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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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"Journal des De^half" zu werden. In diesem Blatte und später im
"Courrier du Dimanche" focht er den Kampf gegen den Imperialismus, der
bald keine Feder so sehr fürchtete, wie die seinige. Und mit Recht; denn seit
Paul Louis Courrier die Augen schloß, hat Niemand so glänzend die schnei¬
dende politische Invective geübt wie Pre'oost-Paradol. "Frankreich gleicht
einer schönen Frau am Hose, die vergeblich von den glänzendsten Männern
umworben, flieht, um mit einem Stallknecht zu leben. Sie wird von dem¬
selben geplündert, geschlagen, täglich mehr heruntergebracht, aber umsonst,
sie hat einmal an ihm Geschmack gewonnen und kann ihrer unwürdigen
Neigung nicht entrissen werden," -- das ist ein Thema seiner Feder.

Vergeblich verfolgte die Regierung jene beiden Blätter, in die er
schrieb, aufs äußerste, unterdrückte den Courrier und brachte es dahin, daß
ein gefälliges Gericht den unbequemen Kritiker zu mehrwöchentlicher Ge¬
fängnißstrafe verurtheilte. Sie konnte ihm die giftgetränkte Waffe nicht ent¬
reißen, mit welcher er das persönliche Regiment geißelte, er wußte in den Ketten
des Preßgesetzes zu tanzen und konnte die anscheinend unschuldigsten Notizen
aus den kalts äiverL so gruppiren, daß sie zur bittersten Ironie aus die
kaiserliche Willkürherrschaft wurden. Das ganze intelligente Frankreich zollte
ihm Beifall, und die Akademie, der bis in die neueste Zeit oppositionelle
Gesinnung eher eine Empfehlung als das Gegentheil war, öffnete dem glän¬
zenden publicistischen Talent ihre Thüren, als er kaum die Mitte der Dreißi¬
ger überschritten hatte. Bei der obligatorischen Vorstellung in den Tuilerien
beschränkte sich der Kaiser auf die Worte: "Ich bedaure, mein Herr, daß
Sie nicht zu meinen Freunden gehören" -- "Sire, ich bedaure gleichfalls,
nicht dazu gehören zu können" war die Antwort Paradols.

Aber diese literarischen Erfolge befriedigten den jungen Akademiker nicht.
"Was hilft mir das Lob?" sagte er, als ich ihn im Frühjahr 1868 kennen lernte,
"was ich schreibe, es bleibt "uf das Schicksal meines Vaterlandes ohne Ein¬
fluß, ich kann nicht einmal erreichen, in die Kammer gewählt zu werden; ich
kann nach meiner Ueberzeugung mich nicht in den Städten als socialdemokra¬
tischer Candidat aufstellen und ich bin nicht vermögend genug, um auf dem
Lande eine Wahlcampagne gegen die Macht der Präfecten zu unternehmen.
Das sind die Folgen eines Stimmrechts, das sich auf die ungebildeten Massen
stützt und des absoluten Regiments." -- Paradol hielt den Krieg zwischen
Deutschland und Frankreich für unvermeidlich, er gehörte zur Schule von
Thiers; wenn auch nicht so gegen die italienische Politik des Kaisers einge¬
nommen wie dieser, bezeichnete er doch die Nichtintervention im dänisch-deut¬
schen Kriege und die indirecie Förderung der italienisch-preußischen Allianz als
schwere Fehler der napoleonischen Politik, die zwar unverbesserlich seien, aber
doch Frankreich nie dazu bringen könnten, die wirkliche Einigung ganz Deutsch-


„Journal des De^half" zu werden. In diesem Blatte und später im
„Courrier du Dimanche" focht er den Kampf gegen den Imperialismus, der
bald keine Feder so sehr fürchtete, wie die seinige. Und mit Recht; denn seit
Paul Louis Courrier die Augen schloß, hat Niemand so glänzend die schnei¬
dende politische Invective geübt wie Pre'oost-Paradol. „Frankreich gleicht
einer schönen Frau am Hose, die vergeblich von den glänzendsten Männern
umworben, flieht, um mit einem Stallknecht zu leben. Sie wird von dem¬
selben geplündert, geschlagen, täglich mehr heruntergebracht, aber umsonst,
sie hat einmal an ihm Geschmack gewonnen und kann ihrer unwürdigen
Neigung nicht entrissen werden," — das ist ein Thema seiner Feder.

Vergeblich verfolgte die Regierung jene beiden Blätter, in die er
schrieb, aufs äußerste, unterdrückte den Courrier und brachte es dahin, daß
ein gefälliges Gericht den unbequemen Kritiker zu mehrwöchentlicher Ge¬
fängnißstrafe verurtheilte. Sie konnte ihm die giftgetränkte Waffe nicht ent¬
reißen, mit welcher er das persönliche Regiment geißelte, er wußte in den Ketten
des Preßgesetzes zu tanzen und konnte die anscheinend unschuldigsten Notizen
aus den kalts äiverL so gruppiren, daß sie zur bittersten Ironie aus die
kaiserliche Willkürherrschaft wurden. Das ganze intelligente Frankreich zollte
ihm Beifall, und die Akademie, der bis in die neueste Zeit oppositionelle
Gesinnung eher eine Empfehlung als das Gegentheil war, öffnete dem glän¬
zenden publicistischen Talent ihre Thüren, als er kaum die Mitte der Dreißi¬
ger überschritten hatte. Bei der obligatorischen Vorstellung in den Tuilerien
beschränkte sich der Kaiser auf die Worte: „Ich bedaure, mein Herr, daß
Sie nicht zu meinen Freunden gehören" — „Sire, ich bedaure gleichfalls,
nicht dazu gehören zu können" war die Antwort Paradols.

