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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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wie für Oestreich, und jeder denkende Politiker muß sich die Frage vorlegen,
welche Stellung der Kaiserstaat in dieser Krisis nehmen wird?

Die bisherige Politik des Wiener Kabinets hat freilich leider nur den
Traditionen der Finesserie entsprochen, welche den östreichischen Staatsmännern
so oft für Staatskunst gilt und die unvermeidlich dahin führt, sich zwischen
zwei Stühle zu setzen. Welchen etwaigen Succurs Graf Beust dem Herzog
von Grammont bei dessen Abgang von Wien versprochen, wissen wir nicht,
sicher ist nur, daß ihn der Kriegsfall, den Frankreich so plötzlich provocirt",
überraschte und daß die innere Lage so wie die rasche Entscheidung der süd¬
deutschen Staaten ihm unmöglich machte, irgendwie zu Frankreichs Gunsten
einzugreifen. Die nothwendigen Rüstungen hätten ganz andere Summen
gefordert, als jene 12 Mill. si, welche man mit Mühe von Wiener Bankiers
als Vorschuß erhielt, es hätten die Delegationen berufen werden müssen und
schwerlich wären die Ungarn geneigt gewesen, sich Opfer aufzuerlegen für
eine Politik, welche dachte, Cisleithanien wieder in Verbindung mit Deutsch¬
land zu bringen, noch würden die Vertreter der deutschen Provinzen neue
Lasten haben auf sich nehmen wollen, um Frankreich vor Schaden zu
bewahren. Die Proclamation der Neutralität, welche die Regierung
erließ, war also ein Gebot der Nothwendigkeit, aber man wird
schwerlich in der Annahme fehlgreifen, daß jene gemeinsame aufmerksame
Neutralität, über die Graf Vitzthum mit dem Florentiner Kabinet unterhan¬
delte, eine geheime Neigung nach Frankreich hatte. Die Pläne für die Zu¬
kunft, welche sich hieran geknüpft haben mögen, wurden indeß rasch durch die
deutschen Siege über den Haufen geworfen, die in Wien sehr unvermuthet
kamen. Inzwischen hatte England den neutralen Mächten vorgeschlagen, sich
verbindlich zu machen, nicht aus der Neutralität herauszutreten, ohne sich
gegenseitig darüber zu benehmen. Rußland hatte diesen Vorschlag sofort an¬
genommen, Italien fragte in Wien an, ob man dort im Hinblick auf die
früher stattgefundenen Verhandlungen etwas gegen seinen Beitritt zu er¬
innern fände? Auf die verneinende Antwort trat Italien der englischen
Aufforderung bei und operirte so seinen Rückzug aus einer schon etwas com-
promittirten Stellung. Darauf trat auch Oestreich bei, wie man behaup¬
tet, mit Frankreichs Zustimmung, weil dadurch dem Wiener Kabinet, auf
dessen active Unterstützung doch nicht zu rechnen war, die Handhabe gegeben
wurde, bei den Friedensverhandlungen seine Stimme zu Frankreichs Gunsten
geltend zu machen. Seitdem war die östreichische Neutralität gesichert und die
deutsche Reservearmee, welche bei Berlin stehen geblieben war, konnte an den
Rhein dirigirt werden.

Ueber den Erfolg einer diplomatischen Intervention können wir nun von
deutscher Seite zwar sehr ruhig sein, man würde sie im Hauptquartier einfach ab-


wie für Oestreich, und jeder denkende Politiker muß sich die Frage vorlegen,
welche Stellung der Kaiserstaat in dieser Krisis nehmen wird?

Die bisherige Politik des Wiener Kabinets hat freilich leider nur den
Traditionen der Finesserie entsprochen, welche den östreichischen Staatsmännern
so oft für Staatskunst gilt und die unvermeidlich dahin führt, sich zwischen
zwei Stühle zu setzen. Welchen etwaigen Succurs Graf Beust dem Herzog
von Grammont bei dessen Abgang von Wien versprochen, wissen wir nicht,
sicher ist nur, daß ihn der Kriegsfall, den Frankreich so plötzlich provocirt",
überraschte und daß die innere Lage so wie die rasche Entscheidung der süd¬
deutschen Staaten ihm unmöglich machte, irgendwie zu Frankreichs Gunsten
einzugreifen. Die nothwendigen Rüstungen hätten ganz andere Summen
gefordert, als jene 12 Mill. si, welche man mit Mühe von Wiener Bankiers
als Vorschuß erhielt, es hätten die Delegationen berufen werden müssen und
schwerlich wären die Ungarn geneigt gewesen, sich Opfer aufzuerlegen für
eine Politik, welche dachte, Cisleithanien wieder in Verbindung mit Deutsch¬
land zu bringen, noch würden die Vertreter der deutschen Provinzen neue
Lasten haben auf sich nehmen wollen, um Frankreich vor Schaden zu
bewahren. Die Proclamation der Neutralität, welche die Regierung
erließ, war also ein Gebot der Nothwendigkeit, aber man wird
schwerlich in der Annahme fehlgreifen, daß jene gemeinsame aufmerksame
Neutralität, über die Graf Vitzthum mit dem Florentiner Kabinet unterhan¬
delte, eine geheime Neigung nach Frankreich hatte. Die Pläne für die Zu¬
kunft, welche sich hieran geknüpft haben mögen, wurden indeß rasch durch die
deutschen Siege über den Haufen geworfen, die in Wien sehr unvermuthet
kamen. Inzwischen hatte England den neutralen Mächten vorgeschlagen, sich
verbindlich zu machen, nicht aus der Neutralität herauszutreten, ohne sich
gegenseitig darüber zu benehmen. Rußland hatte diesen Vorschlag sofort an¬
genommen, Italien fragte in Wien an, ob man dort im Hinblick auf die
früher stattgefundenen Verhandlungen etwas gegen seinen Beitritt zu er¬
innern fände? Auf die verneinende Antwort trat Italien der englischen
Aufforderung bei und operirte so seinen Rückzug aus einer schon etwas com-
promittirten Stellung. Darauf trat auch Oestreich bei, wie man behaup¬
tet, mit Frankreichs Zustimmung, weil dadurch dem Wiener Kabinet, auf
dessen active Unterstützung doch nicht zu rechnen war, die Handhabe gegeben
wurde, bei den Friedensverhandlungen seine Stimme zu Frankreichs Gunsten
geltend zu machen. Seitdem war die östreichische Neutralität gesichert und die
deutsche Reservearmee, welche bei Berlin stehen geblieben war, konnte an den
Rhein dirigirt werden.

Ueber den Erfolg einer diplomatischen Intervention können wir nun von
deutscher Seite zwar sehr ruhig sein, man würde sie im Hauptquartier einfach ab-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/404>, abgerufen am 29.06.2024.