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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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wen niederzuschlagen. Die Partei, welche so entstand, sonderbar gemischt
aus den Junker-Familien, die einst das Land im Namen des fernen Mo¬
narchen allmächtig ausbeuteten, mißvergnügten Beamten und Offizieren, die
mit der Annexion ihre Konnexionen einbüßten, Hildesheim-Osnabrücker
Ultramontanen, denen Georg V. ein zärtlicher Landesvater gewesen war, und
preußenfeindlichen Radicalen, von denen der bekannteste ein geborner Ber¬
liner oder jedenfalls Mark-Brandenburger war -- diese so bunt zusammen¬
gesetzte Partei sah sich durch ein merkwürdiges Verhängniß getrieben, gleich
Dänen, Habsburger" und anderen erbitterten Feinden der nationalen Mission
Preußens und des Hauses Hohenzollern ihre Hoffnungen vorzugsweise
auf denselben Krieg mit Frankreich zu setzen, den ihre patriotischen Gegner
1866 und 67 in der entgegengesetzten Berechnung herbeigewünscht hatten.
Die Letzteren haben Recht behalten. Das Welfenthum ist heute in
Hannover todt, zum Nimmerauferstehen.

Selbst über die Erwartung der Sanguiniker hinaus entschied sich diese
Wendung in der Provinzialhauptstadt schon in der allerersten Nacht, welche
auf die Verkündigung des Krieges von Paris her folgte. Am Abend des
1ö. Juli, wo die kaum erwachte Besorgnis; zur ernsten Gewißheit wurde,
sammelten sich ohne alle Verabredung in ein paar öffentlichen Gärten zahl¬
reiche Bürger der gebildeteren und wohlhabenderen Klassen, unter ihnen ihre
Söhne, die als Freiwillige oder angehende Wehrmänner des Rufes zur
Fahne harrten; die Gespräche drehten sich wie natürlich um Frankreichs
herausfordernde Unverschämtheit, die ebenso würdevolle als gemäßigte Hal¬
tung des greisen Königs in Eins, und abermals ganz von selbst trieb die
Aufregung zu dem Entschluß, noch durch einige Straßen zu ziehen. Nun
mußte sich zeigen, ob die Stadt noch unter der Herrschaft eines welfischen
Pöbels stand, wie bis dahin unzweifelhaft. Aber flehe da, die Gegenrufe in
diesem Sinne ließen sich mit leichter Mühe ersticken; vor die Alternative ge¬
stellt, es mit den Franzosen zu halten oder still zu sein, wählte die Masse
der Bevölkerung, soweit sie nicht ohne Umstände ins nationale Lager über¬
ging , weislich das Letztere. Am 16. Juli ließ sich bereits mit voller Zu¬
versicht behaupten, daß Hannover über alle Versuchungen particularistischer
Sonderbündelei oder auch nur Lauheit in dieser kritischen Probe hinaus sei.
Die Entscheidung, welche in jener denkwürdigen Nacht ohne alle Zusammen¬
stöße und doch so bestimmt auf den Plätzen und Straßen erfolgt war, wieder¬
holte sich während der folgenden Tage in Clubs, Vereinen und öffentlichen
Localen, wo bis dahin etwa der Paiticularismus noch Repräsentanten ge¬
habt hatte. Es gab immer noch Porticularisten, aber sie wurden zusehends
mehr Offiziere und Unteroffiziere ohne Truppen.

Der völligen Auslösung der welfisch-particularistischen Partei sollte es sehr


wen niederzuschlagen. Die Partei, welche so entstand, sonderbar gemischt
aus den Junker-Familien, die einst das Land im Namen des fernen Mo¬
narchen allmächtig ausbeuteten, mißvergnügten Beamten und Offizieren, die
mit der Annexion ihre Konnexionen einbüßten, Hildesheim-Osnabrücker
Ultramontanen, denen Georg V. ein zärtlicher Landesvater gewesen war, und
preußenfeindlichen Radicalen, von denen der bekannteste ein geborner Ber¬
liner oder jedenfalls Mark-Brandenburger war — diese so bunt zusammen¬
gesetzte Partei sah sich durch ein merkwürdiges Verhängniß getrieben, gleich
Dänen, Habsburger« und anderen erbitterten Feinden der nationalen Mission
Preußens und des Hauses Hohenzollern ihre Hoffnungen vorzugsweise
auf denselben Krieg mit Frankreich zu setzen, den ihre patriotischen Gegner
1866 und 67 in der entgegengesetzten Berechnung herbeigewünscht hatten.
Die Letzteren haben Recht behalten. Das Welfenthum ist heute in
Hannover todt, zum Nimmerauferstehen.

Selbst über die Erwartung der Sanguiniker hinaus entschied sich diese
Wendung in der Provinzialhauptstadt schon in der allerersten Nacht, welche
auf die Verkündigung des Krieges von Paris her folgte. Am Abend des
1ö. Juli, wo die kaum erwachte Besorgnis; zur ernsten Gewißheit wurde,
sammelten sich ohne alle Verabredung in ein paar öffentlichen Gärten zahl¬
reiche Bürger der gebildeteren und wohlhabenderen Klassen, unter ihnen ihre
Söhne, die als Freiwillige oder angehende Wehrmänner des Rufes zur
Fahne harrten; die Gespräche drehten sich wie natürlich um Frankreichs
herausfordernde Unverschämtheit, die ebenso würdevolle als gemäßigte Hal¬
tung des greisen Königs in Eins, und abermals ganz von selbst trieb die
Aufregung zu dem Entschluß, noch durch einige Straßen zu ziehen. Nun
mußte sich zeigen, ob die Stadt noch unter der Herrschaft eines welfischen
Pöbels stand, wie bis dahin unzweifelhaft. Aber flehe da, die Gegenrufe in
diesem Sinne ließen sich mit leichter Mühe ersticken; vor die Alternative ge¬
stellt, es mit den Franzosen zu halten oder still zu sein, wählte die Masse
der Bevölkerung, soweit sie nicht ohne Umstände ins nationale Lager über¬
ging , weislich das Letztere. Am 16. Juli ließ sich bereits mit voller Zu¬
versicht behaupten, daß Hannover über alle Versuchungen particularistischer
Sonderbündelei oder auch nur Lauheit in dieser kritischen Probe hinaus sei.
Die Entscheidung, welche in jener denkwürdigen Nacht ohne alle Zusammen¬
stöße und doch so bestimmt auf den Plätzen und Straßen erfolgt war, wieder¬
holte sich während der folgenden Tage in Clubs, Vereinen und öffentlichen
Localen, wo bis dahin etwa der Paiticularismus noch Repräsentanten ge¬
habt hatte. Es gab immer noch Porticularisten, aber sie wurden zusehends
mehr Offiziere und Unteroffiziere ohne Truppen.

Der völligen Auslösung der welfisch-particularistischen Partei sollte es sehr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/400>, abgerufen am 26.06.2024.