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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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auch schon öfters Gelüste nach Sardinien kundgegeben, wie er den Italienern
Rom als trügerische Lockspeise höhnend vorgehalten und Verträge darüber
geschlossen und gebrochen hat?

Hat die englische Diplomatie vergessen, daß Frankreich die Mutter der
englischen Riflemen und die Protectrice der irischen Fenier ist? Daß es durch
zeitweise wiederholtes Säbelgerassel die erstere zwang, zur Flinte zu greifen,
und daß es letztere durch seine Priester wider England aufsetzt? Will Eng¬
land etwa Malta und Gibraltar der Idee des Mittelmeeres als eines "fran¬
zösischen See's" zum Opfer bringen? Merkt es nicht, wie das tolle keltische
Blut, das instinctiv nichts mehr haßt, als England, sich von Frankreich aus
über Irland bis nach Amerika die Hände reicht? Hat die englische Diplo¬
matie auch schon daran gedacht, daß die französische und die amerikanische
Marine zusammen (um von der dänischen gar nicht zu reden) der englischen
mehr als gewachsen sind? Hat sie vergessen, wie England von der französischen
Diplomatie arglistig in den Krieg gegen Nußland und gegen Mexico hinein¬
gelockt wurde, wie es im Krim-Kriege betrogen ward und in Mexico diesem
Schicksal nur dadurch entging, daß es sich schleunigst zurückzog?

Hat nicht Frankreich stets danach gestrebt, die Polen zu den Waffen zu
rufen und Rußland auf den Leib zu Hetzen? Sind nicht die Versuche Frank¬
reichs, in Gemeinschaft mit Oestreich der polnischen Jnsurrection auf die Beine
zu helfen, seit einem Jahrzehnt chronisch geworden? Und wer hat mehr dazu
beigetragen, diese Versuche zu hintertreiben, als Preußen und Deutschland?
Und dennoch wollen moskovitische Diplomaten auf Kosten Deutschlands
Frankreichs Machtfülle erhalten? Vom Orient und Asien gar nicht zu reden!

Auch in Oestreich gibt es immer noch preußenfresserische Diplomaten,
welche glauben, die Donau fließe den Berg hinauf, statt herunter. Aber
darüber kann doch wohl kein vernünftiger Mensch mehr einen Zweifel haben
daß gerade diese veraltete Diplomatenschule, welche dem Hause Habsburg-
Lothringen eine Fremdherrschaft in Deutschland gründen, dagegen aber die
deutschen Kronländer Oestreichs den nicht deutschen zur Beherrschung und
finanzieller Ausbeutung und Ueberbürdung preisgeben möchte, das Verderben
Oestreichs ist. Was hat denn Oestreich von einem siegreichen Frankreich zu
erwarten? Französische Fremdherrschaft in Italien und in Süd-, West-
und Mittel-Deutschland, dort durch einen König-Satrapen, hier durch
einen rediviven Rheinbund, und Oestreich von beiden wieder in die
Mitte gepackt, wie damals am letzten Wendepunkte des Jahrhunderts!
Wenn auch Herr von Beust das nicht begreifen will, so werden doch
die Umtriebe der Jtalianissimi in Südtyrol und in Jstrien und die der
Czechen in Böhmen, welche beiderseits nicht höher schwören als bei Frank-


Grenzboten III. 1370. 53

auch schon öfters Gelüste nach Sardinien kundgegeben, wie er den Italienern
Rom als trügerische Lockspeise höhnend vorgehalten und Verträge darüber
geschlossen und gebrochen hat?

Hat die englische Diplomatie vergessen, daß Frankreich die Mutter der
englischen Riflemen und die Protectrice der irischen Fenier ist? Daß es durch
zeitweise wiederholtes Säbelgerassel die erstere zwang, zur Flinte zu greifen,
und daß es letztere durch seine Priester wider England aufsetzt? Will Eng¬
land etwa Malta und Gibraltar der Idee des Mittelmeeres als eines „fran¬
zösischen See's" zum Opfer bringen? Merkt es nicht, wie das tolle keltische
Blut, das instinctiv nichts mehr haßt, als England, sich von Frankreich aus
über Irland bis nach Amerika die Hände reicht? Hat die englische Diplo¬
matie auch schon daran gedacht, daß die französische und die amerikanische
Marine zusammen (um von der dänischen gar nicht zu reden) der englischen
mehr als gewachsen sind? Hat sie vergessen, wie England von der französischen
Diplomatie arglistig in den Krieg gegen Nußland und gegen Mexico hinein¬
gelockt wurde, wie es im Krim-Kriege betrogen ward und in Mexico diesem
Schicksal nur dadurch entging, daß es sich schleunigst zurückzog?

