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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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schreiben lerne, schon halb dem Teufel verfallen sei, fast etwas weniger albern
als früher.

Diese unselige Schreibewuth, dieser geschäftige Müßiggang, dieser Hang
zumJntriguiren und Complottiren, zum Dreinreden, wo man nicht gefragt ist,
sie tritt auch jetzt wieder zu Tage. Die diplomatische Einmischung hat uns
1866 gehindert, ganze Arbeit zu thun und dadurch den Grund zu dem Krieg
von 1870 gelegt. Die Diplomatie war von 1866 bis 1870 unablässig ge¬
schäftig; und es wird die Zeit kommen, wo es möglich ist, festzustellen, wie¬
viel Antheil namentlich die Diplomaten Frankreichs, welche die deutschen
Kleinstaaten förmlich überschwemmt hielten, und die Diplomaten der possi-
direnden und der depossedirten Fürsten Deutschlands, ohne oder mit Wissen
und Willen, am Heraufbeschwören dieses Krieges von 1870 haben. Jetzt ist
wieder die außerdeutsche Diplomatie thätig, um "das Werk des Grafen Bis-
marck" (Vilbert) zu -- "verpfuschen", wie sich der ehemalige würten-
bergische Reichsregent Becher ausgedrückt haben soll. Diesmal aber soll, so
hoffen wir. Niemand den Schaden davon tragen, als sie selber.

Die ganze Diplomatie scheint auch jetzt wieder von lauter herkömmlichen
landläufigen Redensarten zu leben, als da sind: europäisches Concert, Soli¬
darität der Mächte, Legitimitätsprineip, europäisches Gleichgewicht und der¬
gleichen veraltetem Krimskrams. Heute ist es also das "Gleichgewichtsprin¬
cip", welches uns verhindern soll, Frankreich unschädlich zu machen.

Wissen denn diese Herren Diplomaten nicht, daß die ganze Stellung
Frankreichs grade auf der Störung dieses Gleichgewichts beruht, daß es seit
Louis XIV. beharrlich für sich ein Uebergewicht in Anspruch nimmt, nämlich
die Führung der romanischen und die Bedrohung der germanischen und
slavischen Rassen, daß es selbst heute noch, in seinem selbstverschuldeten uner¬
gründlichen Elende von nichts spricht, als von seiner "xrsxon äöiÄnee legi¬
time", und daß es nicht eher Ruhe in der Welt gibt, als bis man diesen
Irrwahn zerstört oder unschädlich gemacht hat?

Hat denn irgend eine Rasse, irgend ein Volk, irgend ein Land wirklich
ein Interesse daran, daß Frankreich aus diesem Kriege wie ein Phönix aus
der Asche mit ungeschwächter Machtfülle hervorgeht?

Bonaparte hat gesagt: "Das mittelländische Meer soll ein französischer
See werden". Er hat seine Borkehrungen getroffen, in Spanien, in Italien,
in Rom, in Algier, in Aegypten, um diese Idee zu realisiren, -- eine Idee,
über die schon vor 9 Jahren Lothar Bucher, damals deutscher Flüchtling in
London, die ausdrucksvollen Worte schrieb:

"Das mittelländische Meer ein französischer See, dagegen sträubt sich
das ganze Culturbewußtsein der Menschheit. Das Mittelmeer war den Alten
lange Zeit das einzige Meer, "das Meer", zum Unterschied von dem "Ole-


schreiben lerne, schon halb dem Teufel verfallen sei, fast etwas weniger albern
als früher.

Diese unselige Schreibewuth, dieser geschäftige Müßiggang, dieser Hang
zumJntriguiren und Complottiren, zum Dreinreden, wo man nicht gefragt ist,
sie tritt auch jetzt wieder zu Tage. Die diplomatische Einmischung hat uns
1866 gehindert, ganze Arbeit zu thun und dadurch den Grund zu dem Krieg
von 1870 gelegt. Die Diplomatie war von 1866 bis 1870 unablässig ge¬
schäftig; und es wird die Zeit kommen, wo es möglich ist, festzustellen, wie¬
viel Antheil namentlich die Diplomaten Frankreichs, welche die deutschen
Kleinstaaten förmlich überschwemmt hielten, und die Diplomaten der possi-
direnden und der depossedirten Fürsten Deutschlands, ohne oder mit Wissen
und Willen, am Heraufbeschwören dieses Krieges von 1870 haben. Jetzt ist
wieder die außerdeutsche Diplomatie thätig, um „das Werk des Grafen Bis-
marck" (Vilbert) zu — „verpfuschen", wie sich der ehemalige würten-
bergische Reichsregent Becher ausgedrückt haben soll. Diesmal aber soll, so
hoffen wir. Niemand den Schaden davon tragen, als sie selber.

Die ganze Diplomatie scheint auch jetzt wieder von lauter herkömmlichen
landläufigen Redensarten zu leben, als da sind: europäisches Concert, Soli¬
darität der Mächte, Legitimitätsprineip, europäisches Gleichgewicht und der¬
gleichen veraltetem Krimskrams. Heute ist es also das „Gleichgewichtsprin¬
cip", welches uns verhindern soll, Frankreich unschädlich zu machen.

