Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht verbreiten. Es ist schon oft hervorgehoben worden, daß die allgemeine
Wehrpflicht wirklich der Friede ist, und daß Herr von Girardin, wenn er,
wie die preußischen Minister ein Dutzend Söhne unter den Soldaten stecken
hätte, kein zum Krieg hetzender Chauvinist sein und vermuthlich eher auf die
Hauffe des Lebens und der Gesundheit seiner Kinder, als auf die Baisse der
Papiere speculiren würde.

Ueber die bisherige Sorte von europäischen Diplomaten aber dürfte
wohl endlich einmal ein Wort zu sagen sein, und zwar von einem Nicht-
diplomaten, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Ausrede, "ein Nicht-
diplomat versteht das nicht" gilt nichts mehr. Heutzutage herrscht Gewerbe¬
freiheit. Man läßt nicht mehr den Schuster durch zünftige Schuster prüfen,
sondern die Stiefel, die der Schuster gemacht hat, werden geprüft durch das
Publikum, welches sie tragen soll, und von dem Ergebnisse dieser Prüfung
hängt es ab, ob der Mann vor der öffentlichen Meinung besteht oder durch¬
fällt. Das Schlimme an der heutigen Diplomatie ist aber gerade, daß sie
rein zünftig ist, weshalb denn auch wirkliche Staatsmänner, welche etwas
weniger zünftig und daneben weit mehr als zünftig sind, wie die Grafen
Bismarck und Cavour, die eigentlichen "Männer vom Fach" und gerechten
und vollkommenen gewiegten Diplomaten unendlich weit überragen.

Die letzteren, natürlich immer Ausnahmen zugegeben, sind wie mit Scheu¬
klappen behaftet. Die großen historischen Gesetze, von welchen die Welt, Höfe
und Regierungen mitinbegriffen, regiert werden, sind ihnen fremd. Sie be¬
wegen sich auf einer ausgetretenen, rein konventionellen Bahn, behandeln
große Dinge als Kleinigkeiten und Kleinigkeiten wie große Dinge, sind ge¬
schickt im Ver- aber nicht im Entwirrer, fassen Alles an und bringen nichts
fertig als höchstens den Krieg.

Der Urtypus dieser Sorte Diplomaten scheint in der That das Noten¬
schreiben beinahe als Selbstzweck zu betrachten. Er schreibt nicht Noten, um
Politik zu machen, sondern er macht Politik, um Noten schreiben zu können.
Eine vollständige Sammlung aller Beust'scher Noten aus den letzten zehn
Jahren würde die Freude aller zukünftigen Scholiasten und Alexandriner
sein und eine längere Reihe von Bänden füllen, als der "Neue Pitaval";
und mit all diesen Noten hat er nur Sachsen -- seiner Meinung nach--
ins Verderben und leider auch Oestreich beinahe aus Rand und Band ge¬
schrieben. Wenn man seine Schreibfertigkeit und deren Früchte betrachtet,
wird man geneigt, jene Maschine zu bewundern, von welcher uns der alte
englische Romanschriftsteller Smollet in seinem "Roderich Random" erzählt:
es ist nämlich eine sinnreiche Vorrichtung, welche, der rechten Hand angelegt,
das Schreiben unmöglich macht, nicht aber anderweitige Hantirung. Ja,
man findet die Behauptung der italienischen Priester, daß Jemand, der


nicht verbreiten. Es ist schon oft hervorgehoben worden, daß die allgemeine
Wehrpflicht wirklich der Friede ist, und daß Herr von Girardin, wenn er,
wie die preußischen Minister ein Dutzend Söhne unter den Soldaten stecken
hätte, kein zum Krieg hetzender Chauvinist sein und vermuthlich eher auf die
Hauffe des Lebens und der Gesundheit seiner Kinder, als auf die Baisse der
Papiere speculiren würde.

Ueber die bisherige Sorte von europäischen Diplomaten aber dürfte
wohl endlich einmal ein Wort zu sagen sein, und zwar von einem Nicht-
diplomaten, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Ausrede, „ein Nicht-
diplomat versteht das nicht" gilt nichts mehr. Heutzutage herrscht Gewerbe¬
freiheit. Man läßt nicht mehr den Schuster durch zünftige Schuster prüfen,
sondern die Stiefel, die der Schuster gemacht hat, werden geprüft durch das
Publikum, welches sie tragen soll, und von dem Ergebnisse dieser Prüfung
hängt es ab, ob der Mann vor der öffentlichen Meinung besteht oder durch¬
fällt. Das Schlimme an der heutigen Diplomatie ist aber gerade, daß sie
rein zünftig ist, weshalb denn auch wirkliche Staatsmänner, welche etwas
weniger zünftig und daneben weit mehr als zünftig sind, wie die Grafen
Bismarck und Cavour, die eigentlichen „Männer vom Fach" und gerechten
und vollkommenen gewiegten Diplomaten unendlich weit überragen.

