Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

weisen, wir führen allein mit Frankreich Krieg und haben allein mit ihm Frieden
zu schließen. Auch wäre es. hiervon abgesehen, sehr schwierig, daß Enqland, Ru߬
land, Italien und Oestreich sich über die Bedingungen, welche in Paris vorzu¬
schlagen seien, einigten. Aber wir wünschen um Oestreichs zukünftiger Stellung
willen dringend, daß es sich nicht unnütz durch den Versuch compromittire,
für Frankreich irgend wie einzutreten. Dazu bedarf es aber eines freien
Blickes in die Zukunft. Wohl können wir uns vorstellen, daß man in der
Staatskanzlei einigermaßen ängstlich der Eventualität eines die Südstaaten
umfassenden deutschen Bundes entgegensieht'; eine gewaltige Macht umgiebt
dann auf mehr als zwei Seiten den Kaiserstaat, der gerade jetzt in schwerem
Ringen nach den Formen sucht, die den Zusammenhalt seiner heterogenen
Bestandtheile sichern foll. Wird nicht die Anziehungskraft des deutschen
Bundes wie der Magnetstein auf die deutschen Provinzen Oestreichs wirken?
Auf solche wohl erklärbare ängstliche Frage wissen wir vom östreichischen
Standpunkt nur die Antwort, daß man sich in das Unvermeidliche schicken
und die kleinere Gefahr der größern vorziehen muß. Unvermeidlich aber ist
das Resultat des Eintritts der Südstaaten trotz des Art. IV des Prager
Friedens; jeder Protest des Wiener Kabinets dagegen würde machtlos bleiben,
es war notorisch nicht die Rücksicht aus Oestreich, die uns bisher an der
Überschreitung der Mainlinie hinderte, sondern die auf Frankreich, und
jetzt, wo dieser Anstoß nicht mehr besteht, ist es rein unmöglich, den früheren
Zustand festzuhalten, selbst wenn Bayern und Würtemberg dies wollten.
Aber die Gefahr, die Oestreich von der Constituirung Deutschlands droht, ist
offenbar die kleinere im Vergleich zu dem Gewitter, das sich für dasselbe im
Osten zusammenzieht. Graf Bismarck ist sicher zu besonnen, um auf Oest¬
reichs Zerfall zu speculiren, er hätte wohl gern 1866 den deutschen Reichen-
berger Jndustriebezirk genommen, aber er weiß zu genau, wie große Mühe es
noch kosten wird, die Südstaaten soweit dem Bunde zu asfi niliren, daß ein
gemeinsames konstitutionelles Leben möglich wird, um sich noch die tschechische
oder slavonische Frage aufzuhalsen. Steht die Sache aber so, dann gebietet die
Realpolitik dem Grafen Beust, aus der Noth eine Tugend zu machen, sich
sofort freundlich zum neuen Deutschland zu stellen und an demselben einen
mächtigen und natürlichen Verbündeten gegen Rußland und die slavische
Propaganda in seinem Schooße zu finden, welche schon jetzt wirklich Oestreichs
Bestand bedroht. Diese Gefahr aber wird sich nach dem Frieden offenbar
noch erheblich steigern. Die gegenwärtige Neutralität Rußlands erklärt sich
nicht durch persönliche Sympathieen des Kaisers für den König Wilhelm,
sondern wesentlich durch die Eifersucht auf Oestreich. Rußland hält dasselbe
in Schach, weil es nicht die Aussicht auf die süd- und westslavische Beute,
die ihm in Oestreich winkt, aufgeben will, und in Wien kann man das wirt-


weisen, wir führen allein mit Frankreich Krieg und haben allein mit ihm Frieden
zu schließen. Auch wäre es. hiervon abgesehen, sehr schwierig, daß Enqland, Ru߬
land, Italien und Oestreich sich über die Bedingungen, welche in Paris vorzu¬
schlagen seien, einigten. Aber wir wünschen um Oestreichs zukünftiger Stellung
willen dringend, daß es sich nicht unnütz durch den Versuch compromittire,
für Frankreich irgend wie einzutreten. Dazu bedarf es aber eines freien
Blickes in die Zukunft. Wohl können wir uns vorstellen, daß man in der
Staatskanzlei einigermaßen ängstlich der Eventualität eines die Südstaaten
umfassenden deutschen Bundes entgegensieht'; eine gewaltige Macht umgiebt
dann auf mehr als zwei Seiten den Kaiserstaat, der gerade jetzt in schwerem
Ringen nach den Formen sucht, die den Zusammenhalt seiner heterogenen
Bestandtheile sichern foll. Wird nicht die Anziehungskraft des deutschen
Bundes wie der Magnetstein auf die deutschen Provinzen Oestreichs wirken?
