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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Ueber unsere Feinde haben wir aufgehört uns zu verwundern. Der
Plan, Paris durch eine Einöde im Umkreise zu sichern, die zwecklose Austrei¬
bung unserer Landsleute, überhaupt der Durchbruch des nackten Rassen¬
hasses erinnert lebhaft an die barbarische Sittlichkeit der antiken Welt. Ein
Mithridates würde seine sultanische Freude daran haben; auch des Blutbe¬
fehls von Ephesos hätte er sich kaum zu schämen brauchen, wenn er die rüh¬
rende Ermunterung zum Meuchelmorde aus dem Munde des edlen Orleans
vernommen hätte. Das alles ist doch neben seiner Scheußlichkeit auch zu er¬
bärmlich, um sich darüber ganz ernsthaft zu erbittern.

Die fortgesetzten Siegeslügen Palikao's haben uns keinen Augenblick be¬
irrt; den Kern der Sache, die Stellung der Heere, hat er ja jetzt geflissent¬
lich mit keiner Silbe berührt. Erst nach den letzten Botschaften scheint die
Wahrheit drüben durchdringen zu müssen, denn endlich sind ja alle Nach¬
richten von Bazaine ausgeblieben. Man prophezeit diesem in der That hier
kein anderes Schicksal als das Mack's bei Ulm; nur daß die endliche Capi-
tulation diesmal ganz andere, nie dagewesene Dimensionen annehmen muß.
Vielleicht bekommen wir Metz selbst auf diese Weise viel schneller in die
Hände, denn wer weiß, wie lange es sich durch seine Festigkeit bei geringe¬
ren Zehrkräften im Innern nicht noch hätte halten können. Ein paar
wüthende Ausfallsversuche erwartet man indessen noch mit Bestimmtheit von
dem großen, unglücklichen Heere, über dessen Bravour nach dem, was es ge¬
leistet, nur eine Stimme der Anerkennung auch bei uns, den Gegnern, sein
kann. Kämpfen bei Chalons sieht man indeß kaum mehr entgegen, man
meint, der Feind werde sich beim Anmärsche des Kronprinzen eiligst auf
Paris zurückziehen.

Daß sich unsere Negierung in Elsaß und Lothringen vorläufig häuslich
niederläßt, hat Allen vielen Spaß gemacht; die meisten sahen es als gute
Vorbedeutung der Dinge an, die da kommen sollen. Das Bild in unseren
Wespen, wo der verwundete Soldat, eine Elsässer Bäuerin am Arme, vor
die Germania tritt mit den Worten: "Mutter, da bring' ich Dir die
Schwester aus der französischen Pension zurück", hat allgemeine Theilnahme
erregt.

Auch über die See hin haben ja nun unsere Schüsse geblitzt; als Muth-
probe haben wir es willkommen geheißen, aber etwas Entscheidendes kann
da nimmer erreicht werden; diesmal ist nicht, wie Pindar sagt, das Wasser
das vornehmste, sondern das Land, zuletzt und hoffentlich bald der alte blut¬
getränkte Erdfleck an der Seine! --


a,/D.


Ueber unsere Feinde haben wir aufgehört uns zu verwundern. Der
Plan, Paris durch eine Einöde im Umkreise zu sichern, die zwecklose Austrei¬
bung unserer Landsleute, überhaupt der Durchbruch des nackten Rassen¬
hasses erinnert lebhaft an die barbarische Sittlichkeit der antiken Welt. Ein
Mithridates würde seine sultanische Freude daran haben; auch des Blutbe¬
fehls von Ephesos hätte er sich kaum zu schämen brauchen, wenn er die rüh¬
rende Ermunterung zum Meuchelmorde aus dem Munde des edlen Orleans
vernommen hätte. Das alles ist doch neben seiner Scheußlichkeit auch zu er¬
bärmlich, um sich darüber ganz ernsthaft zu erbittern.

Die fortgesetzten Siegeslügen Palikao's haben uns keinen Augenblick be¬
irrt; den Kern der Sache, die Stellung der Heere, hat er ja jetzt geflissent¬
lich mit keiner Silbe berührt. Erst nach den letzten Botschaften scheint die
Wahrheit drüben durchdringen zu müssen, denn endlich sind ja alle Nach¬
richten von Bazaine ausgeblieben. Man prophezeit diesem in der That hier
kein anderes Schicksal als das Mack's bei Ulm; nur daß die endliche Capi-
tulation diesmal ganz andere, nie dagewesene Dimensionen annehmen muß.
Vielleicht bekommen wir Metz selbst auf diese Weise viel schneller in die
Hände, denn wer weiß, wie lange es sich durch seine Festigkeit bei geringe¬
ren Zehrkräften im Innern nicht noch hätte halten können. Ein paar
wüthende Ausfallsversuche erwartet man indessen noch mit Bestimmtheit von
dem großen, unglücklichen Heere, über dessen Bravour nach dem, was es ge¬
leistet, nur eine Stimme der Anerkennung auch bei uns, den Gegnern, sein
kann. Kämpfen bei Chalons sieht man indeß kaum mehr entgegen, man
meint, der Feind werde sich beim Anmärsche des Kronprinzen eiligst auf
Paris zurückziehen.

