Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Bauer ist aber nicht allein mißtrauisch und entzieht in kriegerischen
Zeitläuften unfehlbar auch der sichersten Anlage, z. B. städtischen Sparcassen,
sein Geld, er ist auch meist zu filzig und hartherzig, um sich an den Samm¬
lungen für die Opfer des Krieges zu betheiligen. 'Dies ist, wie es scheint,
eine mehr oder minder allgemeine Beobachtung in Deutschland, sodaß sie wohl
einmal die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf sich lenken dürfte. Will dieser
Menschenschlag denn noch immer die Vortheile des Staats und des öffentlichen
Lebens mitgenießen, ohne an den gegenüberstehenden Lasten theilzunehmen,
soweit er es irgend verhindern kann? Und giebt es keine Mittel, ihn dazu
ebenfalls nachgerade angemessen heranzuziehen? Fabrikarbeiter und Dienst¬
boten in den Städten steuern nach ihrer schwachen Kraft bei, -- und der
Bauer, dem während der letzten Menschenalter so außerordentlich viel Lasten
abgenommen und Vortheile zugewälzt worden sind, sitzt auf feinem Geldsäcke
und will nicht zahlen, wäre es auch für den eigenen verwundeten Bruder,
Sohn oder Neffen. Man wird bald ernstlich ins Auge fassen müssen, wie
sich dieser traurigen Folge der ländlichen Jsolirung und des Mangels an
Intelligenz in den Dörfern durch verbesserte Erziehungsweise abhelfen lasse.
Die nordischen Bauernhochschulen geben vielleicht ein Muster an die Hand.

Rühmliche Ausnahmen fehlen allerdings wie anderswo so auch im
Hannoverschen nicht ganz. Aus dem Kreise Meile (bet Osnabrück) ist eine
sehr bedeutende Sendung Victualien nach dem Kriegsschauplatz abgegangen,
als sich die übertriebene Kunde vom Nothleiden der kämpfenden Truppen
verbreitete. Der Kreis ist sehr wohlhabeno, längst von überwiegend preußi¬
scher Gesinnung, und hatte, wie das Osnabrückische überhaupt, seine Speck-
und Schinken-Vorräthe zu guten Preisen früher als je der Armee verkaufen
können, sodaß der Krieg ihm zunächst mehr Gewinn als Einbuße brachte.
Aber während dieser Landestheil sich an den freiwilligen Opfern für Kriegs¬
zwecke entsprechend bethetligte, kann das von der Stadt Hannover bis
jetzt eigentlich noch nicht gesagt werden. Ihre Ziffern sind auffallend niedrig
geblieben. Wir hoffen, daß sie auch diesen Nest kleinstädtischer Engherzigkeit
oder welfisch abgeneigter Gesinnung, als ein Ganzes, noch abstreifen und
sich in jeder Beziehung ihren deutschen Schwesterstädten ebenbürtig zur
Seite stellen werde.




Oestreichs Krisis.

Für keine der neutralen Großmächte ist der gegenwärtige Krieg mit
seinen unvermeidlichen politischen Folgen von so entscheidender Bedeutung


51*

Der Bauer ist aber nicht allein mißtrauisch und entzieht in kriegerischen
Zeitläuften unfehlbar auch der sichersten Anlage, z. B. städtischen Sparcassen,
sein Geld, er ist auch meist zu filzig und hartherzig, um sich an den Samm¬
lungen für die Opfer des Krieges zu betheiligen. 'Dies ist, wie es scheint,
eine mehr oder minder allgemeine Beobachtung in Deutschland, sodaß sie wohl
einmal die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf sich lenken dürfte. Will dieser
Menschenschlag denn noch immer die Vortheile des Staats und des öffentlichen
Lebens mitgenießen, ohne an den gegenüberstehenden Lasten theilzunehmen,
soweit er es irgend verhindern kann? Und giebt es keine Mittel, ihn dazu
ebenfalls nachgerade angemessen heranzuziehen? Fabrikarbeiter und Dienst¬
boten in den Städten steuern nach ihrer schwachen Kraft bei, — und der
Bauer, dem während der letzten Menschenalter so außerordentlich viel Lasten
abgenommen und Vortheile zugewälzt worden sind, sitzt auf feinem Geldsäcke
und will nicht zahlen, wäre es auch für den eigenen verwundeten Bruder,
Sohn oder Neffen. Man wird bald ernstlich ins Auge fassen müssen, wie
sich dieser traurigen Folge der ländlichen Jsolirung und des Mangels an
Intelligenz in den Dörfern durch verbesserte Erziehungsweise abhelfen lasse.
Die nordischen Bauernhochschulen geben vielleicht ein Muster an die Hand.