Die letzteren, natürlich immer Ausnahmen zugegeben, sind wie mit Scheu¬
klappen behaftet. Die großen historischen Gesetze, von welchen die Welt, Höfe
und Regierungen mitinbegriffen, regiert werden, sind ihnen fremd. Sie be¬
wegen sich auf einer ausgetretenen, rein konventionellen Bahn, behandeln
große Dinge als Kleinigkeiten und Kleinigkeiten wie große Dinge, sind ge¬
schickt im Ver- aber nicht im Entwirrer, fassen Alles an und bringen nichts
fertig als höchstens den Krieg.

Der Urtypus dieser Sorte Diplomaten scheint in der That das Noten¬
schreiben beinahe als Selbstzweck zu betrachten. Er schreibt nicht Noten, um
Politik zu machen, sondern er macht Politik, um Noten schreiben zu können.
Eine vollständige Sammlung aller Beust'scher Noten aus den letzten zehn
Jahren würde die Freude aller zukünftigen Scholiasten und Alexandriner
sein und eine längere Reihe von Bänden füllen, als der „Neue Pitaval";
und mit all diesen Noten hat er nur Sachsen — seiner Meinung nach—
ins Verderben und leider auch Oestreich beinahe aus Rand und Band ge¬
schrieben. Wenn man seine Schreibfertigkeit und deren Früchte betrachtet,
wird man geneigt, jene Maschine zu bewundern, von welcher uns der alte
englische Romanschriftsteller Smollet in seinem „Roderich Random" erzählt:
es ist nämlich eine sinnreiche Vorrichtung, welche, der rechten Hand angelegt,
das Schreiben unmöglich macht, nicht aber anderweitige Hantirung. Ja,
man findet die Behauptung der italienischen Priester, daß Jemand, der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0414" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124564"/>
          <p xml:id="ID_1207" prev="#ID_1206"> nicht verbreiten. Es ist schon oft hervorgehoben worden, daß die allgemeine<lb/>
Wehrpflicht wirklich der Friede ist, und daß Herr von Girardin, wenn er,<lb/>
wie die preußischen Minister ein Dutzend Söhne unter den Soldaten stecken<lb/>
hätte, kein zum Krieg hetzender Chauvinist sein und vermuthlich eher auf die<lb/>
Hauffe des Lebens und der Gesundheit seiner Kinder, als auf die Baisse der<lb/>
Papiere speculiren würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1208"> Ueber die bisherige Sorte von europäischen Diplomaten aber dürfte<lb/>
wohl endlich einmal ein Wort zu sagen sein, und zwar von einem Nicht-<lb/>
diplomaten, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Ausrede, &#x201E;ein Nicht-<lb/>
diplomat versteht das nicht" gilt nichts mehr. Heutzutage herrscht Gewerbe¬<lb/>
freiheit. Man läßt nicht mehr den Schuster durch zünftige Schuster prüfen,<lb/>
sondern die Stiefel, die der Schuster gemacht hat, werden geprüft durch das<lb/>
Publikum, welches sie tragen soll, und von dem Ergebnisse dieser Prüfung<lb/>
hängt es ab, ob der Mann vor der öffentlichen Meinung besteht oder durch¬<lb/>
fällt. Das Schlimme an der heutigen Diplomatie ist aber gerade, daß sie<lb/>
rein zünftig ist, weshalb denn auch wirkliche Staatsmänner, welche etwas<lb/>
weniger zünftig und daneben weit mehr als zünftig sind, wie die Grafen<lb/>
Bismarck und Cavour, die eigentlichen &#x201E;Männer vom Fach" und gerechten<lb/>
und vollkommenen gewiegten Diplomaten unendlich weit überragen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1209"> Die letzteren, natürlich immer Ausnahmen zugegeben, sind wie mit Scheu¬<lb/>
klappen behaftet. Die großen historischen Gesetze, von welchen die Welt, Höfe<lb/>
und Regierungen mitinbegriffen, regiert werden, sind ihnen fremd. Sie be¬<lb/>
wegen sich auf einer ausgetretenen, rein konventionellen Bahn, behandeln<lb/>
große Dinge als Kleinigkeiten und Kleinigkeiten wie große Dinge, sind ge¬<lb/>
schickt im Ver- aber nicht im Entwirrer, fassen Alles an und bringen nichts<lb/>
fertig als höchstens den Krieg.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1210" next="#ID_1211"> Der Urtypus dieser Sorte Diplomaten scheint in der That das Noten¬<lb/>
schreiben beinahe als Selbstzweck zu betrachten. Er schreibt nicht Noten, um<lb/>
