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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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blühende Ackerfelder. Das Land wurde der Cultur gewonnen, aber die ro¬
manische Race ward von der germanischen zurückgedrängt oder verschwand
in ihr. In Mexico selbst fing man seit dem Frieden von Guadeloupe (1848)
an, das Schicksal, von der stärkeren Race absorbirt zu werden, als unver¬
meidlich zu betrachten; man sah der Zukunft in dem Gefühl der eigenen
Schwäche mit Resignation entgegen. Und man hatte Ursache dazu. Völker¬
rechtliche Bedenken kannte Nordamerika damals noch nicht (seitdem scheint
sich in dieser Beziehung doch Manches geändert zu haben), und wo diese fehlen,
verfährt die Cultur gegen die Barbarei, wenn beide aneinanderstoßen, immer
nur nach dem Recht des Stärkeren. --

Wie lange und seit wann Napoleon sich mit dem Gedanken getragen
hat, in diesen Kampf des Germanenthums und Romanenthums einzugreifen,
ist zweifelhaft; als gewiß aber muß angenommen werden, daß der Entschluß
in ihm feststand von dem Augenblick an, wo die leidenschaftliche Erregung
der Süostaaten den Bürgerkrieg unvermeidlich machte, von dem Napoleon
den Zerfall der Union hoffte. War diese Hoffnung begründet, so hätte das
Unternehmen möglicherweise gelingen können: wenn nicht, dann ließ sich mit
voller Sicherheit voraussehen, daß er sein Werk entweder preisgeben oder
gegen Nordamerika vertheidigen müsse. Um den Erfolg seiner mexicanischen
Expedition zu sichern, hätte sich Napoleon also gleichzeitig an dem Kriege
der Secessionisten gegen die Nordstaaten betheiligen müssen, nicht, wie er wirklich
gethan, durch indirecte Mittel -- wodurch er den Nordstaaten nur Unde.
quemlichkeiten bereitete und sie erbitterte, ohne auf den Gang des Kampfes
den mindesten Einfluß auszuüben, -- sondern durch offene Kriegshilfe. Da¬
durch hätte sein Unternehmen doch wenigstens einen Halt bekommen, während
es auf einer ganz willkürlichen Voraussetzung beruhte und völlig in der
Luft schwebte. Unzweifelhaft ist er auch mit dem Gedanken an einen Krieg
gegen Nordamerika mit Hilfe Englands umgegangen; indessen auch England
begnügte sich mit indirecter Unterstützung der Südstaaten und war weit da¬
von entfernt, sich von Napoleon zu einer activen Politik verleiten zu lassen.
Aber bei allen diesen unheilvollen Unternehmungen rechnete der Kaiser mit
Wünschen als ob sie Thatsachen wären. Wenn er nicht bereits völlig unter
der Herrschaft seiner phantastischen Illusionen gestanden, wenn er nicht das
Maß für die Natur der Verhältnisse verloren hätte, so hätte er nimmer¬
mehr ohne vorhergegangene Verständigung mit England an die Ausführung
seiner mexicanischen Entwürfe gehen können.

Ueber den ersten Act des mexicanischen Dramas bis zum Bruch der Con¬
vention von Soledad liefert die deutsche Uebersetzung der von dem bekannten
Element Duvernois verfaßten Schrift "über die französische Interven¬
tion in Mexico" 1870 (Verlag von Stöckhardt in Stuttgart) schätzenswerthe


blühende Ackerfelder. Das Land wurde der Cultur gewonnen, aber die ro¬
manische Race ward von der germanischen zurückgedrängt oder verschwand
in ihr. In Mexico selbst fing man seit dem Frieden von Guadeloupe (1848)
an, das Schicksal, von der stärkeren Race absorbirt zu werden, als unver¬
meidlich zu betrachten; man sah der Zukunft in dem Gefühl der eigenen
Schwäche mit Resignation entgegen. Und man hatte Ursache dazu. Völker¬
rechtliche Bedenken kannte Nordamerika damals noch nicht (seitdem scheint
sich in dieser Beziehung doch Manches geändert zu haben), und wo diese fehlen,
verfährt die Cultur gegen die Barbarei, wenn beide aneinanderstoßen, immer
nur nach dem Recht des Stärkeren. —

