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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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schen und dem Dakoromanischen, ist eine von der Sprachwissenschaft durchaus
festgestellte Thatsache, gegen die kein auch nur halbwegs Kundiger Einspruch
erhebt. Es genügt, auf die epochemachende Grammatik der romanischen
Sprachen von Friedrich Diez zu verweisen, deren erster Theil in diesem Jahre
in dritter Auflage erschienen ist und wovon sich eine französische Uebersetzung
im Druck befindet.

Das Französische ist also eine fremde Sprache nicht blos für die drei
Millionen von Deutschen, Bretonen und Basken in Frankreich, sondern auch
für die zehn Millionen Romanen, die den Süden des Reichs bewohnen
Von Turcos und ähnlichem Volk ganz zu schweigen. --

Als im Sommer 1815 die verbündeten Mächte im Begriff waren, die¬
jenigen Sicherheiten Europas gegen Frankreich festzustellen, welche im Vor¬
jahre ein übel angebrachter Edelmuth verschmäht hatte, sagte der General von
Carlowitz in einer an Stein gerichteten Denkschrift acht Tage nach der Schlacht
von Belle-Alliance, indem er von der Nothwendigkeit sprach, die augenblick¬
lich niedergeworfenen Franzosen dauernd zu schwächen: "Es könnte dies wohl
am besten geschehen, wenn die alterthümliche Vertheilung in eine LanZuö ä've
und eine I^ngus ä'oui der Grund zu einem doppelten Frankreich würde."
"Allein", fügt der General, dem nicht bekannt gewesen zu sein scheint, daß
noch immer eine doppelte romanische Nationalität in Frankreich fortlebte,
sogleich hinzu, "hiervon ist kein Bestand zu erwarten. Die Nation ist zu
sehr Eine, alle Nerven der öffentlichen und Privatgeschäfte concentriren sich
zu sehr in Paris; also eine solche Theilung würde bald zu einer Revolution
führen, deren Explosion ihre Feuerbrände weiter schleudern könnte, als voraus
zu berechnen wäre." Pertz aber, der in seinem Leben Stein's jene Denk¬
schrift mittheilt (Bd. 4, diese Stelle S. 486), bemerkt seinerseits (S. 476):
"Eine Theilung Frankreichs in mehrere Länder war weder dem Sinn der
Franzosen noch den Bourbons zuwider. Es hatte sich am Hofe Ludwigs XVIII.
eine Partei gebildet, welche das Land jenseits der Loire als Königreich Gas-
cogne dem Grafen von Artois zu übertragen wünschte; man hatte bereits
die wichtigsten Rollen am neuen Hofe vertheilt, und die Gesinnung des
Südens und Westens war von jeher und die ganze Revolutionszeit hindurch
so verschieden von den vorherrschenden Richtungen des nordöstlichen Frank¬
reichs, daß beiden Theilen mit einer Trennung gedient gewesen wäre. Nur
der König und die Stadt Paris hätten dadurch gelitten; ein entschiedener
gefährlicher Widerstand aber war nicht zu erwarten, denn die verschiedenen
Theile Frankreichs sind überhaupt keineswegs so einig, wie man sie von
Paris aus zu schildern und im Auslande vorauszusetzen pflegt; die ange¬
spannteste Centralisirung allein hält die einander widerstrebenden Meinungen
Vortheile und Leidenschaften der Provinzen von heftigen Ausbrüchen zurück


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schen und dem Dakoromanischen, ist eine von der Sprachwissenschaft durchaus
festgestellte Thatsache, gegen die kein auch nur halbwegs Kundiger Einspruch
erhebt. Es genügt, auf die epochemachende Grammatik der romanischen
Sprachen von Friedrich Diez zu verweisen, deren erster Theil in diesem Jahre
in dritter Auflage erschienen ist und wovon sich eine französische Uebersetzung
im Druck befindet.

Das Französische ist also eine fremde Sprache nicht blos für die drei
Millionen von Deutschen, Bretonen und Basken in Frankreich, sondern auch
für die zehn Millionen Romanen, die den Süden des Reichs bewohnen
Von Turcos und ähnlichem Volk ganz zu schweigen. —

