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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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stehen, zu schnödem Eigennutze mißbraucht. Er war den dunkeln Mächten
verfallen, die keines Menschen Kunst vertraulich macht.

Aber je enger die Kreise, in die er sich verstrickt hatte, sich um ihn zu¬
sammenzogen, um so ausschweifender und maßloser wurden seine Entwürfe.
Mußte er den Plan vertagen, Europa zu beherrschen, so vermochte er viel¬
leicht die Welt zu blenden; hatte er die Ultramontanen durch seine italieni¬
sche Politik sich entfremdet, so gab es vielleicht jenseits des Oceans einen Punkt,
wo er den Hebel ansetzen konnte, um sie wieder zu gewinnen. Er fand den
Punkt, aber zu seinem Verderben. --

Die Zustände Mexicos wie sämmtlicher aus dem früheren spanischen Co-
lonialbesitz hervorgegangener Republiken waren und sind so traurig, daß die
Frage wohl berechtigt ist, ob es diesen von der Natur so reich gesegneten
Ländern gelingen wird, sich aus ihrer geistigen Erstarrung, sittlichen Verwil¬
derung und politischen Zerrüttung mit eigener Kraft emporzuarbeiten. Alle
Fehler des Romanismus, die in Europa durch den Wechselverkehr mit den
auf der höchsten Stufe der Civilisation stehenden Nationen gemildert wer¬
den, stehen jenseits des Oceans in üppigster Blüthe. Auch des Haltes, wel¬
cher den Spaniern und Italienern die Erinnerung an eine theils durch den
Ruhm großer Thaten von geschichtlicher Bedeutung, theils durch den Glanz
einer hohen künstlerischen und wissenschaftlichen Bildung verklärte Vergangen¬
heit gibt, entbehren die spanischen Tochterrepubliken. Hinter ihnen liegt eine
Ruhe von Demüthigungen, Entwürdigungen und Leiden. Von jeder Be¬
rührung mit der Civilisation durch die spanische Regierung geflissentlich ab¬
geschlossen, kannten sie Jahrhunderte hindurch kein höheres Ziel, als
leichten Erwerb und ein träges Genußleben; und so lange der Creole diesem
Leben sich ungestört hingeben konnte, fühlte er sich zufrieden und wünschte
Nichts weniger als eine Veränderung seines Looses. Erst als der Eigennutz
des spanischen Handelsstandes, die Raubsucht der Vicekönige und Statthalter
anfing, die Colonien wie unterthänige Lande zu behandeln, die man auszu¬
plündern und in jeder Weise zu bedrücken berechtigt sei, als Schaaren,
heruntergekommener Hidalgos sich als Beamte in die Colonie schicken küßen
um nach einiger Zeit mit dem von den Creolen erpreßten Raube als reiche
Leute in die Heimath zurückzukehren und anderen Glücksjägern Platz zu
machen zu gleichem Treiben: da erst erwachte in der erschlafften Colonial-
bevölkerung ein Geist des Mißmuths, der allmählich sich steigernd unter den
Nachwirkungen des nordamerikanischen Freiheitskampfes und der Zerrüttung
des Mutterlandes in offene Widersetzlichkeit umschlug.

Der Befreiungskampf der Colonie ist die erste geschichtliche That, welche
seit den Tagen der Conquistadoren Bewegung in die stockenden Säfte des
Creolenthums gebracht hat. Die Bewegung erreichte das erstrebte Ziel, die


stehen, zu schnödem Eigennutze mißbraucht. Er war den dunkeln Mächten
verfallen, die keines Menschen Kunst vertraulich macht.

Aber je enger die Kreise, in die er sich verstrickt hatte, sich um ihn zu¬
sammenzogen, um so ausschweifender und maßloser wurden seine Entwürfe.
Mußte er den Plan vertagen, Europa zu beherrschen, so vermochte er viel¬
leicht die Welt zu blenden; hatte er die Ultramontanen durch seine italieni¬
sche Politik sich entfremdet, so gab es vielleicht jenseits des Oceans einen Punkt,
wo er den Hebel ansetzen konnte, um sie wieder zu gewinnen. Er fand den
Punkt, aber zu seinem Verderben. —

Die Zustände Mexicos wie sämmtlicher aus dem früheren spanischen Co-
lonialbesitz hervorgegangener Republiken waren und sind so traurig, daß die
Frage wohl berechtigt ist, ob es diesen von der Natur so reich gesegneten
Ländern gelingen wird, sich aus ihrer geistigen Erstarrung, sittlichen Verwil¬
derung und politischen Zerrüttung mit eigener Kraft emporzuarbeiten. Alle
Fehler des Romanismus, die in Europa durch den Wechselverkehr mit den
auf der höchsten Stufe der Civilisation stehenden Nationen gemildert wer¬
den, stehen jenseits des Oceans in üppigster Blüthe. Auch des Haltes, wel¬
cher den Spaniern und Italienern die Erinnerung an eine theils durch den
Ruhm großer Thaten von geschichtlicher Bedeutung, theils durch den Glanz
einer hohen künstlerischen und wissenschaftlichen Bildung verklärte Vergangen¬
heit gibt, entbehren die spanischen Tochterrepubliken. Hinter ihnen liegt eine
Ruhe von Demüthigungen, Entwürdigungen und Leiden. Von jeder Be¬
rührung mit der Civilisation durch die spanische Regierung geflissentlich ab¬
geschlossen, kannten sie Jahrhunderte hindurch kein höheres Ziel, als
leichten Erwerb und ein träges Genußleben; und so lange der Creole diesem
Leben sich ungestört hingeben konnte, fühlte er sich zufrieden und wünschte
Nichts weniger als eine Veränderung seines Looses. Erst als der Eigennutz
des spanischen Handelsstandes, die Raubsucht der Vicekönige und Statthalter
anfing, die Colonien wie unterthänige Lande zu behandeln, die man auszu¬
plündern und in jeder Weise zu bedrücken berechtigt sei, als Schaaren,
heruntergekommener Hidalgos sich als Beamte in die Colonie schicken küßen
um nach einiger Zeit mit dem von den Creolen erpreßten Raube als reiche
Leute in die Heimath zurückzukehren und anderen Glücksjägern Platz zu
machen zu gleichem Treiben: da erst erwachte in der erschlafften Colonial-
bevölkerung ein Geist des Mißmuths, der allmählich sich steigernd unter den
Nachwirkungen des nordamerikanischen Freiheitskampfes und der Zerrüttung
des Mutterlandes in offene Widersetzlichkeit umschlug.

Der Befreiungskampf der Colonie ist die erste geschichtliche That, welche
seit den Tagen der Conquistadoren Bewegung in die stockenden Säfte des
Creolenthums gebracht hat. Die Bewegung erreichte das erstrebte Ziel, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/362>, abgerufen am 26.06.2024.