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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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und die Schweiz. So traurig dieser Ausgang war, so bleibt es doch min¬
destens fraglich, ob man, wie die Sachen damals lagen, einen andern hätte
wünschen dürfen. Ich führe zur Stütze dieser Auffassung einfach die verstän¬
digen Worte eines unserer verdientesten Historiker und unserer besten Männer
an, dem es leider nicht vergönnt worden ist, den Glanz dieser letzten Tage
zu schauen. "So entging." sagt Ludwig Häußer, "Deutschland der Lohn, den es
sich mit den größten Anstrengungen und glänzenden Siegen verdient hatte.
Straßburg und Metz blieben französisch. Die folgende Zeit hat es freilich
zweifelhaft gemacht, ob wir im Stande gewesen wären, diese Eroberungen,
wenn wir sie erlangten, auch zu behaupten. Denn für die Macht einer
Nation reicht es nicht aus, daß sie große Gebiete besitzt, sie muß auch poli¬
tisch so organisirr sein, daß sie ihre Macht gebrauchen kann."

Es ist das Werk der preußischen Politik unserer Tage, daß sie zunächst
den Grundschaden der Verträge von 181S, das innere organische Leiden unseres
Vaterlandes ausgeheilt hat. Hierwider hat sich Frankreich erhoben; es ist
als schlüge ihm das Gewissen über die andere unberechtigte Forderung, die
wir gerade ihm gegenüber bisher ruhig hatten ausstehen lassen, als fürchtete
es, die Heilung unseres inneren Gebrechens müßte unfehlbar auch die des
äußeren nach sich ziehen. Sicherlich hatten unsere Regierenden nicht entfernt
daran gedacht, höchstens als sehr harmlose Träume entlegener Zukunft schweb¬
ten Ideen derart der Seele einzelner geschichtökundiger Patrioten vor. Aber
mit der Blindheit jener Herrscher des Alterthums, die im Wahne, den Schick¬
salsspruch des Orakels zu hintertreiben, ihn mit täppischer Hand in ungeahnter
Schnelligkeit herbeiführen, haben unsere Nachbarn die deutsche Einheit, die sie
noch zerstören zu können vermeinten, vollendet, haben sie die alte Beute aus
den Tagen unseres Elends, die unser Schwert nicht bedrohte, selber in den
Bereich unseres Schwertes zurückgeworfen.

Ohne Zweifel werden wir auch im günstigsten Falle bei den Friedens¬
verhandlungen mit Widerwärtigkeiten zu kämpfen haben; auf das Wohl¬
wollen der anderen Großmächte dürfen wir heut so wenig wie vor einem
halben Jahrhundert vertrauen, im Gegentheil Neid und Mißgunst gegen uns
sind allerorten mit unserer Macht und unserem Ruhme gewachsen. Was
wird dawider unsere Hilfe sein? Nichts anderes als ernste Festigkeit in
unserem Auftreten und vernünftige Mäßigung in unseren Forderungen. Die
erstere zu zeigen, können wir billig den Leitern unserer Politik anheimstellen,
sie haben seinerzeit Proben davon gegeben; zur anderen aber müssen auch
wir im Volke uns selbst anhalten, wir sind der Chor im Drama, der theil¬
nehmend und ermunternd die Worte und Handlungen der Helden mit seinen
Liedern zu begleiten hat; es ziemt uns schlecht, durch eigene Unbesonnenheit,


Grenzboten III. 1870. 62

und die Schweiz. So traurig dieser Ausgang war, so bleibt es doch min¬
destens fraglich, ob man, wie die Sachen damals lagen, einen andern hätte
wünschen dürfen. Ich führe zur Stütze dieser Auffassung einfach die verstän¬
digen Worte eines unserer verdientesten Historiker und unserer besten Männer
an, dem es leider nicht vergönnt worden ist, den Glanz dieser letzten Tage
zu schauen. „So entging." sagt Ludwig Häußer, „Deutschland der Lohn, den es
sich mit den größten Anstrengungen und glänzenden Siegen verdient hatte.
Straßburg und Metz blieben französisch. Die folgende Zeit hat es freilich
zweifelhaft gemacht, ob wir im Stande gewesen wären, diese Eroberungen,
wenn wir sie erlangten, auch zu behaupten. Denn für die Macht einer
Nation reicht es nicht aus, daß sie große Gebiete besitzt, sie muß auch poli¬
tisch so organisirr sein, daß sie ihre Macht gebrauchen kann."

Es ist das Werk der preußischen Politik unserer Tage, daß sie zunächst
den Grundschaden der Verträge von 181S, das innere organische Leiden unseres
Vaterlandes ausgeheilt hat. Hierwider hat sich Frankreich erhoben; es ist
als schlüge ihm das Gewissen über die andere unberechtigte Forderung, die
wir gerade ihm gegenüber bisher ruhig hatten ausstehen lassen, als fürchtete
es, die Heilung unseres inneren Gebrechens müßte unfehlbar auch die des
äußeren nach sich ziehen. Sicherlich hatten unsere Regierenden nicht entfernt
daran gedacht, höchstens als sehr harmlose Träume entlegener Zukunft schweb¬
ten Ideen derart der Seele einzelner geschichtökundiger Patrioten vor. Aber
mit der Blindheit jener Herrscher des Alterthums, die im Wahne, den Schick¬
salsspruch des Orakels zu hintertreiben, ihn mit täppischer Hand in ungeahnter
Schnelligkeit herbeiführen, haben unsere Nachbarn die deutsche Einheit, die sie
noch zerstören zu können vermeinten, vollendet, haben sie die alte Beute aus
den Tagen unseres Elends, die unser Schwert nicht bedrohte, selber in den
Bereich unseres Schwertes zurückgeworfen.

