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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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nothwendig alle Theile der Wissenschaft umgestaltenden Weltansicht. Sie
alle nahmen, der Eine an diesem, der Andre an jenem Punkt diese Umgestal-
tung in Angriff Sie alle trugen sich, bestimmter oder unbestimmter, mit der
Idee eines I^ovum OrMnon und einer neuen Verzeichnung des Globus in-
t<zik6olu5>.1is. Ein Einziger erreichte das Ziel, vor welchem die Anderen er¬
mattet liegen geblieben oder an dem sie vorbei geschossen waren. Was die
Hölderlin und Hülsen, die Novalis und Friedrich Schlegel, die Wilhelm
Schlegel und Schelling entweder nur geplant und geträumt oder nur unvoll¬
ständig und oberflächlich ausgeführt hatten, das brachte mit lückenloser Voll¬
ständigkeit und mit der ganzen Sicherheit der Meisterschaft He g el zu Stande.

Es ist kein geringer Ruhm, die treibenden und durcheinandergährenden
Kräfte einer großen wissenschaftlichen Revolution gegen einander in's Gleich¬
gewicht zu setzen und zu bändigen, den geistigen Gehalt einer ganzen langen
Periode der Bildung zu systematischer Ausstellung zu bringen. Man bringt
Ideen nicht leichter als Köpfe und Willen unter Einen Hut und man tritt
die Erbschaft so vieler bedeutender Geister nicht blos dadurch an, daß man
ein Späterkommender ist. Zum wirklichen Abschluß gelangt eine große Jdeen-
bewegung auch nicht durch ein blos eklektisches Verfahren, sondern nur durch
die zusammenhaltende Gewalt einer neuen, übergreifenden Grundanschauung.
So gewiß Hegel ein Vollender ist, so gewiß hat er in diesem Vollenden eine
bemerkenswerthe Originalität bewährt. Die Geschichte seiner Bildung
zeigt, wie er zwar alle die Anregungen, die ihm aus dem Studium des Alter¬
thums, aus unserer klassischen Dichtung, aus Kant und Fichte, aus dem
Ideenkreise der jungen romantischen Generation, aus der Schelling'schen
Philosophie kamen, auf sich wirken ließ, wie er aber gleichwohl in ganz eigen¬
artiger und scheinbar unbeholfener Weise mit allen diesen Elementen rang
und sie selbständig in der Werkstätte seines Geistes umbildete. Er ließ es
sich sauer werden, das Erworbene zu verarbeiten. Nichts kann verschiedener
sein, als die unruhige combinatorische Hast, mit welcher die Schlegel und
Schelling an den höchsten Problemen herumriethen, und der schwerfällige
Ernst, mit welchem Hegel das Bret allemal da bohrte, wo es am dicksten
war. Jene suchten gleichsam von der Peripherie aus zum Mittelpunkt, dieser
vom Mittelpunkt zur Peripherie sich durchzuarbeiten. Jene waren unendlich
fruchtbar in Fragmenten, Formeln und schematischen Entwürfen, bei diesem
wuchs langsam und allmählig aus gesundem Keim ein durch und durch
organisch gegliedertes System. Was er nur angriff, das wurde unter seinen
Händen System. System wurde ihm die Kritik der Theologie, die Kritik
der zerfallenen deutschen Reichsverfassung, die Kritik der Keine'schen Kritik
und jede Kritik, die er an irgend einem Gegner übte. Er konnte nicht anders:
er mußte mit einem die ganze Welt umfassenden Gedankengebäude enden.


nothwendig alle Theile der Wissenschaft umgestaltenden Weltansicht. Sie
alle nahmen, der Eine an diesem, der Andre an jenem Punkt diese Umgestal-
tung in Angriff Sie alle trugen sich, bestimmter oder unbestimmter, mit der
Idee eines I^ovum OrMnon und einer neuen Verzeichnung des Globus in-
t<zik6olu5>.1is. Ein Einziger erreichte das Ziel, vor welchem die Anderen er¬
mattet liegen geblieben oder an dem sie vorbei geschossen waren. Was die
Hölderlin und Hülsen, die Novalis und Friedrich Schlegel, die Wilhelm
Schlegel und Schelling entweder nur geplant und geträumt oder nur unvoll¬
ständig und oberflächlich ausgeführt hatten, das brachte mit lückenloser Voll¬
ständigkeit und mit der ganzen Sicherheit der Meisterschaft He g el zu Stande.

