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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Paradol. Derselbe sprach aus jedem Worte und bricht auch noch in seinen
beiden letzten höchst lehrreichen Vorträgen, die er im November v. I. in
Edinburgh über die sociale und politische Lage seines Vaterlandes hielt, auf
das heftigste hervor. Umso mehr war ich erstaunt, im Januar in den Zei¬
tungen zu lesen, daß er von Ollivier den Posten eines französischen Gesandten
in Washington angenommen habe. Ich begriff wohl, daß der Kaiser sich
beeilte, den dahin gehenden Vorschlag des Grafen Daru anzunehmen, wodurch
einer der gefährlichsten bisherigen Gegner des Kaiserreichs mundtodt gemacht
wurde, aber wie konnte ein so scharfsichtiger politischer Kopf an die Bekehrung
des Kaisers zum Parlamentarismus glauben? wie konnte er die Illusionen
theilen, welche sich die Liberalen über Ollivier machten? Später entsann ich
mich, daß in unserer erwähnten Unterhaltung die Rede auf Ollivier gekommen
war. den ich gleichfalls damals kennen gelernt und der mir, wie ich Paradol
offen bekannte, den Eindruck eines hohlen eiteln Kopfes gemacht hatte. Er
wollte das nicht gelten lassen; eitel sei Ollivier wohl, aber doch ein Talent,
von dem man Großes erwarten könne.

Die eigentliche Erklärung für die Annahme jenes diplomatischen Postens
war, daß Paradol die Schriftstellerei bis zum Ekel satt hatte, und da es ihm
nicht gelungen war, in die Kammer zu kommen, hoffte er in einer von den
Kämpfen der Parteien entfernten Stellung seine praktische politische Schule
zu machen. Der Wunsch, activ einzugreifen, ließ ihn an die Aufrichtigkeit des
Umschwungs glauben; das war ein schwerer Fehler, aber noch schwerer war
der, daß er an seinem Engagement festhielt, als mit Graf Daru's Rücktritt
und dem Plebescit der liberale Nimbus der neuen Aera auch für das blödeste
Auge geschwunden war. Er mag sich gegen Ollivier gebunden gehalten
haben, gewiß ist, daß seine Freunde ihm lebhafte Vorwürfe machten, daß
Grammont ihn schlecht behandelte, und daß er sich tief niedergeschlagen an seine
neue Bestimmung begab. Kaum dort eingetroffen, ereilte ihn die Nachricht
des von seiner Regierung ebenso frivol als ungeschickt angestellten Krieges,
außerdem wird erzählt, daß bei seinem ersten Besuche der Staatssecretär
Hamilton Fish, mit dem er früher befreundet gewesen, ihm angedeutet, daß
er bei ihm zwar stets auf die höfliche Aufnahme rechnen könne, die der fran¬
zösische Gesandte unter allen Umständen beanspruchen dürfe, daß aber eine
Fortsetzung des früheren persönlichen Verhältnisses mit dem Vertreter Napo¬
leons ihm nicht möglich sei.

Die grausame Enttäuschung über seinen unbedachten Optimismus trieb
Prevost-Paradol zur Verzweiflung und zum Selbstmord. Er selbst verthei¬
digte das Ende, das Cato sich gab, einmal mit den Worten: "mourir xour
ne riöli äövoir s. L^sar, mourir xour MS respirer houille xar Oe-
wvs, ce u'est xomt mourir, e'est ecckkxpör ü. es qu'ein üötöstö, e'est s'^Jever


Paradol. Derselbe sprach aus jedem Worte und bricht auch noch in seinen
beiden letzten höchst lehrreichen Vorträgen, die er im November v. I. in
Edinburgh über die sociale und politische Lage seines Vaterlandes hielt, auf
das heftigste hervor. Umso mehr war ich erstaunt, im Januar in den Zei¬
tungen zu lesen, daß er von Ollivier den Posten eines französischen Gesandten
in Washington angenommen habe. Ich begriff wohl, daß der Kaiser sich
beeilte, den dahin gehenden Vorschlag des Grafen Daru anzunehmen, wodurch
einer der gefährlichsten bisherigen Gegner des Kaiserreichs mundtodt gemacht
wurde, aber wie konnte ein so scharfsichtiger politischer Kopf an die Bekehrung
des Kaisers zum Parlamentarismus glauben? wie konnte er die Illusionen
theilen, welche sich die Liberalen über Ollivier machten? Später entsann ich
mich, daß in unserer erwähnten Unterhaltung die Rede auf Ollivier gekommen
war. den ich gleichfalls damals kennen gelernt und der mir, wie ich Paradol
offen bekannte, den Eindruck eines hohlen eiteln Kopfes gemacht hatte. Er
wollte das nicht gelten lassen; eitel sei Ollivier wohl, aber doch ein Talent,
von dem man Großes erwarten könne.

Die eigentliche Erklärung für die Annahme jenes diplomatischen Postens
war, daß Paradol die Schriftstellerei bis zum Ekel satt hatte, und da es ihm
nicht gelungen war, in die Kammer zu kommen, hoffte er in einer von den
Kämpfen der Parteien entfernten Stellung seine praktische politische Schule
zu machen. Der Wunsch, activ einzugreifen, ließ ihn an die Aufrichtigkeit des
Umschwungs glauben; das war ein schwerer Fehler, aber noch schwerer war
der, daß er an seinem Engagement festhielt, als mit Graf Daru's Rücktritt
und dem Plebescit der liberale Nimbus der neuen Aera auch für das blödeste
Auge geschwunden war. Er mag sich gegen Ollivier gebunden gehalten
haben, gewiß ist, daß seine Freunde ihm lebhafte Vorwürfe machten, daß
Grammont ihn schlecht behandelte, und daß er sich tief niedergeschlagen an seine
neue Bestimmung begab. Kaum dort eingetroffen, ereilte ihn die Nachricht
des von seiner Regierung ebenso frivol als ungeschickt angestellten Krieges,
außerdem wird erzählt, daß bei seinem ersten Besuche der Staatssecretär
Hamilton Fish, mit dem er früher befreundet gewesen, ihm angedeutet, daß
er bei ihm zwar stets auf die höfliche Aufnahme rechnen könne, die der fran¬
zösische Gesandte unter allen Umständen beanspruchen dürfe, daß aber eine
Fortsetzung des früheren persönlichen Verhältnisses mit dem Vertreter Napo¬
leons ihm nicht möglich sei.

Die grausame Enttäuschung über seinen unbedachten Optimismus trieb
Prevost-Paradol zur Verzweiflung und zum Selbstmord. Er selbst verthei¬
digte das Ende, das Cato sich gab, einmal mit den Worten: „mourir xour
ne riöli äövoir s. L^sar, mourir xour MS respirer houille xar Oe-
wvs, ce u'est xomt mourir, e'est ecckkxpör ü. es qu'ein üötöstö, e'est s'^Jever


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/398>, abgerufen am 26.06.2024.