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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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anos" da draußen, jenseits der Säulen des Herkules. Sie hatten Namen
für die einzelnen Theile; und diese Namen sind es, an die sich für jeden
europäischen Culturmenschen eine Fülle von Vorstellungen knüpft. Mit wel¬
cher Gewalt diese Ideen aus der Tiefe des Gedächtnisses hervorbrechen, sobald
einmal das "ligurische" oder das tyrrhenische" Meer oder gar der "wein-
sarbene Pontos" wie ein Zauberwort durch den Kopf geklungen! Wie da
auf einmal das Stück Wasser ganz anders aussieht! Taufbecken der Cultur,
gespeist von dem Nil, dem Hellespont und dem Kephissos. -- Sidon und
Tyrus, die Pyramiden, Troja, Karthago, die Akropolis, Rom -- das sind
die äußeren Bildwerke des Beckens! Und Alles das Welt- und kulturhisto¬
rische Große und Erhabene und Allen Gemeinsame ein französischer See?
Der Gedanke ist gradezu unästhetisch. Alles das sollte nichts sein, als das
Taufbecken für den Bonapartismus? Das Bild macht Einem übel!" (Bilder
aus der Fremde. Für die Heimath gezeichnet von Lothar Bucher. Berlin,
Gerschel, 1862. Bd. I. S. 117--119.)

Hat die romanische Rasse ein Interesse an der Machtfülle Frankreichs?
Letzteres prätendirt, diesseits wie jenseits des Ocean (Mexico) der Protector,
der Vormund, der Tyrann der ersteren zu sein. Glaubt denn Italien und
Spanien an die Nothwendigkeit einer Entwürdigung für sich?

Hat nicht Frankreich im Laufe dieses Jahrhunderts zwei Invasionen in
Spanien begangen, eine scheußlicher als die andere? Die eine, um seine natio¬
nale Selbständigkeit zu unterdrücken die andere, um es seiner politischen
Freiheit zu berauben und ihm die verächtlichste und grausamste Mißregie¬
rung, die macht-, geld- und blutgierigen Priester aufzuzwingen? Hat nicht
der dritte Napoleon die letzte Jsabella zu allen Missethaten ermuntert, nur
um Spanien zu schwächen und in seinem Schlepptau zu erhalten? Ist nicht
die Ursache des jetzigen Kriegs ein Eingriff Frankreichs in das Selbst¬
bestimmungsrecht Spaniens, ein Attentat gegen die Souveränetcit der spani¬
schen Nation? Will nicht Napoleon der letzteren den von ihr verworfnen
Prinzen von Asturien als Herrscher aufzwingen? Weiß die spanische Diplo¬
matie nichts von dem Pact Napoleons mit der verjagten Jsabella, wonach
Spanien deren Söhnlein zum König und Frankreich als Trinkgeld die balk¬
arischen Inseln erhalten soll, -- vielleicht auch Einiges von westindischen
Colonien -- wer weiß ("Huiell Salze")?

Glauben die italienischen Diplomaten durch ungeschwächte Conservirung
der französischen Machtfülle die Vaterstadt Garibaldi's und das Stammland
des Hauses Savoyen wieder zu erhalten? Haben sie vergessen, wie Napoleon
1859 Frieden schloß, "eilen vous, eontr" vous, sur vous et sans vous"?
wie in den Friedensschlüssen von Villafranca und Zürich nicht nur Oest¬
reich, sondern noch weit mehr Italien durch ihn betrogen wurde? Wie er


anos" da draußen, jenseits der Säulen des Herkules. Sie hatten Namen
für die einzelnen Theile; und diese Namen sind es, an die sich für jeden
europäischen Culturmenschen eine Fülle von Vorstellungen knüpft. Mit wel¬
cher Gewalt diese Ideen aus der Tiefe des Gedächtnisses hervorbrechen, sobald
einmal das „ligurische" oder das tyrrhenische" Meer oder gar der „wein-
sarbene Pontos" wie ein Zauberwort durch den Kopf geklungen! Wie da
auf einmal das Stück Wasser ganz anders aussieht! Taufbecken der Cultur,
gespeist von dem Nil, dem Hellespont und dem Kephissos. — Sidon und
Tyrus, die Pyramiden, Troja, Karthago, die Akropolis, Rom — das sind
die äußeren Bildwerke des Beckens! Und Alles das Welt- und kulturhisto¬
rische Große und Erhabene und Allen Gemeinsame ein französischer See?
Der Gedanke ist gradezu unästhetisch. Alles das sollte nichts sein, als das
Taufbecken für den Bonapartismus? Das Bild macht Einem übel!" (Bilder
aus der Fremde. Für die Heimath gezeichnet von Lothar Bucher. Berlin,
Gerschel, 1862. Bd. I. S. 117—119.)

Hat die romanische Rasse ein Interesse an der Machtfülle Frankreichs?
Letzteres prätendirt, diesseits wie jenseits des Ocean (Mexico) der Protector,
der Vormund, der Tyrann der ersteren zu sein. Glaubt denn Italien und
Spanien an die Nothwendigkeit einer Entwürdigung für sich?

