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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Von dem jetzigen Kriege nun, so blutig und kostspielig er auch für unseren
Feind sein möge, kann man eine gleiche Erschöpfung seiner Menschen- und
Geldkräfte nicht erwarten, wie nach dem Vierteljahrhundert innerer Zer¬
rüttung und äußerer Kämpfe im Jahre 1813 eingetreten war; auf die innere
Umwandlung des Gegners aber, aus seine Bekehrung, möchte man sagen, zu
Humanität und ernster Selbstbeherrschung, darauf zu bauen wird uns nach
den rohen Ausbrüchen des französischen Fanatismus, die wir eben erlebt
haben. Niemand mehr zumuthen. Es bleibt also nichts übrig, als in dem
günstigen Momente, wo wir den Frieden dictiren dürfen, energisch Vorsorge
sür alle Zukunft zu treffen.

Man kann die Aufgabe sehr einfach dahin bestimmen, daß es jetzt gilt,
das Hauptversäumniß von 1815 wieder gut zu machen. Mochte es immer¬
hin ein europäisches Interesse sein, ein starkes Frankreich bestehen zu lassen,
so war es dem gegenüber gewiß um so dringender geboten, ein starkes
Deutschland zu schaffen, stark in doppelter Hinsicht, seiner inneren Verfassung
nach sowohl wie durch seine äußere Abgrenzung gegen Frankreich. Man
weiß, was hierfür geschah; in Wahrheit so gut wie nichts; als Ansatz höch¬
stens kann man bezeichnen die erweiterte Aufstellung Preußens am Nieder¬
rhein mit der schmalen Front gegen Lothringen auf dem Boden jener früheren
zerrissenen geistlichen Gebiete, deren Bestand so lange Zeit die größte Ge¬
fahr für uns und die bedenklichste Lockung sür List und Macht des Feindes
gewesen war. Aber was wollte diese Ausstellung Preußens besagen, bei der
ungüstigen Vertheilung seiner übrigen Lande, bei der Fesselung seiner Kräfte
durch die alte Bundesordnung! Man hatte ihm nur eine neue Aufgabe ge¬
stellt, ohne es mit den Mitteln auszustatten, ihr zu genügen. Jedermann
kennt die Ursachen dieser Wendung der Dinge: die Gleichgültigkeit Englands,
das Ränkespiel der bourbonischen Diplomatie, die neidische Eifersucht Oestreichs,
die coquette Siegergroßmuth Alexanders, kurz das Mißwollen aller Mitberather
wirkte zusammen mit der Schwäche und dem Ungeschick unserer wohlmeinen¬
den Staatsmänner und Patrioten. So wurden unsere Kräfte im Innern
durch die sogenannte Bundesverfassung unterbunden, so ließ man Frankreich
1814 nicht nur die Grenzen von 1792, d. h. den ganzen Raub Ludwig's XIV.,
man schenkte ihm auch noch die Enclaven Mömpelgard, Salm, .Saarwerden
und Crichingen hinzu, rundete ihm Saarlouis durch das Kohlengebiet von
Saarbrücken ab und verband ihm das abgelegene Landau durch den Land¬
strich zwischen Queich und Lauter; 1815 aber nahm man davon nur Saar¬
louis und Saarbrücken für Preußen, das Rheinthal bis zur Lauter mit
Landau für Bayern zurück. Frankreich blieb nach wie vor mit scharfer Ostecke
Wie zum Stoße vorgeschoben zwischen das preußische, bayerische und badische
Gebiet hinein und flankirte dadurch zugleich in gefährlicher Weise Belgien


Von dem jetzigen Kriege nun, so blutig und kostspielig er auch für unseren
Feind sein möge, kann man eine gleiche Erschöpfung seiner Menschen- und
Geldkräfte nicht erwarten, wie nach dem Vierteljahrhundert innerer Zer¬
rüttung und äußerer Kämpfe im Jahre 1813 eingetreten war; auf die innere
Umwandlung des Gegners aber, aus seine Bekehrung, möchte man sagen, zu
Humanität und ernster Selbstbeherrschung, darauf zu bauen wird uns nach
den rohen Ausbrüchen des französischen Fanatismus, die wir eben erlebt
haben. Niemand mehr zumuthen. Es bleibt also nichts übrig, als in dem
günstigen Momente, wo wir den Frieden dictiren dürfen, energisch Vorsorge
sür alle Zukunft zu treffen.