Hat nicht Frankreich stets danach gestrebt, die Polen zu den Waffen zu
rufen und Rußland auf den Leib zu Hetzen? Sind nicht die Versuche Frank¬
reichs, in Gemeinschaft mit Oestreich der polnischen Jnsurrection auf die Beine
zu helfen, seit einem Jahrzehnt chronisch geworden? Und wer hat mehr dazu
beigetragen, diese Versuche zu hintertreiben, als Preußen und Deutschland?
Und dennoch wollen moskovitische Diplomaten auf Kosten Deutschlands
Frankreichs Machtfülle erhalten? Vom Orient und Asien gar nicht zu reden!

Auch in Oestreich gibt es immer noch preußenfresserische Diplomaten,
welche glauben, die Donau fließe den Berg hinauf, statt herunter. Aber
darüber kann doch wohl kein vernünftiger Mensch mehr einen Zweifel haben
daß gerade diese veraltete Diplomatenschule, welche dem Hause Habsburg-
Lothringen eine Fremdherrschaft in Deutschland gründen, dagegen aber die
deutschen Kronländer Oestreichs den nicht deutschen zur Beherrschung und
finanzieller Ausbeutung und Ueberbürdung preisgeben möchte, das Verderben
Oestreichs ist. Was hat denn Oestreich von einem siegreichen Frankreich zu
erwarten? Französische Fremdherrschaft in Italien und in Süd-, West-
und Mittel-Deutschland, dort durch einen König-Satrapen, hier durch
einen rediviven Rheinbund, und Oestreich von beiden wieder in die
Mitte gepackt, wie damals am letzten Wendepunkte des Jahrhunderts!
Wenn auch Herr von Beust das nicht begreifen will, so werden doch
die Umtriebe der Jtalianissimi in Südtyrol und in Jstrien und die der
Czechen in Böhmen, welche beiderseits nicht höher schwören als bei Frank-


Grenzboten III. 1370. 53
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[0417] auch schon öfters Gelüste nach Sardinien kundgegeben, wie er den Italienern Rom als trügerische Lockspeise höhnend vorgehalten und Verträge darüber geschlossen und gebrochen hat? Hat die englische Diplomatie vergessen, daß Frankreich die Mutter der englischen Riflemen und die Protectrice der irischen Fenier ist? Daß es durch zeitweise wiederholtes Säbelgerassel die erstere zwang, zur Flinte zu greifen, und daß es letztere durch seine Priester wider England aufsetzt? Will Eng¬ land etwa Malta und Gibraltar der Idee des Mittelmeeres als eines „fran¬ zösischen See's" zum Opfer bringen? Merkt es nicht, wie das tolle keltische Blut, das instinctiv nichts mehr haßt, als England, sich von Frankreich aus über Irland bis nach Amerika die Hände reicht? Hat die englische Diplo¬ matie auch schon daran gedacht, daß die französische und die amerikanische Marine zusammen (um von der dänischen gar nicht zu reden) der englischen mehr als gewachsen sind? Hat sie vergessen, wie England von der französischen Diplomatie arglistig in den Krieg gegen Nußland und gegen Mexico hinein¬ gelockt wurde, wie es im Krim-Kriege betrogen ward und in Mexico diesem Schicksal nur dadurch entging, daß es sich schleunigst zurückzog? Hat nicht Frankreich stets danach gestrebt, die Polen zu den Waffen zu rufen und Rußland auf den Leib zu Hetzen? Sind nicht die Versuche Frank¬ reichs, in Gemeinschaft mit Oestreich der polnischen Jnsurrection auf die Beine zu helfen, seit einem Jahrzehnt chronisch geworden? Und wer hat mehr dazu beigetragen, diese Versuche zu hintertreiben, als Preußen und Deutschland? Und dennoch wollen moskovitische Diplomaten auf Kosten Deutschlands Frankreichs Machtfülle erhalten? Vom Orient und Asien gar nicht zu reden! Auch in Oestreich gibt es immer noch preußenfresserische Diplomaten, welche glauben, die Donau fließe den Berg hinauf, statt herunter. Aber darüber kann doch wohl kein vernünftiger Mensch mehr einen Zweifel haben daß gerade diese veraltete Diplomatenschule, welche dem Hause Habsburg- Lothringen eine Fremdherrschaft in Deutschland gründen, dagegen aber die deutschen Kronländer Oestreichs den nicht deutschen zur Beherrschung und finanzieller Ausbeutung und Ueberbürdung preisgeben möchte, das Verderben Oestreichs ist. Was hat denn Oestreich von einem siegreichen Frankreich zu erwarten? Französische Fremdherrschaft in Italien und in Süd-, West- und Mittel-Deutschland, dort durch einen König-Satrapen, hier durch einen rediviven Rheinbund, und Oestreich von beiden wieder in die Mitte gepackt, wie damals am letzten Wendepunkte des Jahrhunderts! Wenn auch Herr von Beust das nicht begreifen will, so werden doch die Umtriebe der Jtalianissimi in Südtyrol und in Jstrien und die der Czechen in Böhmen, welche beiderseits nicht höher schwören als bei Frank- Grenzboten III. 1370. 53

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/417>, abgerufen am 28.09.2024.