Es ist kein geringer Ruhm, die treibenden und durcheinandergährenden
Kräfte einer großen wissenschaftlichen Revolution gegen einander in's Gleich¬
gewicht zu setzen und zu bändigen, den geistigen Gehalt einer ganzen langen
Periode der Bildung zu systematischer Ausstellung zu bringen. Man bringt
Ideen nicht leichter als Köpfe und Willen unter Einen Hut und man tritt
die Erbschaft so vieler bedeutender Geister nicht blos dadurch an, daß man
ein Späterkommender ist. Zum wirklichen Abschluß gelangt eine große Jdeen-
bewegung auch nicht durch ein blos eklektisches Verfahren, sondern nur durch
die zusammenhaltende Gewalt einer neuen, übergreifenden Grundanschauung.
So gewiß Hegel ein Vollender ist, so gewiß hat er in diesem Vollenden eine
bemerkenswerthe Originalität bewährt. Die Geschichte seiner Bildung
zeigt, wie er zwar alle die Anregungen, die ihm aus dem Studium des Alter¬
thums, aus unserer klassischen Dichtung, aus Kant und Fichte, aus dem
Ideenkreise der jungen romantischen Generation, aus der Schelling'schen
Philosophie kamen, auf sich wirken ließ, wie er aber gleichwohl in ganz eigen¬
artiger und scheinbar unbeholfener Weise mit allen diesen Elementen rang
und sie selbständig in der Werkstätte seines Geistes umbildete. Er ließ es
sich sauer werden, das Erworbene zu verarbeiten. Nichts kann verschiedener
sein, als die unruhige combinatorische Hast, mit welcher die Schlegel und
Schelling an den höchsten Problemen herumriethen, und der schwerfällige
Ernst, mit welchem Hegel das Bret allemal da bohrte, wo es am dicksten
war. Jene suchten gleichsam von der Peripherie aus zum Mittelpunkt, dieser
vom Mittelpunkt zur Peripherie sich durchzuarbeiten. Jene waren unendlich
fruchtbar in Fragmenten, Formeln und schematischen Entwürfen, bei diesem
wuchs langsam und allmählig aus gesundem Keim ein durch und durch
organisch gegliedertes System. Was er nur angriff, das wurde unter seinen
Händen System. System wurde ihm die Kritik der Theologie, die Kritik
der zerfallenen deutschen Reichsverfassung, die Kritik der Keine'schen Kritik
und jede Kritik, die er an irgend einem Gegner übte. Er konnte nicht anders:
er mußte mit einem die ganze Welt umfassenden Gedankengebäude enden.


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[0390] nothwendig alle Theile der Wissenschaft umgestaltenden Weltansicht. Sie alle nahmen, der Eine an diesem, der Andre an jenem Punkt diese Umgestal- tung in Angriff Sie alle trugen sich, bestimmter oder unbestimmter, mit der Idee eines I^ovum OrMnon und einer neuen Verzeichnung des Globus in- t<zik6olu5>.1is. Ein Einziger erreichte das Ziel, vor welchem die Anderen er¬ mattet liegen geblieben oder an dem sie vorbei geschossen waren. Was die Hölderlin und Hülsen, die Novalis und Friedrich Schlegel, die Wilhelm Schlegel und Schelling entweder nur geplant und geträumt oder nur unvoll¬ ständig und oberflächlich ausgeführt hatten, das brachte mit lückenloser Voll¬ ständigkeit und mit der ganzen Sicherheit der Meisterschaft He g el zu Stande. Es ist kein geringer Ruhm, die treibenden und durcheinandergährenden Kräfte einer großen wissenschaftlichen Revolution gegen einander in's Gleich¬ gewicht zu setzen und zu bändigen, den geistigen Gehalt einer ganzen langen Periode der Bildung zu systematischer Ausstellung zu bringen. Man bringt Ideen nicht leichter als Köpfe und Willen unter Einen Hut und man tritt die Erbschaft so vieler bedeutender Geister nicht blos dadurch an, daß man ein Späterkommender ist. Zum wirklichen Abschluß gelangt eine große Jdeen- bewegung auch nicht durch ein blos eklektisches Verfahren, sondern nur durch die zusammenhaltende Gewalt einer neuen, übergreifenden Grundanschauung. So gewiß Hegel ein Vollender ist, so gewiß hat er in diesem Vollenden eine bemerkenswerthe Originalität bewährt. Die Geschichte seiner Bildung zeigt, wie er zwar alle die Anregungen, die ihm aus dem Studium des Alter¬ thums, aus unserer klassischen Dichtung, aus Kant und Fichte, aus dem Ideenkreise der jungen romantischen Generation, aus der Schelling'schen Philosophie kamen, auf sich wirken ließ, wie er aber gleichwohl in ganz eigen¬ artiger und scheinbar unbeholfener Weise mit allen diesen Elementen rang und sie selbständig in der Werkstätte seines Geistes umbildete. Er ließ es sich sauer werden, das Erworbene zu verarbeiten. Nichts kann verschiedener sein, als die unruhige combinatorische Hast, mit welcher die Schlegel und Schelling an den höchsten Problemen herumriethen, und der schwerfällige Ernst, mit welchem Hegel das Bret allemal da bohrte, wo es am dicksten war. Jene suchten gleichsam von der Peripherie aus zum Mittelpunkt, dieser vom Mittelpunkt zur Peripherie sich durchzuarbeiten. Jene waren unendlich fruchtbar in Fragmenten, Formeln und schematischen Entwürfen, bei diesem wuchs langsam und allmählig aus gesundem Keim ein durch und durch organisch gegliedertes System. Was er nur angriff, das wurde unter seinen Händen System. System wurde ihm die Kritik der Theologie, die Kritik der zerfallenen deutschen Reichsverfassung, die Kritik der Keine'schen Kritik und jede Kritik, die er an irgend einem Gegner übte. Er konnte nicht anders: er mußte mit einem die ganze Welt umfassenden Gedankengebäude enden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/390>, abgerufen am 26.06.2024.