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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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"Denn es werden noch stets die entschlossenen Völker gepriesen!" sagt
Goethe, und der war gewiß kein Chauvinist.


K. Br.-W.


Eine nationale Pflicht.

Die Opfer, welche der Krieg auslegt, sind mannigfach und werden erst
cillmälig zu vollem Bewußtsein kommen. So opferwillig und opferfreudig
sich die weitesten Kreise zeigen, so trefflich sich die mildere Gesittung der Zeit
in den vielartigen Veranstaltungen zur Linderung der schweren Leiden des
Kriegs bewährt, es ist mit dem nicht gethan, was dem unmittelbaren Be¬
dürfniß genügen, die unmittelbar entgegentretende Noth stillen soll. Was
der Krieg in dieser Hinsicht fordert, ist viel und umfassend, aber doch gering
im Vergleich zu den Opfern, die sich erst im Laufe der Zeit fühlbar machen
werden, die mehr Nachwirkungen als Einwirkungen des Krieges sind. Das
Jahr 1866 brachte dies deutlich zur Anschauung. Wie schwer der Krieg auf
dem Lande lastete, seine Last wurde erst später im Jahre 1867 so recht empfun¬
den, als Handel und Wandel, durch das Zusammentreffen anderer Umstände ge¬
drückt, den nöthigen Aufschwung nicht alsbald zurückgewinnen wollten. In die¬
sem Augenblick wurde uns bewußt, daß der Krieg für unser Volk eine schwere
Krankheit gewesen, die dasselbe glücklich und leicht überstanden, die aber das
Gesammtwesen zu sehr angegriffen, um auch leicht überwunden werden zu
können. Vielleicht dürfen wir beim gegenwärtigen Krieg Günstigeres hoffen,
da er uns in einer besseren politischen Lage traf und die fortschreitende
nationale Einigung unfehlbar von heilsamem Einfluß auf die wirthschaftliche
Entwickelung ist. In einer Beziehung wird der Krieg von 1870 aber immerhin
stärker nachempfunden werden wie der von 1866. Er verlangt von beträcht¬
lichen Theilen des deutschen Vaterlandes, von den gesegneten Gegenden an
Rhein. Mosel und Saar. Opfer, die den hochentwickelten Wohlstand dieser
Grenzlande ernstlich zu gefährden drohen.

Der Krieg muß in dieser Beziehung wie die zufälligen Naturereignisse,
wie Ueberschwemmung, Hagelschlag. Mißwachs hingenommen werden, er ist
eins der Opfer, welche die Staatsgemeinschaft den Bürgern auflegt ohne einen
Rechtsanspruch auf Ersatz zu gewähren. Wie sollte es überall möglich sein
die Schäden, die der Krieg im Gefolge hat, zur Ziffer zu bringen? Vernichtete
Hoffnungen, zerstörte Pläne, vereitelte Unternehmungen entziehen sich jeder


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„Denn es werden noch stets die entschlossenen Völker gepriesen!" sagt
Goethe, und der war gewiß kein Chauvinist.


K. Br.-W.


Eine nationale Pflicht.

Die Opfer, welche der Krieg auslegt, sind mannigfach und werden erst
cillmälig zu vollem Bewußtsein kommen. So opferwillig und opferfreudig
sich die weitesten Kreise zeigen, so trefflich sich die mildere Gesittung der Zeit
in den vielartigen Veranstaltungen zur Linderung der schweren Leiden des
Kriegs bewährt, es ist mit dem nicht gethan, was dem unmittelbaren Be¬
dürfniß genügen, die unmittelbar entgegentretende Noth stillen soll. Was
der Krieg in dieser Hinsicht fordert, ist viel und umfassend, aber doch gering
im Vergleich zu den Opfern, die sich erst im Laufe der Zeit fühlbar machen
werden, die mehr Nachwirkungen als Einwirkungen des Krieges sind. Das
Jahr 1866 brachte dies deutlich zur Anschauung. Wie schwer der Krieg auf
dem Lande lastete, seine Last wurde erst später im Jahre 1867 so recht empfun¬
den, als Handel und Wandel, durch das Zusammentreffen anderer Umstände ge¬
drückt, den nöthigen Aufschwung nicht alsbald zurückgewinnen wollten. In die¬
sem Augenblick wurde uns bewußt, daß der Krieg für unser Volk eine schwere
Krankheit gewesen, die dasselbe glücklich und leicht überstanden, die aber das
Gesammtwesen zu sehr angegriffen, um auch leicht überwunden werden zu
können. Vielleicht dürfen wir beim gegenwärtigen Krieg Günstigeres hoffen,
da er uns in einer besseren politischen Lage traf und die fortschreitende
nationale Einigung unfehlbar von heilsamem Einfluß auf die wirthschaftliche
Entwickelung ist. In einer Beziehung wird der Krieg von 1870 aber immerhin
stärker nachempfunden werden wie der von 1866. Er verlangt von beträcht¬
lichen Theilen des deutschen Vaterlandes, von den gesegneten Gegenden an
Rhein. Mosel und Saar. Opfer, die den hochentwickelten Wohlstand dieser
Grenzlande ernstlich zu gefährden drohen.