Daß sich unsere Negierung in Elsaß und Lothringen vorläufig häuslich
niederläßt, hat Allen vielen Spaß gemacht; die meisten sahen es als gute
Vorbedeutung der Dinge an, die da kommen sollen. Das Bild in unseren
Wespen, wo der verwundete Soldat, eine Elsässer Bäuerin am Arme, vor
die Germania tritt mit den Worten: „Mutter, da bring' ich Dir die
Schwester aus der französischen Pension zurück", hat allgemeine Theilnahme
erregt.

Auch über die See hin haben ja nun unsere Schüsse geblitzt; als Muth-
probe haben wir es willkommen geheißen, aber etwas Entscheidendes kann
da nimmer erreicht werden; diesmal ist nicht, wie Pindar sagt, das Wasser
das vornehmste, sondern das Land, zuletzt und hoffentlich bald der alte blut¬
getränkte Erdfleck an der Seine! —


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[0381] Ueber unsere Feinde haben wir aufgehört uns zu verwundern. Der Plan, Paris durch eine Einöde im Umkreise zu sichern, die zwecklose Austrei¬ bung unserer Landsleute, überhaupt der Durchbruch des nackten Rassen¬ hasses erinnert lebhaft an die barbarische Sittlichkeit der antiken Welt. Ein Mithridates würde seine sultanische Freude daran haben; auch des Blutbe¬ fehls von Ephesos hätte er sich kaum zu schämen brauchen, wenn er die rüh¬ rende Ermunterung zum Meuchelmorde aus dem Munde des edlen Orleans vernommen hätte. Das alles ist doch neben seiner Scheußlichkeit auch zu er¬ bärmlich, um sich darüber ganz ernsthaft zu erbittern. Die fortgesetzten Siegeslügen Palikao's haben uns keinen Augenblick be¬ irrt; den Kern der Sache, die Stellung der Heere, hat er ja jetzt geflissent¬ lich mit keiner Silbe berührt. Erst nach den letzten Botschaften scheint die Wahrheit drüben durchdringen zu müssen, denn endlich sind ja alle Nach¬ richten von Bazaine ausgeblieben. Man prophezeit diesem in der That hier kein anderes Schicksal als das Mack's bei Ulm; nur daß die endliche Capi- tulation diesmal ganz andere, nie dagewesene Dimensionen annehmen muß. Vielleicht bekommen wir Metz selbst auf diese Weise viel schneller in die Hände, denn wer weiß, wie lange es sich durch seine Festigkeit bei geringe¬ ren Zehrkräften im Innern nicht noch hätte halten können. Ein paar wüthende Ausfallsversuche erwartet man indessen noch mit Bestimmtheit von dem großen, unglücklichen Heere, über dessen Bravour nach dem, was es ge¬ leistet, nur eine Stimme der Anerkennung auch bei uns, den Gegnern, sein kann. Kämpfen bei Chalons sieht man indeß kaum mehr entgegen, man meint, der Feind werde sich beim Anmärsche des Kronprinzen eiligst auf Paris zurückziehen. Daß sich unsere Negierung in Elsaß und Lothringen vorläufig häuslich niederläßt, hat Allen vielen Spaß gemacht; die meisten sahen es als gute Vorbedeutung der Dinge an, die da kommen sollen. Das Bild in unseren Wespen, wo der verwundete Soldat, eine Elsässer Bäuerin am Arme, vor die Germania tritt mit den Worten: „Mutter, da bring' ich Dir die Schwester aus der französischen Pension zurück", hat allgemeine Theilnahme erregt. Auch über die See hin haben ja nun unsere Schüsse geblitzt; als Muth- probe haben wir es willkommen geheißen, aber etwas Entscheidendes kann da nimmer erreicht werden; diesmal ist nicht, wie Pindar sagt, das Wasser das vornehmste, sondern das Land, zuletzt und hoffentlich bald der alte blut¬ getränkte Erdfleck an der Seine! — a,/D.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/381>, abgerufen am 26.06.2024.