Rühmliche Ausnahmen fehlen allerdings wie anderswo so auch im
Hannoverschen nicht ganz. Aus dem Kreise Meile (bet Osnabrück) ist eine
sehr bedeutende Sendung Victualien nach dem Kriegsschauplatz abgegangen,
als sich die übertriebene Kunde vom Nothleiden der kämpfenden Truppen
verbreitete. Der Kreis ist sehr wohlhabeno, längst von überwiegend preußi¬
scher Gesinnung, und hatte, wie das Osnabrückische überhaupt, seine Speck-
und Schinken-Vorräthe zu guten Preisen früher als je der Armee verkaufen
können, sodaß der Krieg ihm zunächst mehr Gewinn als Einbuße brachte.
Aber während dieser Landestheil sich an den freiwilligen Opfern für Kriegs¬
zwecke entsprechend bethetligte, kann das von der Stadt Hannover bis
jetzt eigentlich noch nicht gesagt werden. Ihre Ziffern sind auffallend niedrig
geblieben. Wir hoffen, daß sie auch diesen Nest kleinstädtischer Engherzigkeit
oder welfisch abgeneigter Gesinnung, als ein Ganzes, noch abstreifen und
sich in jeder Beziehung ihren deutschen Schwesterstädten ebenbürtig zur
Seite stellen werde.




Oestreichs Krisis.

Für keine der neutralen Großmächte ist der gegenwärtige Krieg mit
seinen unvermeidlichen politischen Folgen von so entscheidender Bedeutung


