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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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der verderbliche Krieg ausbrach, die ersten Schritte auf dieser Bahn bereits
gethan hatte. Ein Staat, den die ungeheuerste Uebermacht nicht demüthigen
konnte, der nicht eher besiegt war, als bis man ihn zertrümmert hatte, steht
jedenfalls höher, als alle die Republiken, in denen ein entartetes Geschlecht
sich jedem Abenteurer, der es für gut befindet, sich als Retter des Vater¬
landes zu pronunciren, willig unterwirft, um nach einigen Monaten einen
anderen Glücksritter, der um Nichts besser ist, als Befreier zu begrüßen.

Unter allen romanischen Staaten Amerikas nimmt Mexico wegen seiner
bevorzugten geographischen Lage und seines unerschöpflichen Reichthums an
Bodenproducten aller Art die erste Stelle ein. Von zwei Oceanen bespült,
beherrscht es, zwar nicht politisch, aber doch geographisch die gewissermaßen
einen Ausläufer und ein Anhängsel des massenhaften mexikanischen Hoch'
landes bildende merkwürdige Verengung des Continents, die den menschlichen
Unternehmungsgeist zu einer künstlichen Verbindung der von der Natur ge¬
trennten beiden Weltmeere auffordert. In drei Terrassen erhebt sich Mexico
von dem glühend heißen ungesunden Küstenstriche zu dem mächtigen Central-
plateau des Binnenlandes, über welches ein ewiger Frühling alle seine Gaben
mit verschwenderischer Hand ausstreut, während die Tiefen der Erde uner¬
schöpfliche Schätze an den verschiedensten Mineralien bergen. Was dem Lande
fehlt, das sind bet dem Mangel an größeren Flüssen und entwickelten Strom¬
systemen natürliche Communicationsmittel, an deren Ersatz durch Wegebauten
man so wenig denkt, daß man sogar die alten, von den Spaniern angelegten
Kunststraßen kläglich hat verfallen lassen. Es ist ein Land, das von einer
energischen Bevölkerung bewohnt, eine glänzende Zukunft haben würde, das
aber, bei der Fortdauer der gegenwärtigen Verhältnisse schwerlich zu der
Entwickelung gelangen wird, zu welcher die Natur es befähigt.

Denn die Creolenbevölkerung in Mexico steht in keiner Beziehung höher,
als die des übrigen ehemals spanischen Colonialbssitzes in Amerika. Sie ist
in Mexico ebenso indolent, ebenso unwissend, ebenso zuchtlos wie in Süd¬
amerika. Um Nichts besser sind die zahlreichen Mischlinge. Drei Fünftel
der 7--8 Millionen Bewohner Mexicos sind unvermischte Indianer. Von die¬
sen sind die wildesten Stämme, die sogenannten Jndianos bravos, der Schrecken
des Landes. Ein großer Theil der Indianer (die ^s. insngos) ist dagegen
seßhaft und disciplinirt, steht aber völlig unter der Herrschaft des Clerus,
der im Laufe der Zeit die anfängliche Rolle des Beschützers mit der des ab¬
soluten Gebieters vertauscht hat, seine Schützlinge in der gröbsten Unwissen¬
heit und dem barbarischsten Aberglauben hält und die Einfalt derselben mit
so schamlosem Eigennutz ausbeutet, daß endlich die Civilautoritäten einschrei¬
ten mußten, wodurch indessen das Loos der Indianer sich nur noch ver¬
schlimmerte, da sie nun von zwei Seiten ausgeplündert wurden. In diesem


der verderbliche Krieg ausbrach, die ersten Schritte auf dieser Bahn bereits
gethan hatte. Ein Staat, den die ungeheuerste Uebermacht nicht demüthigen
konnte, der nicht eher besiegt war, als bis man ihn zertrümmert hatte, steht
jedenfalls höher, als alle die Republiken, in denen ein entartetes Geschlecht
sich jedem Abenteurer, der es für gut befindet, sich als Retter des Vater¬
landes zu pronunciren, willig unterwirft, um nach einigen Monaten einen
anderen Glücksritter, der um Nichts besser ist, als Befreier zu begrüßen.

Unter allen romanischen Staaten Amerikas nimmt Mexico wegen seiner
bevorzugten geographischen Lage und seines unerschöpflichen Reichthums an
Bodenproducten aller Art die erste Stelle ein. Von zwei Oceanen bespült,
beherrscht es, zwar nicht politisch, aber doch geographisch die gewissermaßen
einen Ausläufer und ein Anhängsel des massenhaften mexikanischen Hoch'
landes bildende merkwürdige Verengung des Continents, die den menschlichen
Unternehmungsgeist zu einer künstlichen Verbindung der von der Natur ge¬
trennten beiden Weltmeere auffordert. In drei Terrassen erhebt sich Mexico
von dem glühend heißen ungesunden Küstenstriche zu dem mächtigen Central-
plateau des Binnenlandes, über welches ein ewiger Frühling alle seine Gaben
mit verschwenderischer Hand ausstreut, während die Tiefen der Erde uner¬
schöpfliche Schätze an den verschiedensten Mineralien bergen. Was dem Lande
fehlt, das sind bet dem Mangel an größeren Flüssen und entwickelten Strom¬
systemen natürliche Communicationsmittel, an deren Ersatz durch Wegebauten
man so wenig denkt, daß man sogar die alten, von den Spaniern angelegten
Kunststraßen kläglich hat verfallen lassen. Es ist ein Land, das von einer
energischen Bevölkerung bewohnt, eine glänzende Zukunft haben würde, das
aber, bei der Fortdauer der gegenwärtigen Verhältnisse schwerlich zu der
Entwickelung gelangen wird, zu welcher die Natur es befähigt.

Denn die Creolenbevölkerung in Mexico steht in keiner Beziehung höher,
als die des übrigen ehemals spanischen Colonialbssitzes in Amerika. Sie ist
in Mexico ebenso indolent, ebenso unwissend, ebenso zuchtlos wie in Süd¬
amerika. Um Nichts besser sind die zahlreichen Mischlinge. Drei Fünftel
der 7—8 Millionen Bewohner Mexicos sind unvermischte Indianer. Von die¬
sen sind die wildesten Stämme, die sogenannten Jndianos bravos, der Schrecken
des Landes. Ein großer Theil der Indianer (die ^s. insngos) ist dagegen
seßhaft und disciplinirt, steht aber völlig unter der Herrschaft des Clerus,
der im Laufe der Zeit die anfängliche Rolle des Beschützers mit der des ab¬
soluten Gebieters vertauscht hat, seine Schützlinge in der gröbsten Unwissen¬
heit und dem barbarischsten Aberglauben hält und die Einfalt derselben mit
so schamlosem Eigennutz ausbeutet, daß endlich die Civilautoritäten einschrei¬
ten mußten, wodurch indessen das Loos der Indianer sich nur noch ver¬
schlimmerte, da sie nun von zwei Seiten ausgeplündert wurden. In diesem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/364>, abgerufen am 26.06.2024.