Auf solche wohl erklärbare ängstliche Frage wissen wir vom östreichischen
Standpunkt nur die Antwort, daß man sich in das Unvermeidliche schicken
und die kleinere Gefahr der größern vorziehen muß. Unvermeidlich aber ist
das Resultat des Eintritts der Südstaaten trotz des Art. IV des Prager
Friedens; jeder Protest des Wiener Kabinets dagegen würde machtlos bleiben,
es war notorisch nicht die Rücksicht aus Oestreich, die uns bisher an der
Überschreitung der Mainlinie hinderte, sondern die auf Frankreich, und
jetzt, wo dieser Anstoß nicht mehr besteht, ist es rein unmöglich, den früheren
Zustand festzuhalten, selbst wenn Bayern und Würtemberg dies wollten.
Aber die Gefahr, die Oestreich von der Constituirung Deutschlands droht, ist
offenbar die kleinere im Vergleich zu dem Gewitter, das sich für dasselbe im
Osten zusammenzieht. Graf Bismarck ist sicher zu besonnen, um auf Oest¬
reichs Zerfall zu speculiren, er hätte wohl gern 1866 den deutschen Reichen-
berger Jndustriebezirk genommen, aber er weiß zu genau, wie große Mühe es
noch kosten wird, die Südstaaten soweit dem Bunde zu asfi niliren, daß ein
gemeinsames konstitutionelles Leben möglich wird, um sich noch die tschechische
oder slavonische Frage aufzuhalsen. Steht die Sache aber so, dann gebietet die
Realpolitik dem Grafen Beust, aus der Noth eine Tugend zu machen, sich
sofort freundlich zum neuen Deutschland zu stellen und an demselben einen
mächtigen und natürlichen Verbündeten gegen Rußland und die slavische
Propaganda in seinem Schooße zu finden, welche schon jetzt wirklich Oestreichs
Bestand bedroht. Diese Gefahr aber wird sich nach dem Frieden offenbar
noch erheblich steigern. Die gegenwärtige Neutralität Rußlands erklärt sich
nicht durch persönliche Sympathieen des Kaisers für den König Wilhelm,
sondern wesentlich durch die Eifersucht auf Oestreich. Rußland hält dasselbe
in Schach, weil es nicht die Aussicht auf die süd- und westslavische Beute,
die ihm in Oestreich winkt, aufgeben will, und in Wien kann man das wirt-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0405" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124555"/>
          <p xml:id="ID_1182" prev="#ID_1181" next="#ID_1183"> weisen, wir führen allein mit Frankreich Krieg und haben allein mit ihm Frieden<lb/>
zu schließen. Auch wäre es. hiervon abgesehen, sehr schwierig, daß Enqland, Ru߬<lb/>
land, Italien und Oestreich sich über die Bedingungen, welche in Paris vorzu¬<lb/>
schlagen seien, einigten. Aber wir wünschen um Oestreichs zukünftiger Stellung<lb/>
willen dringend, daß es sich nicht unnütz durch den Versuch compromittire,<lb/>
für Frankreich irgend wie einzutreten. Dazu bedarf es aber eines freien<lb/>
Blickes in die Zukunft. Wohl können wir uns vorstellen, daß man in der<lb/>
Staatskanzlei einigermaßen ängstlich der Eventualität eines die Südstaaten<lb/>
umfassenden deutschen Bundes entgegensieht'; eine gewaltige Macht umgiebt<lb/>
dann auf mehr als zwei Seiten den Kaiserstaat, der gerade jetzt in schwerem<lb/>
Ringen nach den Formen sucht, die den Zusammenhalt seiner heterogenen<lb/>
Bestandtheile sichern foll. Wird nicht die Anziehungskraft des deutschen<lb/>
Bundes wie der Magnetstein auf die deutschen Provinzen Oestreichs wirken?<lb/>
Auf solche wohl erklärbare ängstliche Frage wissen wir vom östreichischen<lb/>
Standpunkt nur die Antwort, daß man sich in das Unvermeidliche schicken<lb/>
und die kleinere Gefahr der größern vorziehen muß. Unvermeidlich aber ist<lb/>
das Resultat des Eintritts der Südstaaten trotz des Art. IV des Prager<lb/>
Friedens; jeder Protest des Wiener Kabinets dagegen würde machtlos bleiben,<lb/>
es war notorisch nicht die Rücksicht aus Oestreich, die uns bisher an der<lb/>
Überschreitung der Mainlinie hinderte, sondern die auf Frankreich, und<lb/>
jetzt, wo dieser Anstoß nicht mehr besteht, ist es rein unmöglich, den früheren<lb/>
Zustand festzuhalten, selbst wenn Bayern und Würtemberg dies wollten.<lb/>
Aber die Gefahr, die Oestreich von der Constituirung Deutschlands droht, ist<lb/>
offenbar die kleinere im Vergleich zu dem Gewitter, das sich für dasselbe im<lb/>
Osten zusammenzieht. Graf Bismarck ist sicher zu besonnen, um auf Oest¬<lb/>
reichs Zerfall zu speculiren, er hätte wohl gern 1866 den deutschen Reichen-<lb/>