51*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0403" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124553"/>
          <p xml:id="ID_1176"> Der Bauer ist aber nicht allein mißtrauisch und entzieht in kriegerischen<lb/>
Zeitläuften unfehlbar auch der sichersten Anlage, z. B. städtischen Sparcassen,<lb/>
sein Geld, er ist auch meist zu filzig und hartherzig, um sich an den Samm¬<lb/>
lungen für die Opfer des Krieges zu betheiligen. 'Dies ist, wie es scheint,<lb/>
eine mehr oder minder allgemeine Beobachtung in Deutschland, sodaß sie wohl<lb/>
einmal die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf sich lenken dürfte. Will dieser<lb/>
Menschenschlag denn noch immer die Vortheile des Staats und des öffentlichen<lb/>
Lebens mitgenießen, ohne an den gegenüberstehenden Lasten theilzunehmen,<lb/>
soweit er es irgend verhindern kann? Und giebt es keine Mittel, ihn dazu<lb/>
ebenfalls nachgerade angemessen heranzuziehen? Fabrikarbeiter und Dienst¬<lb/>
boten in den Städten steuern nach ihrer schwachen Kraft bei, &#x2014; und der<lb/>
Bauer, dem während der letzten Menschenalter so außerordentlich viel Lasten<lb/>
abgenommen und Vortheile zugewälzt worden sind, sitzt auf feinem Geldsäcke<lb/>
und will nicht zahlen, wäre es auch für den eigenen verwundeten Bruder,<lb/>
Sohn oder Neffen. Man wird bald ernstlich ins Auge fassen müssen, wie<lb/>
sich dieser traurigen Folge der ländlichen Jsolirung und des Mangels an<lb/>
Intelligenz in den Dörfern durch verbesserte Erziehungsweise abhelfen lasse.<lb/>
Die nordischen Bauernhochschulen geben vielleicht ein Muster an die Hand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1177"> Rühmliche Ausnahmen fehlen allerdings wie anderswo so auch im<lb/>
Hannoverschen nicht ganz. Aus dem Kreise Meile (bet Osnabrück) ist eine<lb/>
sehr bedeutende Sendung Victualien nach dem Kriegsschauplatz abgegangen,<lb/>
als sich die übertriebene Kunde vom Nothleiden der kämpfenden Truppen<lb/>
verbreitete. Der Kreis ist sehr wohlhabeno, längst von überwiegend preußi¬<lb/>
scher Gesinnung, und hatte, wie das Osnabrückische überhaupt, seine Speck-<lb/>
und Schinken-Vorräthe zu guten Preisen früher als je der Armee verkaufen<lb/>
können, sodaß der Krieg ihm zunächst mehr Gewinn als Einbuße brachte.<lb/>
Aber während dieser Landestheil sich an den freiwilligen Opfern für Kriegs¬<lb/>
zwecke entsprechend bethetligte, kann das von der Stadt Hannover bis<lb/>
jetzt eigentlich noch nicht gesagt werden. Ihre Ziffern sind auffallend niedrig<lb/>
geblieben. Wir hoffen, daß sie auch diesen Nest kleinstädtischer Engherzigkeit<lb/>
oder welfisch abgeneigter Gesinnung, als ein Ganzes, noch abstreifen und<lb/>
sich in jeder Beziehung ihren deutschen Schwesterstädten ebenbürtig zur<lb/>
Seite stellen werde.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Oestreichs Krisis.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1178" next="#ID_1179"> Für keine der neutralen Großmächte ist der gegenwärtige Krieg mit<lb/>
seinen unvermeidlichen politischen Folgen von so entscheidender Bedeutung</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 51*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0403] Der Bauer ist aber nicht allein mißtrauisch und entzieht in kriegerischen Zeitläuften unfehlbar auch der sichersten Anlage, z. B. städtischen Sparcassen, sein Geld, er ist auch meist zu filzig und hartherzig, um sich an den Samm¬ lungen für die Opfer des Krieges zu betheiligen. 'Dies ist, wie es scheint, eine mehr oder minder allgemeine Beobachtung in Deutschland, sodaß sie wohl einmal die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf sich lenken dürfte. Will dieser Menschenschlag denn noch immer die Vortheile des Staats und des öffentlichen Lebens mitgenießen, ohne an den gegenüberstehenden Lasten theilzunehmen, soweit er es irgend verhindern kann? Und giebt es keine Mittel, ihn dazu ebenfalls nachgerade angemessen heranzuziehen? Fabrikarbeiter und Dienst¬ boten in den Städten steuern nach ihrer schwachen Kraft bei, — und der Bauer, dem während der letzten Menschenalter so außerordentlich viel Lasten abgenommen und Vortheile zugewälzt worden sind, sitzt auf feinem Geldsäcke und will nicht zahlen, wäre es auch für den eigenen verwundeten Bruder, Sohn oder Neffen. Man wird bald ernstlich ins Auge fassen müssen, wie sich dieser traurigen Folge der ländlichen Jsolirung und des Mangels an Intelligenz in den Dörfern durch verbesserte Erziehungsweise abhelfen lasse. Die nordischen Bauernhochschulen geben vielleicht ein Muster an die Hand. Rühmliche Ausnahmen fehlen allerdings wie anderswo so auch im Hannoverschen nicht ganz. Aus dem Kreise Meile (bet Osnabrück) ist eine sehr bedeutende Sendung Victualien nach dem Kriegsschauplatz abgegangen, als sich die übertriebene Kunde vom Nothleiden der kämpfenden Truppen verbreitete. Der Kreis ist sehr wohlhabeno, längst von überwiegend preußi¬ scher Gesinnung, und hatte, wie das Osnabrückische überhaupt, seine Speck- und Schinken-Vorräthe zu guten Preisen früher als je der Armee verkaufen können, sodaß der Krieg ihm zunächst mehr Gewinn als Einbuße brachte. Aber während dieser Landestheil sich an den freiwilligen Opfern für Kriegs¬ zwecke entsprechend bethetligte, kann das von der Stadt Hannover bis jetzt eigentlich noch nicht gesagt werden. Ihre Ziffern sind auffallend niedrig geblieben. Wir hoffen, daß sie auch diesen Nest kleinstädtischer Engherzigkeit oder welfisch abgeneigter Gesinnung, als ein Ganzes, noch abstreifen und sich in jeder Beziehung ihren deutschen Schwesterstädten ebenbürtig zur Seite stellen werde. Oestreichs Krisis. Für keine der neutralen Großmächte ist der gegenwärtige Krieg mit seinen unvermeidlichen politischen Folgen von so entscheidender Bedeutung 51*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/403
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/403>, abgerufen am 29.06.2024.