Aber diese literarischen Erfolge befriedigten den jungen Akademiker nicht.
„Was hilft mir das Lob?" sagte er, als ich ihn im Frühjahr 1868 kennen lernte,
„was ich schreibe, es bleibt «uf das Schicksal meines Vaterlandes ohne Ein¬
fluß, ich kann nicht einmal erreichen, in die Kammer gewählt zu werden; ich
kann nach meiner Ueberzeugung mich nicht in den Städten als socialdemokra¬
tischer Candidat aufstellen und ich bin nicht vermögend genug, um auf dem
Lande eine Wahlcampagne gegen die Macht der Präfecten zu unternehmen.
Das sind die Folgen eines Stimmrechts, das sich auf die ungebildeten Massen
stützt und des absoluten Regiments." — Paradol hielt den Krieg zwischen
Deutschland und Frankreich für unvermeidlich, er gehörte zur Schule von
Thiers; wenn auch nicht so gegen die italienische Politik des Kaisers einge¬
nommen wie dieser, bezeichnete er doch die Nichtintervention im dänisch-deut¬
schen Kriege und die indirecie Förderung der italienisch-preußischen Allianz als
schwere Fehler der napoleonischen Politik, die zwar unverbesserlich seien, aber
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[0396] „Journal des De^half" zu werden. In diesem Blatte und später im „Courrier du Dimanche" focht er den Kampf gegen den Imperialismus, der bald keine Feder so sehr fürchtete, wie die seinige. Und mit Recht; denn seit Paul Louis Courrier die Augen schloß, hat Niemand so glänzend die schnei¬ dende politische Invective geübt wie Pre'oost-Paradol. „Frankreich gleicht einer schönen Frau am Hose, die vergeblich von den glänzendsten Männern umworben, flieht, um mit einem Stallknecht zu leben. Sie wird von dem¬ selben geplündert, geschlagen, täglich mehr heruntergebracht, aber umsonst, sie hat einmal an ihm Geschmack gewonnen und kann ihrer unwürdigen Neigung nicht entrissen werden," — das ist ein Thema seiner Feder. Vergeblich verfolgte die Regierung jene beiden Blätter, in die er schrieb, aufs äußerste, unterdrückte den Courrier und brachte es dahin, daß ein gefälliges Gericht den unbequemen Kritiker zu mehrwöchentlicher Ge¬ fängnißstrafe verurtheilte. Sie konnte ihm die giftgetränkte Waffe nicht ent¬ reißen, mit welcher er das persönliche Regiment geißelte, er wußte in den Ketten des Preßgesetzes zu tanzen und konnte die anscheinend unschuldigsten Notizen aus den kalts äiverL so gruppiren, daß sie zur bittersten Ironie aus die kaiserliche Willkürherrschaft wurden. Das ganze intelligente Frankreich zollte ihm Beifall, und die Akademie, der bis in die neueste Zeit oppositionelle Gesinnung eher eine Empfehlung als das Gegentheil war, öffnete dem glän¬ zenden publicistischen Talent ihre Thüren, als er kaum die Mitte der Dreißi¬ ger überschritten hatte. Bei der obligatorischen Vorstellung in den Tuilerien beschränkte sich der Kaiser auf die Worte: „Ich bedaure, mein Herr, daß Sie nicht zu meinen Freunden gehören" — „Sire, ich bedaure gleichfalls, nicht dazu gehören zu können" war die Antwort Paradols. Aber diese literarischen Erfolge befriedigten den jungen Akademiker nicht. „Was hilft mir das Lob?" sagte er, als ich ihn im Frühjahr 1868 kennen lernte, „was ich schreibe, es bleibt «uf das Schicksal meines Vaterlandes ohne Ein¬ fluß, ich kann nicht einmal erreichen, in die Kammer gewählt zu werden; ich kann nach meiner Ueberzeugung mich nicht in den Städten als socialdemokra¬ tischer Candidat aufstellen und ich bin nicht vermögend genug, um auf dem Lande eine Wahlcampagne gegen die Macht der Präfecten zu unternehmen. Das sind die Folgen eines Stimmrechts, das sich auf die ungebildeten Massen stützt und des absoluten Regiments." — Paradol hielt den Krieg zwischen Deutschland und Frankreich für unvermeidlich, er gehörte zur Schule von Thiers; wenn auch nicht so gegen die italienische Politik des Kaisers einge¬ nommen wie dieser, bezeichnete er doch die Nichtintervention im dänisch-deut¬ schen Kriege und die indirecie Förderung der italienisch-preußischen Allianz als schwere Fehler der napoleonischen Politik, die zwar unverbesserlich seien, aber doch Frankreich nie dazu bringen könnten, die wirkliche Einigung ganz Deutsch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/396>, abgerufen am 26.06.2024.