Wie lange und seit wann Napoleon sich mit dem Gedanken getragen
hat, in diesen Kampf des Germanenthums und Romanenthums einzugreifen,
ist zweifelhaft; als gewiß aber muß angenommen werden, daß der Entschluß
in ihm feststand von dem Augenblick an, wo die leidenschaftliche Erregung
der Süostaaten den Bürgerkrieg unvermeidlich machte, von dem Napoleon
den Zerfall der Union hoffte. War diese Hoffnung begründet, so hätte das
Unternehmen möglicherweise gelingen können: wenn nicht, dann ließ sich mit
voller Sicherheit voraussehen, daß er sein Werk entweder preisgeben oder
gegen Nordamerika vertheidigen müsse. Um den Erfolg seiner mexicanischen
Expedition zu sichern, hätte sich Napoleon also gleichzeitig an dem Kriege
der Secessionisten gegen die Nordstaaten betheiligen müssen, nicht, wie er wirklich
gethan, durch indirecte Mittel — wodurch er den Nordstaaten nur Unde.
quemlichkeiten bereitete und sie erbitterte, ohne auf den Gang des Kampfes
den mindesten Einfluß auszuüben, — sondern durch offene Kriegshilfe. Da¬
durch hätte sein Unternehmen doch wenigstens einen Halt bekommen, während
es auf einer ganz willkürlichen Voraussetzung beruhte und völlig in der
Luft schwebte. Unzweifelhaft ist er auch mit dem Gedanken an einen Krieg
gegen Nordamerika mit Hilfe Englands umgegangen; indessen auch England
begnügte sich mit indirecter Unterstützung der Südstaaten und war weit da¬
von entfernt, sich von Napoleon zu einer activen Politik verleiten zu lassen.
Aber bei allen diesen unheilvollen Unternehmungen rechnete der Kaiser mit
Wünschen als ob sie Thatsachen wären. Wenn er nicht bereits völlig unter
der Herrschaft seiner phantastischen Illusionen gestanden, wenn er nicht das
Maß für die Natur der Verhältnisse verloren hätte, so hätte er nimmer¬
mehr ohne vorhergegangene Verständigung mit England an die Ausführung
seiner mexicanischen Entwürfe gehen können.

Ueber den ersten Act des mexicanischen Dramas bis zum Bruch der Con¬
vention von Soledad liefert die deutsche Uebersetzung der von dem bekannten
Element Duvernois verfaßten Schrift „über die französische Interven¬
tion in Mexico" 1870 (Verlag von Stöckhardt in Stuttgart) schätzenswerthe


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[0366] blühende Ackerfelder. Das Land wurde der Cultur gewonnen, aber die ro¬ manische Race ward von der germanischen zurückgedrängt oder verschwand in ihr. In Mexico selbst fing man seit dem Frieden von Guadeloupe (1848) an, das Schicksal, von der stärkeren Race absorbirt zu werden, als unver¬ meidlich zu betrachten; man sah der Zukunft in dem Gefühl der eigenen Schwäche mit Resignation entgegen. Und man hatte Ursache dazu. Völker¬ rechtliche Bedenken kannte Nordamerika damals noch nicht (seitdem scheint sich in dieser Beziehung doch Manches geändert zu haben), und wo diese fehlen, verfährt die Cultur gegen die Barbarei, wenn beide aneinanderstoßen, immer nur nach dem Recht des Stärkeren. — Wie lange und seit wann Napoleon sich mit dem Gedanken getragen hat, in diesen Kampf des Germanenthums und Romanenthums einzugreifen, ist zweifelhaft; als gewiß aber muß angenommen werden, daß der Entschluß in ihm feststand von dem Augenblick an, wo die leidenschaftliche Erregung der Süostaaten den Bürgerkrieg unvermeidlich machte, von dem Napoleon den Zerfall der Union hoffte. War diese Hoffnung begründet, so hätte das Unternehmen möglicherweise gelingen können: wenn nicht, dann ließ sich mit voller Sicherheit voraussehen, daß er sein Werk entweder preisgeben oder gegen Nordamerika vertheidigen müsse. Um den Erfolg seiner mexicanischen Expedition zu sichern, hätte sich Napoleon also gleichzeitig an dem Kriege der Secessionisten gegen die Nordstaaten betheiligen müssen, nicht, wie er wirklich gethan, durch indirecte Mittel — wodurch er den Nordstaaten nur Unde. quemlichkeiten bereitete und sie erbitterte, ohne auf den Gang des Kampfes den mindesten Einfluß auszuüben, — sondern durch offene Kriegshilfe. Da¬ durch hätte sein Unternehmen doch wenigstens einen Halt bekommen, während es auf einer ganz willkürlichen Voraussetzung beruhte und völlig in der Luft schwebte. Unzweifelhaft ist er auch mit dem Gedanken an einen Krieg gegen Nordamerika mit Hilfe Englands umgegangen; indessen auch England begnügte sich mit indirecter Unterstützung der Südstaaten und war weit da¬ von entfernt, sich von Napoleon zu einer activen Politik verleiten zu lassen. Aber bei allen diesen unheilvollen Unternehmungen rechnete der Kaiser mit Wünschen als ob sie Thatsachen wären. Wenn er nicht bereits völlig unter der Herrschaft seiner phantastischen Illusionen gestanden, wenn er nicht das Maß für die Natur der Verhältnisse verloren hätte, so hätte er nimmer¬ mehr ohne vorhergegangene Verständigung mit England an die Ausführung seiner mexicanischen Entwürfe gehen können. Ueber den ersten Act des mexicanischen Dramas bis zum Bruch der Con¬ vention von Soledad liefert die deutsche Uebersetzung der von dem bekannten Element Duvernois verfaßten Schrift „über die französische Interven¬ tion in Mexico" 1870 (Verlag von Stöckhardt in Stuttgart) schätzenswerthe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/366>, abgerufen am 26.06.2024.