwogen zu sein, wenigstens kam sie nicht zur Berathung in den Conferenzen."

Bald nach dem Pariser Frieden zeigte in den Gedichten Jansemin's (von
den Franzosen Jasmin genannt) die occitanische Volkstümlichkeit einen Auf¬
schwung, der auch der französischen Akademie eine Anerkennung abnöthtgte.
Und wie wenig die so eingeleitete Bewegung eine Gasconnade war, erkennt
man am besten aus der Huldigung, welche jüngst der geniale Mistral dar¬
brachte, als er aus der Provence abgeordnet war, um der Enthüllung des
Standbildes von Jansemin in Ager beizuwohnen. Ich übersetze von dem
fliegenden Blatt, das die Ueberschrift trägt: „Zu Ehren Jansemin's", und datirt
ist: Ager, 12. Mai 1870. Für die Nation, so beginnt Mistral seine Stro¬
phen, indem er die occitanische Nation meint, nicht die französische, ist dieser
Tag ein Triumph. Darum sei er, der Dichter, gekommen, im Namen der
Provence den Dank abzustatten dem großen Troubadour des Südens.
„Zuerst der Gascogne, die. ihre Pflicht erfüllend ohne Furcht noch Scheu,
ihre alte Sprache behauptet und durch sie Zeugniß ablegt, einen Gruß mit
offenen Armen!" niedergeworfen durch das insolente Paris, habe das Volk
um Hilfe gerufen, und ein solcher Strom von Poesie habe sich aus Ager
ergossen, daß von Bordeaux bis Marseille Alles in Glanz geschwommen.
Nachdem Mistral die berühmtesten Dichtungen Jansemin's hervorgehoben,
fährt er fort: „Wenn Jemand, der uniformen Mode zu gefallen, dir sagte:
Poet, dein Ton stimmt nicht zur Jetztzeit, gasconisire nicht mehr, der Fort¬
schritt befiehlt's! so antwortest du: „das kleine Vaterland geht dem großen
vor, Franzmann? (?raiienima.na) Niemals!" Und endlich sei Paris, der
König, alle Welt entzückt gewesen über den Dichter und sein Werk. „Alles
was von den hohen Gipfeln, die Euch gehören, von der Stirn der Pyre¬
näen das Auge uns zeigt, Catalanisch oder Gasconisch, versteht unsere Sprache.
Von den Bergen, auf flachem Wege, sehe ich ein gebräuntes Volk sich bewegen,
und die Kronen der Lebenden und der Todten regnen auf die Bronze Jan¬
semin's. Denn unsre Todten, unsre Väter und unsre heiligen Rechte als
Volk und als Dichter, die gestern der Fuß des Usurpators niedertrat, und
die mißhandelt klagten, jetzt leben sie ruhmvoll! Jetzt treibt Blüthen die
Langue d'oc zwischen ihren beiden Meeren. O Jansemin, du hast uns gerächt"*).



') Ich gebe zur Probe die letzte Strophe im Original:
(Zar uösti mort, ö nosti pairv,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/424>, abgerufen am 29.06.2024.