Als im Sommer 1815 die verbündeten Mächte im Begriff waren, die¬
jenigen Sicherheiten Europas gegen Frankreich festzustellen, welche im Vor¬
jahre ein übel angebrachter Edelmuth verschmäht hatte, sagte der General von
Carlowitz in einer an Stein gerichteten Denkschrift acht Tage nach der Schlacht
von Belle-Alliance, indem er von der Nothwendigkeit sprach, die augenblick¬
lich niedergeworfenen Franzosen dauernd zu schwächen: „Es könnte dies wohl
am besten geschehen, wenn die alterthümliche Vertheilung in eine LanZuö ä've
und eine I^ngus ä'oui der Grund zu einem doppelten Frankreich würde."
„Allein", fügt der General, dem nicht bekannt gewesen zu sein scheint, daß
noch immer eine doppelte romanische Nationalität in Frankreich fortlebte,
sogleich hinzu, „hiervon ist kein Bestand zu erwarten. Die Nation ist zu
sehr Eine, alle Nerven der öffentlichen und Privatgeschäfte concentriren sich
zu sehr in Paris; also eine solche Theilung würde bald zu einer Revolution
führen, deren Explosion ihre Feuerbrände weiter schleudern könnte, als voraus
zu berechnen wäre." Pertz aber, der in seinem Leben Stein's jene Denk¬
schrift mittheilt (Bd. 4, diese Stelle S. 486), bemerkt seinerseits (S. 476):
„Eine Theilung Frankreichs in mehrere Länder war weder dem Sinn der
Franzosen noch den Bourbons zuwider. Es hatte sich am Hofe Ludwigs XVIII.
eine Partei gebildet, welche das Land jenseits der Loire als Königreich Gas-
cogne dem Grafen von Artois zu übertragen wünschte; man hatte bereits
die wichtigsten Rollen am neuen Hofe vertheilt, und die Gesinnung des
Südens und Westens war von jeher und die ganze Revolutionszeit hindurch
so verschieden von den vorherrschenden Richtungen des nordöstlichen Frank¬
reichs, daß beiden Theilen mit einer Trennung gedient gewesen wäre. Nur
der König und die Stadt Paris hätten dadurch gelitten; ein entschiedener
gefährlicher Widerstand aber war nicht zu erwarten, denn die verschiedenen
Theile Frankreichs sind überhaupt keineswegs so einig, wie man sie von
Paris aus zu schildern und im Auslande vorauszusetzen pflegt; die ange¬
spannteste Centralisirung allein hält die einander widerstrebenden Meinungen
Vortheile und Leidenschaften der Provinzen von heftigen Ausbrüchen zurück


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[0423] schen und dem Dakoromanischen, ist eine von der Sprachwissenschaft durchaus festgestellte Thatsache, gegen die kein auch nur halbwegs Kundiger Einspruch erhebt. Es genügt, auf die epochemachende Grammatik der romanischen Sprachen von Friedrich Diez zu verweisen, deren erster Theil in diesem Jahre in dritter Auflage erschienen ist und wovon sich eine französische Uebersetzung im Druck befindet. Das Französische ist also eine fremde Sprache nicht blos für die drei Millionen von Deutschen, Bretonen und Basken in Frankreich, sondern auch für die zehn Millionen Romanen, die den Süden des Reichs bewohnen Von Turcos und ähnlichem Volk ganz zu schweigen. — Als im Sommer 1815 die verbündeten Mächte im Begriff waren, die¬ jenigen Sicherheiten Europas gegen Frankreich festzustellen, welche im Vor¬ jahre ein übel angebrachter Edelmuth verschmäht hatte, sagte der General von Carlowitz in einer an Stein gerichteten Denkschrift acht Tage nach der Schlacht von Belle-Alliance, indem er von der Nothwendigkeit sprach, die augenblick¬ lich niedergeworfenen Franzosen dauernd zu schwächen: „Es könnte dies wohl am besten geschehen, wenn die alterthümliche Vertheilung in eine LanZuö ä've und eine I^ngus ä'oui der Grund zu einem doppelten Frankreich würde." „Allein", fügt der General, dem nicht bekannt gewesen zu sein scheint, daß noch immer eine doppelte romanische Nationalität in Frankreich fortlebte, sogleich hinzu, „hiervon ist kein Bestand zu erwarten. Die Nation ist zu sehr Eine, alle Nerven der öffentlichen und Privatgeschäfte concentriren sich zu sehr in Paris; also eine solche Theilung würde bald zu einer Revolution führen, deren Explosion ihre Feuerbrände weiter schleudern könnte, als voraus zu berechnen wäre." Pertz aber, der in seinem Leben Stein's jene Denk¬ schrift mittheilt (Bd. 4, diese Stelle S. 486), bemerkt seinerseits (S. 476): „Eine Theilung Frankreichs in mehrere Länder war weder dem Sinn der Franzosen noch den Bourbons zuwider. Es hatte sich am Hofe Ludwigs XVIII. eine Partei gebildet, welche das Land jenseits der Loire als Königreich Gas- cogne dem Grafen von Artois zu übertragen wünschte; man hatte bereits die wichtigsten Rollen am neuen Hofe vertheilt, und die Gesinnung des Südens und Westens war von jeher und die ganze Revolutionszeit hindurch so verschieden von den vorherrschenden Richtungen des nordöstlichen Frank¬ reichs, daß beiden Theilen mit einer Trennung gedient gewesen wäre. Nur der König und die Stadt Paris hätten dadurch gelitten; ein entschiedener gefährlicher Widerstand aber war nicht zu erwarten, denn die verschiedenen Theile Frankreichs sind überhaupt keineswegs so einig, wie man sie von Paris aus zu schildern und im Auslande vorauszusetzen pflegt; die ange¬ spannteste Centralisirung allein hält die einander widerstrebenden Meinungen Vortheile und Leidenschaften der Provinzen von heftigen Ausbrüchen zurück 54*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/423>, abgerufen am 29.06.2024.