Ohne Zweifel werden wir auch im günstigsten Falle bei den Friedens¬
verhandlungen mit Widerwärtigkeiten zu kämpfen haben; auf das Wohl¬
wollen der anderen Großmächte dürfen wir heut so wenig wie vor einem
halben Jahrhundert vertrauen, im Gegentheil Neid und Mißgunst gegen uns
sind allerorten mit unserer Macht und unserem Ruhme gewachsen. Was
wird dawider unsere Hilfe sein? Nichts anderes als ernste Festigkeit in
unserem Auftreten und vernünftige Mäßigung in unseren Forderungen. Die
erstere zu zeigen, können wir billig den Leitern unserer Politik anheimstellen,
sie haben seinerzeit Proben davon gegeben; zur anderen aber müssen auch
wir im Volke uns selbst anhalten, wir sind der Chor im Drama, der theil¬
nehmend und ermunternd die Worte und Handlungen der Helden mit seinen
Liedern zu begleiten hat; es ziemt uns schlecht, durch eigene Unbesonnenheit,


Grenzboten III. 1870. 62
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[0409] und die Schweiz. So traurig dieser Ausgang war, so bleibt es doch min¬ destens fraglich, ob man, wie die Sachen damals lagen, einen andern hätte wünschen dürfen. Ich führe zur Stütze dieser Auffassung einfach die verstän¬ digen Worte eines unserer verdientesten Historiker und unserer besten Männer an, dem es leider nicht vergönnt worden ist, den Glanz dieser letzten Tage zu schauen. „So entging." sagt Ludwig Häußer, „Deutschland der Lohn, den es sich mit den größten Anstrengungen und glänzenden Siegen verdient hatte. Straßburg und Metz blieben französisch. Die folgende Zeit hat es freilich zweifelhaft gemacht, ob wir im Stande gewesen wären, diese Eroberungen, wenn wir sie erlangten, auch zu behaupten. Denn für die Macht einer Nation reicht es nicht aus, daß sie große Gebiete besitzt, sie muß auch poli¬ tisch so organisirr sein, daß sie ihre Macht gebrauchen kann." Es ist das Werk der preußischen Politik unserer Tage, daß sie zunächst den Grundschaden der Verträge von 181S, das innere organische Leiden unseres Vaterlandes ausgeheilt hat. Hierwider hat sich Frankreich erhoben; es ist als schlüge ihm das Gewissen über die andere unberechtigte Forderung, die wir gerade ihm gegenüber bisher ruhig hatten ausstehen lassen, als fürchtete es, die Heilung unseres inneren Gebrechens müßte unfehlbar auch die des äußeren nach sich ziehen. Sicherlich hatten unsere Regierenden nicht entfernt daran gedacht, höchstens als sehr harmlose Träume entlegener Zukunft schweb¬ ten Ideen derart der Seele einzelner geschichtökundiger Patrioten vor. Aber mit der Blindheit jener Herrscher des Alterthums, die im Wahne, den Schick¬ salsspruch des Orakels zu hintertreiben, ihn mit täppischer Hand in ungeahnter Schnelligkeit herbeiführen, haben unsere Nachbarn die deutsche Einheit, die sie noch zerstören zu können vermeinten, vollendet, haben sie die alte Beute aus den Tagen unseres Elends, die unser Schwert nicht bedrohte, selber in den Bereich unseres Schwertes zurückgeworfen. Ohne Zweifel werden wir auch im günstigsten Falle bei den Friedens¬ verhandlungen mit Widerwärtigkeiten zu kämpfen haben; auf das Wohl¬ wollen der anderen Großmächte dürfen wir heut so wenig wie vor einem halben Jahrhundert vertrauen, im Gegentheil Neid und Mißgunst gegen uns sind allerorten mit unserer Macht und unserem Ruhme gewachsen. Was wird dawider unsere Hilfe sein? Nichts anderes als ernste Festigkeit in unserem Auftreten und vernünftige Mäßigung in unseren Forderungen. Die erstere zu zeigen, können wir billig den Leitern unserer Politik anheimstellen, sie haben seinerzeit Proben davon gegeben; zur anderen aber müssen auch wir im Volke uns selbst anhalten, wir sind der Chor im Drama, der theil¬ nehmend und ermunternd die Worte und Handlungen der Helden mit seinen Liedern zu begleiten hat; es ziemt uns schlecht, durch eigene Unbesonnenheit, Grenzboten III. 1870. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/409>, abgerufen am 29.06.2024.