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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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durch Widerspruch oder Uebertreibung ihnen ihre sorgenvolle Aufgabe zu er¬
schweren.

Zunächst und unbedingt hat man da allen unnützen Strafgelüsten zu ent¬
sagen. Alles, was blos demüthigt und kränkt, wirkt auf den, dem es zu-
gemuthet wird, nicht schwächend, sondern kräftigend ein, das lehrt jedes
Blatt der Geschichte. Vom Princip der Selbständigkeit der Nationen gehen
wir selber aus; jeder Eingriff also in das Innere des französischen
Staates in dem Umfange, wie wir ihn anerkennen werden, als da ist das
Verlangen diese oder jene Festung zu schleifen, das Verbot, bewaffnete Lager
an unseren Grenzen zu halten, Landheer und Flotte über ein gewisses Maß
hinaus zu vermehren, dies und alles ähnliche dient nur zu reizen und ruft
gerade die Wirkungen hervor, die man vermeiden wollte. Noch trauriger
wäre jeder Versuch, auf Verfassung und Regierungsform unserer Gegner
irgend welchen Einfluß üben zu wollen. Jeder redliche Mann auf Erden
wird sich freuen, wenn die Trugburg des Bonapartismus zusammenbricht,
aber es ist nicht unseres Amtes, das Haus des Nachbars zu säubern. Es
war der verhängnißvollste Fehler von 1814 und 13, daß man die Sache
Napoleons von der Frankreichs trennte; fast natürlich ergab sich daraus die
Taktik, den Herrscher zu züchtigen und das Volk tröstend zu belohnen. Heute
haben sich, was das Verhältniß zu uns angeht, die Franzosen mehr als zur
Genüge für solidarisch mit ihren Führern erklärt, die Unversöhnlichen sind
auch mit uns unversöhnlich. Wir führen nicht Krieg mit Hannibal, sondern
mit Karthago; lassen wir ihn laufen, Antwort stehen muß uns die
Nation!

Sieht man nun ab von Kriegskosten und anderen Bußgeldern für bös¬
willig zugefügten Schaden, so bleibt uns eben der französischen Nation selber
gegenüber gar kein Ausweg offen, als sie an Land und Leuten auf die Dauer
zu kürzen, was um so einfacher und vernünftiger sein wird, je schwächer die
Rechtstitel sind, aus die sich der bisherige Besitz des betreffenden Landes
stützte, je weniger endlich dessen Leute als echte Glieder der französischen
Nation gelten können. Die Entscheidung scheint sehr einfach: "Elsaß und
Lothringen!" tönt es durch ganz Deutschland. Es ist in diesen Blättern
neulich (No. 33, p. 266 ff.) von kundiger Feder dargestellt worden, wie diese
Landschaften, deren Name uns so oft hat erröthen lassen, uns abhanden ge¬
kommen sind. Allein ich glaube, der übertausendjährige Proceß, den wir end¬
lich einmal für immer schlichten möchten, läßt sich nicht blos dadurch scheiden,
daß wir ein paar der letzten Actenbündel einsehen; die Frage nach der besten
und dauerhaftesten Grenze zwischen Deutschland und Frankreich hat neben
den historischen auch ihre natürlich geographischen, ihre sprachlich nationalen
wie ihre militärischen Elemente, die alle gleichmäßig erwogen sein wollen,


durch Widerspruch oder Uebertreibung ihnen ihre sorgenvolle Aufgabe zu er¬
schweren.

Zunächst und unbedingt hat man da allen unnützen Strafgelüsten zu ent¬
sagen. Alles, was blos demüthigt und kränkt, wirkt auf den, dem es zu-
gemuthet wird, nicht schwächend, sondern kräftigend ein, das lehrt jedes
Blatt der Geschichte. Vom Princip der Selbständigkeit der Nationen gehen
wir selber aus; jeder Eingriff also in das Innere des französischen
Staates in dem Umfange, wie wir ihn anerkennen werden, als da ist das
Verlangen diese oder jene Festung zu schleifen, das Verbot, bewaffnete Lager
an unseren Grenzen zu halten, Landheer und Flotte über ein gewisses Maß
hinaus zu vermehren, dies und alles ähnliche dient nur zu reizen und ruft
gerade die Wirkungen hervor, die man vermeiden wollte. Noch trauriger
wäre jeder Versuch, auf Verfassung und Regierungsform unserer Gegner
irgend welchen Einfluß üben zu wollen. Jeder redliche Mann auf Erden
wird sich freuen, wenn die Trugburg des Bonapartismus zusammenbricht,
aber es ist nicht unseres Amtes, das Haus des Nachbars zu säubern. Es
war der verhängnißvollste Fehler von 1814 und 13, daß man die Sache
Napoleons von der Frankreichs trennte; fast natürlich ergab sich daraus die
Taktik, den Herrscher zu züchtigen und das Volk tröstend zu belohnen. Heute
haben sich, was das Verhältniß zu uns angeht, die Franzosen mehr als zur
Genüge für solidarisch mit ihren Führern erklärt, die Unversöhnlichen sind
auch mit uns unversöhnlich. Wir führen nicht Krieg mit Hannibal, sondern
mit Karthago; lassen wir ihn laufen, Antwort stehen muß uns die
Nation!

Sieht man nun ab von Kriegskosten und anderen Bußgeldern für bös¬
willig zugefügten Schaden, so bleibt uns eben der französischen Nation selber
gegenüber gar kein Ausweg offen, als sie an Land und Leuten auf die Dauer
zu kürzen, was um so einfacher und vernünftiger sein wird, je schwächer die
Rechtstitel sind, aus die sich der bisherige Besitz des betreffenden Landes
stützte, je weniger endlich dessen Leute als echte Glieder der französischen
Nation gelten können. Die Entscheidung scheint sehr einfach: „Elsaß und
Lothringen!" tönt es durch ganz Deutschland. Es ist in diesen Blättern
neulich (No. 33, p. 266 ff.) von kundiger Feder dargestellt worden, wie diese
Landschaften, deren Name uns so oft hat erröthen lassen, uns abhanden ge¬
kommen sind. Allein ich glaube, der übertausendjährige Proceß, den wir end¬
lich einmal für immer schlichten möchten, läßt sich nicht blos dadurch scheiden,
daß wir ein paar der letzten Actenbündel einsehen; die Frage nach der besten
und dauerhaftesten Grenze zwischen Deutschland und Frankreich hat neben
den historischen auch ihre natürlich geographischen, ihre sprachlich nationalen
wie ihre militärischen Elemente, die alle gleichmäßig erwogen sein wollen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/410>, abgerufen am 29.06.2024.