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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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durchgesetzt hatten, vermögen jetzt dem allgemeinen Unwillen über ihre An¬
wesenheit im Colleg kaum noch Stand zu halten.

Besser berathen, als die genannten Führer der Partei im Mittelpunkte
der Provinz, sind verschiedene ihrer Angehörigen zweiten Ranges gewesen.
Eine Anzahl bisher mißvergnügter Adliger hat ausdrücklich und öffentlich
erklärt, in diesem Kriege zu Preußen und Deutschland stehen zu wollen. Die
Herren Graf Borries, v. Rössing und v. Hammerstein, deren particuläre
Vorbehalte sich auch bisher schon durch Mäßigung auszeichneten, sollen sogar
eine Ergebenheits-Adresse des provinzialständischen Ausschusses an den König
mitunterzeichnet haben, ebenso wie der Bürgermeister der ultramontanen Stadt
Papenburg, Wahlkreises des bekannten zwei- oder mehrdeutigen Abgeordneten
Windthorst. Ja gewissermaßen der Geist der ehemaligen hannoverschen Ar¬
mee ging zu den Preußen über, als ihr letzter Generalstabschef, der General¬
stabschef von Langensalza, Oberst Cordemann, dem König Wilhelm seinen
Degen anbot und eine Etappen-Inspection übernahm. Es war hohe Zeit
für diesen Uebergang, denn in den breiten Tiefen des Volkes und namentlich
auch der ländlicken Bevölkerung hätte die natürliche, unabweisbare Theil¬
nahme an dem Geschick des die eigenen dienstpflichtigen Söhne umfassenden
preußischen Heeres sonst eine niemals auszufüllende Kluft zwischen den Spitzen
und den Massen ciusgerifsen. Schon mitten im Frieden war die mächtige
Wirkung der allgemeinen Wehrpflicht auf die Stimmung der Dörfer unver¬
kennbar; der Krieg mußte diese Wirkung besiegeln, Edelleute und Offiziere
mochten sich stellen wie sie wollten.

In der Hauptstadt, deren Gesinnungen unter allen Umständen von be¬
sonderer Wichtigkeit bleiben, kommen der Erhaltung und Befestigung des
Umschwungs gewisse Geschäftsverhältnisse ausnehmend zu Hilfe. Hannover
ist durch seine Lage, einmal als Hauptstation der Truppen-Transporte nach
dem Rhein, dann als militärisches Centrum der Küsten-Vertheidigung und
Sitz des Generalgouverneurs Vogel von Falckenstein ganz von selbst zu einem
großen Sammelplatz für Kriegsbedürfnisse aller Art und Ausrüstungsort sür
viele Tausende von Kriegern geworden. Da die vorzunehmenden Anschaffungen
die nächsten Lager und Vorräthe natürlich zuerst ergriffen, so ist demzufolge
während der allgemeinen Stockungen des Krieges hier ein Umsatz entstanden,
der alles im Frieden Erhörte überbietet. Sachverständige schätzen den Verdienst
der wenigen Wochen, wo dieses Geschäft vor sich ging, für die Stadt allein
auf eine halbe bis drei Viertel Million Thaler. Die Bauern der Umgegend
haben natürlich auch ihren reichlichen Antheil daran, aber diese bergen in
noch immer geltendem unüberwindlichen Kleinmuth und Mißtrauen das erlöste
baare Geld, auf Zinsgenuß verzichtend, heimwärts in die Truhe oder gar
im heimlichen Verstecke.


durchgesetzt hatten, vermögen jetzt dem allgemeinen Unwillen über ihre An¬
wesenheit im Colleg kaum noch Stand zu halten.

Besser berathen, als die genannten Führer der Partei im Mittelpunkte
der Provinz, sind verschiedene ihrer Angehörigen zweiten Ranges gewesen.
Eine Anzahl bisher mißvergnügter Adliger hat ausdrücklich und öffentlich
erklärt, in diesem Kriege zu Preußen und Deutschland stehen zu wollen. Die
Herren Graf Borries, v. Rössing und v. Hammerstein, deren particuläre
Vorbehalte sich auch bisher schon durch Mäßigung auszeichneten, sollen sogar
eine Ergebenheits-Adresse des provinzialständischen Ausschusses an den König
mitunterzeichnet haben, ebenso wie der Bürgermeister der ultramontanen Stadt
Papenburg, Wahlkreises des bekannten zwei- oder mehrdeutigen Abgeordneten
Windthorst. Ja gewissermaßen der Geist der ehemaligen hannoverschen Ar¬
mee ging zu den Preußen über, als ihr letzter Generalstabschef, der General¬
stabschef von Langensalza, Oberst Cordemann, dem König Wilhelm seinen
Degen anbot und eine Etappen-Inspection übernahm. Es war hohe Zeit
für diesen Uebergang, denn in den breiten Tiefen des Volkes und namentlich
auch der ländlicken Bevölkerung hätte die natürliche, unabweisbare Theil¬
nahme an dem Geschick des die eigenen dienstpflichtigen Söhne umfassenden
preußischen Heeres sonst eine niemals auszufüllende Kluft zwischen den Spitzen
und den Massen ciusgerifsen. Schon mitten im Frieden war die mächtige
Wirkung der allgemeinen Wehrpflicht auf die Stimmung der Dörfer unver¬
kennbar; der Krieg mußte diese Wirkung besiegeln, Edelleute und Offiziere
mochten sich stellen wie sie wollten.

In der Hauptstadt, deren Gesinnungen unter allen Umständen von be¬
sonderer Wichtigkeit bleiben, kommen der Erhaltung und Befestigung des
Umschwungs gewisse Geschäftsverhältnisse ausnehmend zu Hilfe. Hannover
ist durch seine Lage, einmal als Hauptstation der Truppen-Transporte nach
dem Rhein, dann als militärisches Centrum der Küsten-Vertheidigung und
Sitz des Generalgouverneurs Vogel von Falckenstein ganz von selbst zu einem
großen Sammelplatz für Kriegsbedürfnisse aller Art und Ausrüstungsort sür
viele Tausende von Kriegern geworden. Da die vorzunehmenden Anschaffungen
die nächsten Lager und Vorräthe natürlich zuerst ergriffen, so ist demzufolge
während der allgemeinen Stockungen des Krieges hier ein Umsatz entstanden,
der alles im Frieden Erhörte überbietet. Sachverständige schätzen den Verdienst
der wenigen Wochen, wo dieses Geschäft vor sich ging, für die Stadt allein
auf eine halbe bis drei Viertel Million Thaler. Die Bauern der Umgegend
haben natürlich auch ihren reichlichen Antheil daran, aber diese bergen in
noch immer geltendem unüberwindlichen Kleinmuth und Mißtrauen das erlöste
baare Geld, auf Zinsgenuß verzichtend, heimwärts in die Truhe oder gar
im heimlichen Verstecke.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/402>, abgerufen am 29.06.2024.