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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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zu Statten kommen, daß mit der Annäherung der französischen Flotte an die
deutsche Seeküste -- auch so ein Ereigniß von denen, die die Phantasie reso¬
luter Welsenanhänger bis dahin gradezu berauscht hatten -- in der Provinz
der Kriegszustand erklärt werden mußte, der eine zweckmäßige Behandlung
der Führung sehr erleichterte, und daß diese Herren mit oder ohne Bewußt¬
sein und Absicht unvorsichtig genug waren, sich nicht der Situation entsprechend
ganz zurückzuhalten. Nehmen wir einen Augenblick an. ein Mann wie der
ehemalige hannoversche Minister v. Münchhausen oder der geborene Preuße
Redacteur Eichholz besitze noch deutsches Nationalgefühl genug, mit den
Franzosen unter keinen Umständen gemeinsame Sache machen zu wollen.
Dann war es Ehren- und Selbsterhaltungspflicht zugleich, im Augenblick der
Gewißheit des Krieges öffentlich einen scharfen Strich zu ziehen zwischen sich
und offenbaren Landesverräthern, dergleichen sich unter ihren bisherigen
Freunden jedenfalls fanden, z. B. die Umgebung des Königs Georg. Daß
sie dies unterließen, machte sie sittlich schon verdächtig und strafbar. Eine
rechtliche Blöße gaben sie sich, indem sie einen Erlaß an ihre Partei zum
Drucke beförderten, dessen deutsch-patriotische Farbe höchst zweideutig schillerte,
während der Kampf gegen den preußischen Staat darin ausdrücklich für fort¬
dauernd erklärt wurde. Die Unterzeichner wurden -- neben anderen Com-
promittirten -- in Gewahrsam genommen, ihre Zeitungen sistirt. Was sie
selbst betrifft, so gab es kein besseres Mittel, sie nach so viel Beweisen zweifel¬
hafter Gesinnung um ihrer selbst und der Ihrigen willen vor wirklichen ver¬
brecherischen Thaten, den Staat vor der Nothwendigkeit äußerster Schritte
gegen ein paar seiner eigenen Angehörigen, mitten im Existenzkampf, zu be¬
wahren. Die Abführung aber nach entlegenen Festungen und die vorläufige
Unterdrückung ihrer Organe hat zur Folge, die ihrem Worte lauschende be¬
thörte Menge während einer Reihe aufgeregter, die Stimmung neugestalten¬
der Wochen von dem gewohnten Einfluß loszumachen, sodaß vorurtheMfreiere
vaterländische Regungen und Gedanken in ihren Köpfen das Feld frei finden.
Wenn man sich ausmalt, was das heißen will in dieser hochecregten Zeit,
da noch weit begieriger als sonst Jedermann zur Zeitung greift, Jedermann
das Bedürfniß fühlt, sich mit Andern auszutauschen, so ergibt sich der Schluß
von selbst. Wenn die Herren v. Münchhausen, Schnell und Eichholz nach
wiederhergestelltem Völkerfrieden von Königsberg zurückkehren, werden sie die
wohlorganisirte Partei, welche sie vorher commandirten, zerstreut und fast ver¬
schwunden finden, Es wird die Frage sein, ob sie ihre Bude überhaupt
wieder aufschlagen können; jeden Gedanken an die alte Machtstellung auch
nur in einzelnen Communen werden sie aufgeben müssen. Die hauptstädtischen
Bürgervorsteher, welche sie erst vorigen Winter in bedeutender Mehrheit


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zu Statten kommen, daß mit der Annäherung der französischen Flotte an die
deutsche Seeküste — auch so ein Ereigniß von denen, die die Phantasie reso¬
luter Welsenanhänger bis dahin gradezu berauscht hatten — in der Provinz
der Kriegszustand erklärt werden mußte, der eine zweckmäßige Behandlung
der Führung sehr erleichterte, und daß diese Herren mit oder ohne Bewußt¬
sein und Absicht unvorsichtig genug waren, sich nicht der Situation entsprechend
ganz zurückzuhalten. Nehmen wir einen Augenblick an. ein Mann wie der
ehemalige hannoversche Minister v. Münchhausen oder der geborene Preuße
Redacteur Eichholz besitze noch deutsches Nationalgefühl genug, mit den
Franzosen unter keinen Umständen gemeinsame Sache machen zu wollen.
Dann war es Ehren- und Selbsterhaltungspflicht zugleich, im Augenblick der
Gewißheit des Krieges öffentlich einen scharfen Strich zu ziehen zwischen sich
und offenbaren Landesverräthern, dergleichen sich unter ihren bisherigen
Freunden jedenfalls fanden, z. B. die Umgebung des Königs Georg. Daß
sie dies unterließen, machte sie sittlich schon verdächtig und strafbar. Eine
rechtliche Blöße gaben sie sich, indem sie einen Erlaß an ihre Partei zum
Drucke beförderten, dessen deutsch-patriotische Farbe höchst zweideutig schillerte,
während der Kampf gegen den preußischen Staat darin ausdrücklich für fort¬
dauernd erklärt wurde. Die Unterzeichner wurden — neben anderen Com-
promittirten — in Gewahrsam genommen, ihre Zeitungen sistirt. Was sie
selbst betrifft, so gab es kein besseres Mittel, sie nach so viel Beweisen zweifel¬
hafter Gesinnung um ihrer selbst und der Ihrigen willen vor wirklichen ver¬
brecherischen Thaten, den Staat vor der Nothwendigkeit äußerster Schritte
gegen ein paar seiner eigenen Angehörigen, mitten im Existenzkampf, zu be¬
wahren. Die Abführung aber nach entlegenen Festungen und die vorläufige
Unterdrückung ihrer Organe hat zur Folge, die ihrem Worte lauschende be¬
thörte Menge während einer Reihe aufgeregter, die Stimmung neugestalten¬
der Wochen von dem gewohnten Einfluß loszumachen, sodaß vorurtheMfreiere
vaterländische Regungen und Gedanken in ihren Köpfen das Feld frei finden.
Wenn man sich ausmalt, was das heißen will in dieser hochecregten Zeit,
da noch weit begieriger als sonst Jedermann zur Zeitung greift, Jedermann
das Bedürfniß fühlt, sich mit Andern auszutauschen, so ergibt sich der Schluß
von selbst. Wenn die Herren v. Münchhausen, Schnell und Eichholz nach
wiederhergestelltem Völkerfrieden von Königsberg zurückkehren, werden sie die
wohlorganisirte Partei, welche sie vorher commandirten, zerstreut und fast ver¬
schwunden finden, Es wird die Frage sein, ob sie ihre Bude überhaupt
wieder aufschlagen können; jeden Gedanken an die alte Machtstellung auch
nur in einzelnen Communen werden sie aufgeben müssen. Die hauptstädtischen
Bürgervorsteher, welche sie erst vorigen Winter in bedeutender Mehrheit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/401>, abgerufen am 28.09.2024.