Man kann die Aufgabe sehr einfach dahin bestimmen, daß es jetzt gilt,
das Hauptversäumniß von 1815 wieder gut zu machen. Mochte es immer¬
hin ein europäisches Interesse sein, ein starkes Frankreich bestehen zu lassen,
so war es dem gegenüber gewiß um so dringender geboten, ein starkes
Deutschland zu schaffen, stark in doppelter Hinsicht, seiner inneren Verfassung
nach sowohl wie durch seine äußere Abgrenzung gegen Frankreich. Man
weiß, was hierfür geschah; in Wahrheit so gut wie nichts; als Ansatz höch¬
stens kann man bezeichnen die erweiterte Aufstellung Preußens am Nieder¬
rhein mit der schmalen Front gegen Lothringen auf dem Boden jener früheren
zerrissenen geistlichen Gebiete, deren Bestand so lange Zeit die größte Ge¬
fahr für uns und die bedenklichste Lockung sür List und Macht des Feindes
gewesen war. Aber was wollte diese Ausstellung Preußens besagen, bei der
ungüstigen Vertheilung seiner übrigen Lande, bei der Fesselung seiner Kräfte
durch die alte Bundesordnung! Man hatte ihm nur eine neue Aufgabe ge¬
stellt, ohne es mit den Mitteln auszustatten, ihr zu genügen. Jedermann
kennt die Ursachen dieser Wendung der Dinge: die Gleichgültigkeit Englands,
das Ränkespiel der bourbonischen Diplomatie, die neidische Eifersucht Oestreichs,
die coquette Siegergroßmuth Alexanders, kurz das Mißwollen aller Mitberather
wirkte zusammen mit der Schwäche und dem Ungeschick unserer wohlmeinen¬
den Staatsmänner und Patrioten. So wurden unsere Kräfte im Innern
durch die sogenannte Bundesverfassung unterbunden, so ließ man Frankreich
1814 nicht nur die Grenzen von 1792, d. h. den ganzen Raub Ludwig's XIV.,
man schenkte ihm auch noch die Enclaven Mömpelgard, Salm, .Saarwerden
und Crichingen hinzu, rundete ihm Saarlouis durch das Kohlengebiet von
Saarbrücken ab und verband ihm das abgelegene Landau durch den Land¬
strich zwischen Queich und Lauter; 1815 aber nahm man davon nur Saar¬
louis und Saarbrücken für Preußen, das Rheinthal bis zur Lauter mit
Landau für Bayern zurück. Frankreich blieb nach wie vor mit scharfer Ostecke
Wie zum Stoße vorgeschoben zwischen das preußische, bayerische und badische
Gebiet hinein und flankirte dadurch zugleich in gefährlicher Weise Belgien


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[0408] Von dem jetzigen Kriege nun, so blutig und kostspielig er auch für unseren Feind sein möge, kann man eine gleiche Erschöpfung seiner Menschen- und Geldkräfte nicht erwarten, wie nach dem Vierteljahrhundert innerer Zer¬ rüttung und äußerer Kämpfe im Jahre 1813 eingetreten war; auf die innere Umwandlung des Gegners aber, aus seine Bekehrung, möchte man sagen, zu Humanität und ernster Selbstbeherrschung, darauf zu bauen wird uns nach den rohen Ausbrüchen des französischen Fanatismus, die wir eben erlebt haben. Niemand mehr zumuthen. Es bleibt also nichts übrig, als in dem günstigen Momente, wo wir den Frieden dictiren dürfen, energisch Vorsorge sür alle Zukunft zu treffen. Man kann die Aufgabe sehr einfach dahin bestimmen, daß es jetzt gilt, das Hauptversäumniß von 1815 wieder gut zu machen. Mochte es immer¬ hin ein europäisches Interesse sein, ein starkes Frankreich bestehen zu lassen, so war es dem gegenüber gewiß um so dringender geboten, ein starkes Deutschland zu schaffen, stark in doppelter Hinsicht, seiner inneren Verfassung nach sowohl wie durch seine äußere Abgrenzung gegen Frankreich. Man weiß, was hierfür geschah; in Wahrheit so gut wie nichts; als Ansatz höch¬ stens kann man bezeichnen die erweiterte Aufstellung Preußens am Nieder¬ rhein mit der schmalen Front gegen Lothringen auf dem Boden jener früheren zerrissenen geistlichen Gebiete, deren Bestand so lange Zeit die größte Ge¬ fahr für uns und die bedenklichste Lockung sür List und Macht des Feindes gewesen war. Aber was wollte diese Ausstellung Preußens besagen, bei der ungüstigen Vertheilung seiner übrigen Lande, bei der Fesselung seiner Kräfte durch die alte Bundesordnung! Man hatte ihm nur eine neue Aufgabe ge¬ stellt, ohne es mit den Mitteln auszustatten, ihr zu genügen. Jedermann kennt die Ursachen dieser Wendung der Dinge: die Gleichgültigkeit Englands, das Ränkespiel der bourbonischen Diplomatie, die neidische Eifersucht Oestreichs, die coquette Siegergroßmuth Alexanders, kurz das Mißwollen aller Mitberather wirkte zusammen mit der Schwäche und dem Ungeschick unserer wohlmeinen¬ den Staatsmänner und Patrioten. So wurden unsere Kräfte im Innern durch die sogenannte Bundesverfassung unterbunden, so ließ man Frankreich 1814 nicht nur die Grenzen von 1792, d. h. den ganzen Raub Ludwig's XIV., man schenkte ihm auch noch die Enclaven Mömpelgard, Salm, .Saarwerden und Crichingen hinzu, rundete ihm Saarlouis durch das Kohlengebiet von Saarbrücken ab und verband ihm das abgelegene Landau durch den Land¬ strich zwischen Queich und Lauter; 1815 aber nahm man davon nur Saar¬ louis und Saarbrücken für Preußen, das Rheinthal bis zur Lauter mit Landau für Bayern zurück. Frankreich blieb nach wie vor mit scharfer Ostecke Wie zum Stoße vorgeschoben zwischen das preußische, bayerische und badische Gebiet hinein und flankirte dadurch zugleich in gefährlicher Weise Belgien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/408>, abgerufen am 29.06.2024.