Wissen denn diese Herren Diplomaten nicht, daß die ganze Stellung
Frankreichs grade auf der Störung dieses Gleichgewichts beruht, daß es seit
Louis XIV. beharrlich für sich ein Uebergewicht in Anspruch nimmt, nämlich
die Führung der romanischen und die Bedrohung der germanischen und
slavischen Rassen, daß es selbst heute noch, in seinem selbstverschuldeten uner¬
gründlichen Elende von nichts spricht, als von seiner „xrsxon äöiÄnee legi¬
time«, und daß es nicht eher Ruhe in der Welt gibt, als bis man diesen
Irrwahn zerstört oder unschädlich gemacht hat?

Hat denn irgend eine Rasse, irgend ein Volk, irgend ein Land wirklich
ein Interesse daran, daß Frankreich aus diesem Kriege wie ein Phönix aus
der Asche mit ungeschwächter Machtfülle hervorgeht?

Bonaparte hat gesagt: „Das mittelländische Meer soll ein französischer
See werden". Er hat seine Borkehrungen getroffen, in Spanien, in Italien,
in Rom, in Algier, in Aegypten, um diese Idee zu realisiren, — eine Idee,
über die schon vor 9 Jahren Lothar Bucher, damals deutscher Flüchtling in
London, die ausdrucksvollen Worte schrieb:

„Das mittelländische Meer ein französischer See, dagegen sträubt sich
das ganze Culturbewußtsein der Menschheit. Das Mittelmeer war den Alten
lange Zeit das einzige Meer, „das Meer", zum Unterschied von dem „Ole-


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[0415] schreiben lerne, schon halb dem Teufel verfallen sei, fast etwas weniger albern als früher. Diese unselige Schreibewuth, dieser geschäftige Müßiggang, dieser Hang zumJntriguiren und Complottiren, zum Dreinreden, wo man nicht gefragt ist, sie tritt auch jetzt wieder zu Tage. Die diplomatische Einmischung hat uns 1866 gehindert, ganze Arbeit zu thun und dadurch den Grund zu dem Krieg von 1870 gelegt. Die Diplomatie war von 1866 bis 1870 unablässig ge¬ schäftig; und es wird die Zeit kommen, wo es möglich ist, festzustellen, wie¬ viel Antheil namentlich die Diplomaten Frankreichs, welche die deutschen Kleinstaaten förmlich überschwemmt hielten, und die Diplomaten der possi- direnden und der depossedirten Fürsten Deutschlands, ohne oder mit Wissen und Willen, am Heraufbeschwören dieses Krieges von 1870 haben. Jetzt ist wieder die außerdeutsche Diplomatie thätig, um „das Werk des Grafen Bis- marck" (Vilbert) zu — „verpfuschen", wie sich der ehemalige würten- bergische Reichsregent Becher ausgedrückt haben soll. Diesmal aber soll, so hoffen wir. Niemand den Schaden davon tragen, als sie selber. Die ganze Diplomatie scheint auch jetzt wieder von lauter herkömmlichen landläufigen Redensarten zu leben, als da sind: europäisches Concert, Soli¬ darität der Mächte, Legitimitätsprineip, europäisches Gleichgewicht und der¬ gleichen veraltetem Krimskrams. Heute ist es also das „Gleichgewichtsprin¬ cip", welches uns verhindern soll, Frankreich unschädlich zu machen. Wissen denn diese Herren Diplomaten nicht, daß die ganze Stellung Frankreichs grade auf der Störung dieses Gleichgewichts beruht, daß es seit Louis XIV. beharrlich für sich ein Uebergewicht in Anspruch nimmt, nämlich die Führung der romanischen und die Bedrohung der germanischen und slavischen Rassen, daß es selbst heute noch, in seinem selbstverschuldeten uner¬ gründlichen Elende von nichts spricht, als von seiner „xrsxon äöiÄnee legi¬ time«, und daß es nicht eher Ruhe in der Welt gibt, als bis man diesen Irrwahn zerstört oder unschädlich gemacht hat? Hat denn irgend eine Rasse, irgend ein Volk, irgend ein Land wirklich ein Interesse daran, daß Frankreich aus diesem Kriege wie ein Phönix aus der Asche mit ungeschwächter Machtfülle hervorgeht? Bonaparte hat gesagt: „Das mittelländische Meer soll ein französischer See werden". Er hat seine Borkehrungen getroffen, in Spanien, in Italien, in Rom, in Algier, in Aegypten, um diese Idee zu realisiren, — eine Idee, über die schon vor 9 Jahren Lothar Bucher, damals deutscher Flüchtling in London, die ausdrucksvollen Worte schrieb: „Das mittelländische Meer ein französischer See, dagegen sträubt sich das ganze Culturbewußtsein der Menschheit. Das Mittelmeer war den Alten lange Zeit das einzige Meer, „das Meer", zum Unterschied von dem „Ole-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/415>, abgerufen am 29.06.2024.