berger Jndustriebezirk genommen, aber er weiß zu genau, wie große Mühe es<lb/>
noch kosten wird, die Südstaaten soweit dem Bunde zu asfi niliren, daß ein<lb/>
gemeinsames konstitutionelles Leben möglich wird, um sich noch die tschechische<lb/>
oder slavonische Frage aufzuhalsen. Steht die Sache aber so, dann gebietet die<lb/>
Realpolitik dem Grafen Beust, aus der Noth eine Tugend zu machen, sich<lb/>
sofort freundlich zum neuen Deutschland zu stellen und an demselben einen<lb/>
mächtigen und natürlichen Verbündeten gegen Rußland und die slavische<lb/>
Propaganda in seinem Schooße zu finden, welche schon jetzt wirklich Oestreichs<lb/>
Bestand bedroht. Diese Gefahr aber wird sich nach dem Frieden offenbar<lb/>
noch erheblich steigern. Die gegenwärtige Neutralität Rußlands erklärt sich<lb/>
nicht durch persönliche Sympathieen des Kaisers für den König Wilhelm,<lb/>
sondern wesentlich durch die Eifersucht auf Oestreich. Rußland hält dasselbe<lb/>
in Schach, weil es nicht die Aussicht auf die süd- und westslavische Beute,<lb/>
die ihm in Oestreich winkt, aufgeben will, und in Wien kann man das wirt-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0405] weisen, wir führen allein mit Frankreich Krieg und haben allein mit ihm Frieden zu schließen. Auch wäre es. hiervon abgesehen, sehr schwierig, daß Enqland, Ru߬ land, Italien und Oestreich sich über die Bedingungen, welche in Paris vorzu¬ schlagen seien, einigten. Aber wir wünschen um Oestreichs zukünftiger Stellung willen dringend, daß es sich nicht unnütz durch den Versuch compromittire, für Frankreich irgend wie einzutreten. Dazu bedarf es aber eines freien Blickes in die Zukunft. Wohl können wir uns vorstellen, daß man in der Staatskanzlei einigermaßen ängstlich der Eventualität eines die Südstaaten umfassenden deutschen Bundes entgegensieht'; eine gewaltige Macht umgiebt dann auf mehr als zwei Seiten den Kaiserstaat, der gerade jetzt in schwerem Ringen nach den Formen sucht, die den Zusammenhalt seiner heterogenen Bestandtheile sichern foll. Wird nicht die Anziehungskraft des deutschen Bundes wie der Magnetstein auf die deutschen Provinzen Oestreichs wirken? Auf solche wohl erklärbare ängstliche Frage wissen wir vom östreichischen Standpunkt nur die Antwort, daß man sich in das Unvermeidliche schicken und die kleinere Gefahr der größern vorziehen muß. Unvermeidlich aber ist das Resultat des Eintritts der Südstaaten trotz des Art. IV des Prager Friedens; jeder Protest des Wiener Kabinets dagegen würde machtlos bleiben, es war notorisch nicht die Rücksicht aus Oestreich, die uns bisher an der Überschreitung der Mainlinie hinderte, sondern die auf Frankreich, und jetzt, wo dieser Anstoß nicht mehr besteht, ist es rein unmöglich, den früheren Zustand festzuhalten, selbst wenn Bayern und Würtemberg dies wollten. Aber die Gefahr, die Oestreich von der Constituirung Deutschlands droht, ist offenbar die kleinere im Vergleich zu dem Gewitter, das sich für dasselbe im Osten zusammenzieht. Graf Bismarck ist sicher zu besonnen, um auf Oest¬ reichs Zerfall zu speculiren, er hätte wohl gern 1866 den deutschen Reichen- berger Jndustriebezirk genommen, aber er weiß zu genau, wie große Mühe es noch kosten wird, die Südstaaten soweit dem Bunde zu asfi niliren, daß ein gemeinsames konstitutionelles Leben möglich wird, um sich noch die tschechische oder slavonische Frage aufzuhalsen. Steht die Sache aber so, dann gebietet die Realpolitik dem Grafen Beust, aus der Noth eine Tugend zu machen, sich sofort freundlich zum neuen Deutschland zu stellen und an demselben einen mächtigen und natürlichen Verbündeten gegen Rußland und die slavische Propaganda in seinem Schooße zu finden, welche schon jetzt wirklich Oestreichs Bestand bedroht. Diese Gefahr aber wird sich nach dem Frieden offenbar noch erheblich steigern. Die gegenwärtige Neutralität Rußlands erklärt sich nicht durch persönliche Sympathieen des Kaisers für den König Wilhelm, sondern wesentlich durch die Eifersucht auf Oestreich. Rußland hält dasselbe in Schach, weil es nicht die Aussicht auf die süd- und westslavische Beute, die ihm in Oestreich winkt, aufgeben will, und in Wien kann man das wirt-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/405
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/405>, abgerufen am 28.09.2024.