Politik zu machen, sondern er macht Politik, um Noten schreiben zu können.<lb/>
Eine vollständige Sammlung aller Beust'scher Noten aus den letzten zehn<lb/>
Jahren würde die Freude aller zukünftigen Scholiasten und Alexandriner<lb/>
sein und eine längere Reihe von Bänden füllen, als der &#x201E;Neue Pitaval";<lb/>
und mit all diesen Noten hat er nur Sachsen &#x2014; seiner Meinung nach&#x2014;<lb/>
ins Verderben und leider auch Oestreich beinahe aus Rand und Band ge¬<lb/>
schrieben. Wenn man seine Schreibfertigkeit und deren Früchte betrachtet,<lb/>
wird man geneigt, jene Maschine zu bewundern, von welcher uns der alte<lb/>
englische Romanschriftsteller Smollet in seinem &#x201E;Roderich Random" erzählt:<lb/>
es ist nämlich eine sinnreiche Vorrichtung, welche, der rechten Hand angelegt,<lb/>
das Schreiben unmöglich macht, nicht aber anderweitige Hantirung. Ja,<lb/>
man findet die Behauptung der italienischen Priester, daß Jemand, der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0414] nicht verbreiten. Es ist schon oft hervorgehoben worden, daß die allgemeine Wehrpflicht wirklich der Friede ist, und daß Herr von Girardin, wenn er, wie die preußischen Minister ein Dutzend Söhne unter den Soldaten stecken hätte, kein zum Krieg hetzender Chauvinist sein und vermuthlich eher auf die Hauffe des Lebens und der Gesundheit seiner Kinder, als auf die Baisse der Papiere speculiren würde. Ueber die bisherige Sorte von europäischen Diplomaten aber dürfte wohl endlich einmal ein Wort zu sagen sein, und zwar von einem Nicht- diplomaten, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Ausrede, „ein Nicht- diplomat versteht das nicht" gilt nichts mehr. Heutzutage herrscht Gewerbe¬ freiheit. Man läßt nicht mehr den Schuster durch zünftige Schuster prüfen, sondern die Stiefel, die der Schuster gemacht hat, werden geprüft durch das Publikum, welches sie tragen soll, und von dem Ergebnisse dieser Prüfung hängt es ab, ob der Mann vor der öffentlichen Meinung besteht oder durch¬ fällt. Das Schlimme an der heutigen Diplomatie ist aber gerade, daß sie rein zünftig ist, weshalb denn auch wirkliche Staatsmänner, welche etwas weniger zünftig und daneben weit mehr als zünftig sind, wie die Grafen Bismarck und Cavour, die eigentlichen „Männer vom Fach" und gerechten und vollkommenen gewiegten Diplomaten unendlich weit überragen. Die letzteren, natürlich immer Ausnahmen zugegeben, sind wie mit Scheu¬ klappen behaftet. Die großen historischen Gesetze, von welchen die Welt, Höfe und Regierungen mitinbegriffen, regiert werden, sind ihnen fremd. Sie be¬ wegen sich auf einer ausgetretenen, rein konventionellen Bahn, behandeln große Dinge als Kleinigkeiten und Kleinigkeiten wie große Dinge, sind ge¬ schickt im Ver- aber nicht im Entwirrer, fassen Alles an und bringen nichts fertig als höchstens den Krieg. Der Urtypus dieser Sorte Diplomaten scheint in der That das Noten¬ schreiben beinahe als Selbstzweck zu betrachten. Er schreibt nicht Noten, um Politik zu machen, sondern er macht Politik, um Noten schreiben zu können. Eine vollständige Sammlung aller Beust'scher Noten aus den letzten zehn Jahren würde die Freude aller zukünftigen Scholiasten und Alexandriner sein und eine längere Reihe von Bänden füllen, als der „Neue Pitaval"; und mit all diesen Noten hat er nur Sachsen — seiner Meinung nach— ins Verderben und leider auch Oestreich beinahe aus Rand und Band ge¬ schrieben. Wenn man seine Schreibfertigkeit und deren Früchte betrachtet, wird man geneigt, jene Maschine zu bewundern, von welcher uns der alte englische Romanschriftsteller Smollet in seinem „Roderich Random" erzählt: es ist nämlich eine sinnreiche Vorrichtung, welche, der rechten Hand angelegt, das Schreiben unmöglich macht, nicht aber anderweitige Hantirung. Ja, man findet die Behauptung der italienischen Priester, daß Jemand, der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/414
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/414>, abgerufen am 29.06.2024.