Der Krieg muß in dieser Beziehung wie die zufälligen Naturereignisse,
wie Ueberschwemmung, Hagelschlag. Mißwachs hingenommen werden, er ist
eins der Opfer, welche die Staatsgemeinschaft den Bürgern auflegt ohne einen
Rechtsanspruch auf Ersatz zu gewähren. Wie sollte es überall möglich sein
die Schäden, die der Krieg im Gefolge hat, zur Ziffer zu bringen? Vernichtete
Hoffnungen, zerstörte Pläne, vereitelte Unternehmungen entziehen sich jeder


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[0419] „Denn es werden noch stets die entschlossenen Völker gepriesen!" sagt Goethe, und der war gewiß kein Chauvinist. K. Br.-W. Eine nationale Pflicht. Die Opfer, welche der Krieg auslegt, sind mannigfach und werden erst cillmälig zu vollem Bewußtsein kommen. So opferwillig und opferfreudig sich die weitesten Kreise zeigen, so trefflich sich die mildere Gesittung der Zeit in den vielartigen Veranstaltungen zur Linderung der schweren Leiden des Kriegs bewährt, es ist mit dem nicht gethan, was dem unmittelbaren Be¬ dürfniß genügen, die unmittelbar entgegentretende Noth stillen soll. Was der Krieg in dieser Hinsicht fordert, ist viel und umfassend, aber doch gering im Vergleich zu den Opfern, die sich erst im Laufe der Zeit fühlbar machen werden, die mehr Nachwirkungen als Einwirkungen des Krieges sind. Das Jahr 1866 brachte dies deutlich zur Anschauung. Wie schwer der Krieg auf dem Lande lastete, seine Last wurde erst später im Jahre 1867 so recht empfun¬ den, als Handel und Wandel, durch das Zusammentreffen anderer Umstände ge¬ drückt, den nöthigen Aufschwung nicht alsbald zurückgewinnen wollten. In die¬ sem Augenblick wurde uns bewußt, daß der Krieg für unser Volk eine schwere Krankheit gewesen, die dasselbe glücklich und leicht überstanden, die aber das Gesammtwesen zu sehr angegriffen, um auch leicht überwunden werden zu können. Vielleicht dürfen wir beim gegenwärtigen Krieg Günstigeres hoffen, da er uns in einer besseren politischen Lage traf und die fortschreitende nationale Einigung unfehlbar von heilsamem Einfluß auf die wirthschaftliche Entwickelung ist. In einer Beziehung wird der Krieg von 1870 aber immerhin stärker nachempfunden werden wie der von 1866. Er verlangt von beträcht¬ lichen Theilen des deutschen Vaterlandes, von den gesegneten Gegenden an Rhein. Mosel und Saar. Opfer, die den hochentwickelten Wohlstand dieser Grenzlande ernstlich zu gefährden drohen. Der Krieg muß in dieser Beziehung wie die zufälligen Naturereignisse, wie Ueberschwemmung, Hagelschlag. Mißwachs hingenommen werden, er ist eins der Opfer, welche die Staatsgemeinschaft den Bürgern auflegt ohne einen Rechtsanspruch auf Ersatz zu gewähren. Wie sollte es überall möglich sein die Schäden, die der Krieg im Gefolge hat, zur Ziffer zu bringen? Vernichtete Hoffnungen, zerstörte Pläne, vereitelte Unternehmungen entziehen sich jeder 53*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/419>, abgerufen am 29.06.2024.