Hat nicht Frankreich im Laufe dieses Jahrhunderts zwei Invasionen in
Spanien begangen, eine scheußlicher als die andere? Die eine, um seine natio¬
nale Selbständigkeit zu unterdrücken die andere, um es seiner politischen
Freiheit zu berauben und ihm die verächtlichste und grausamste Mißregie¬
rung, die macht-, geld- und blutgierigen Priester aufzuzwingen? Hat nicht
der dritte Napoleon die letzte Jsabella zu allen Missethaten ermuntert, nur
um Spanien zu schwächen und in seinem Schlepptau zu erhalten? Ist nicht
die Ursache des jetzigen Kriegs ein Eingriff Frankreichs in das Selbst¬
bestimmungsrecht Spaniens, ein Attentat gegen die Souveränetcit der spani¬
schen Nation? Will nicht Napoleon der letzteren den von ihr verworfnen
Prinzen von Asturien als Herrscher aufzwingen? Weiß die spanische Diplo¬
matie nichts von dem Pact Napoleons mit der verjagten Jsabella, wonach
Spanien deren Söhnlein zum König und Frankreich als Trinkgeld die balk¬
arischen Inseln erhalten soll, — vielleicht auch Einiges von westindischen
Colonien — wer weiß („Huiell Salze")?

Glauben die italienischen Diplomaten durch ungeschwächte Conservirung
der französischen Machtfülle die Vaterstadt Garibaldi's und das Stammland
des Hauses Savoyen wieder zu erhalten? Haben sie vergessen, wie Napoleon
1859 Frieden schloß, „eilen vous, eontr« vous, sur vous et sans vous"?
wie in den Friedensschlüssen von Villafranca und Zürich nicht nur Oest¬
reich, sondern noch weit mehr Italien durch ihn betrogen wurde? Wie er


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[0416] anos" da draußen, jenseits der Säulen des Herkules. Sie hatten Namen für die einzelnen Theile; und diese Namen sind es, an die sich für jeden europäischen Culturmenschen eine Fülle von Vorstellungen knüpft. Mit wel¬ cher Gewalt diese Ideen aus der Tiefe des Gedächtnisses hervorbrechen, sobald einmal das „ligurische" oder das tyrrhenische" Meer oder gar der „wein- sarbene Pontos" wie ein Zauberwort durch den Kopf geklungen! Wie da auf einmal das Stück Wasser ganz anders aussieht! Taufbecken der Cultur, gespeist von dem Nil, dem Hellespont und dem Kephissos. — Sidon und Tyrus, die Pyramiden, Troja, Karthago, die Akropolis, Rom — das sind die äußeren Bildwerke des Beckens! Und Alles das Welt- und kulturhisto¬ rische Große und Erhabene und Allen Gemeinsame ein französischer See? Der Gedanke ist gradezu unästhetisch. Alles das sollte nichts sein, als das Taufbecken für den Bonapartismus? Das Bild macht Einem übel!" (Bilder aus der Fremde. Für die Heimath gezeichnet von Lothar Bucher. Berlin, Gerschel, 1862. Bd. I. S. 117—119.) Hat die romanische Rasse ein Interesse an der Machtfülle Frankreichs? Letzteres prätendirt, diesseits wie jenseits des Ocean (Mexico) der Protector, der Vormund, der Tyrann der ersteren zu sein. Glaubt denn Italien und Spanien an die Nothwendigkeit einer Entwürdigung für sich? Hat nicht Frankreich im Laufe dieses Jahrhunderts zwei Invasionen in Spanien begangen, eine scheußlicher als die andere? Die eine, um seine natio¬ nale Selbständigkeit zu unterdrücken die andere, um es seiner politischen Freiheit zu berauben und ihm die verächtlichste und grausamste Mißregie¬ rung, die macht-, geld- und blutgierigen Priester aufzuzwingen? Hat nicht der dritte Napoleon die letzte Jsabella zu allen Missethaten ermuntert, nur um Spanien zu schwächen und in seinem Schlepptau zu erhalten? Ist nicht die Ursache des jetzigen Kriegs ein Eingriff Frankreichs in das Selbst¬ bestimmungsrecht Spaniens, ein Attentat gegen die Souveränetcit der spani¬ schen Nation? Will nicht Napoleon der letzteren den von ihr verworfnen Prinzen von Asturien als Herrscher aufzwingen? Weiß die spanische Diplo¬ matie nichts von dem Pact Napoleons mit der verjagten Jsabella, wonach Spanien deren Söhnlein zum König und Frankreich als Trinkgeld die balk¬ arischen Inseln erhalten soll, — vielleicht auch Einiges von westindischen Colonien — wer weiß („Huiell Salze")? Glauben die italienischen Diplomaten durch ungeschwächte Conservirung der französischen Machtfülle die Vaterstadt Garibaldi's und das Stammland des Hauses Savoyen wieder zu erhalten? Haben sie vergessen, wie Napoleon 1859 Frieden schloß, „eilen vous, eontr« vous, sur vous et sans vous"? wie in den Friedensschlüssen von Villafranca und Zürich nicht nur Oest¬ reich, sondern noch weit mehr Italien durch ihn betrogen wurde? Wie er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/416>, abgerufen am 29.06.2024.