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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Furcht, daß der Annexion der abgefallenen römischen Provinzen die Annexion
der Hauptstadt selbst und damit der Sturz der weltlichen Herrschaft des
Papstes auf dem Fuße folgen würde. In dieser Beziehung irrten sie sich je¬
doch. Die Existenz des Kirchenstaates bildete einen der großen Knotenpunkte
des napoleonischen Systems. Die Schutzherrschaft über den Papst sicherte
ihm einen überwiegenden Einfluß auf Italien und zugleich auf die Ultra¬
montanen Frankreichs, die ihn wohl angreifen konnten, aber doch im ent¬
scheidenden Augenblicke den Mann nicht im Stich lassen durften, von dessen
Wink das Dasein der weltlichen Macht des Papstes abhing. Außerdem war
ihm der Papst für seine ausschweifenden Weltherrschaftspläne unentbehrlich.
Alle diese Dienste aber konnte ihm Pius nur leisten, wenn er wenigstens
im Besitz eines Theiles seiner Staaten verblieb; denn ein Papst ohne welt¬
lichen Besitz hätte aufgehört, der Schützling Frankreichs zu sein. Von Rom
aus beherrschte Napoleon Italien und als Beschützer der Reste des Patri-
moniums Petri war er sicher, daß die Ausfälle der Ultramontanen weiter
Nichts als iras amantium seien.

Aber auch der Groll der Liebenden kann gefährlich werden. Die Noth¬
wendigkeit, den Univers zu unterdrücken, dessen Sprache von Tag zu Tag
herausfordernder wurde, war immer ein höchst bedenkliches Symptom in
einem Augenblicke, wo ganz Europa von tiefstem Mißtrauen gegen das
Kaiserthum erfüllt, wo Napoleons Congreßidee gescheitert war, weil keine
Macht Neigung hatte, die Verantwortung für die Zustände Italiens mit
Frankreich zu theilen, wo England dem Verbündeten vom Krimkriege alle
möglichen Verdrießlichkeiten bereitete, wo die nationale Einheitsbewegung in
Italien alle Schranken umgeworfen hatte, in welche der Kaiser sie einzudäm¬
men gedacht. Und was das Schlimmste war: in Frankreich selbst herrschte
eine nichts weniger als Vertrauen erweckende Stimmung. Der Chauvinis¬
mus war erbittert über jeden Fortschritt der italienischen Einheit und der
Liberalismus war weit entfernt, Napleon diesen Fortschritt als Verdienst an¬
zurechnen. Er schwieg, aber er war unversöhnlich. - Selbst der so verdienst¬
volle Handels vertrag mit England hatte zunächst nur die Wirkung, die' ein¬
flußreichen Pr otectionisten zu verstimmen, ohne doch die Liberalen mit dank¬
barer Gesinnung zu erfüllen. Kurz, der Kaiser sah nach einem siegreichen
Feldzuge Frankreich in Europa, sich in Frankreich isolirt. Von dem trüge¬
rischen Glauben an seinen Stern verleitet, hatte er die durch den russischen
Krieg gewonnene breite und feste Basis seiner politischen Macht mit eigener
Hand zerstört, hatte er einen Pfad beschritten, auf dem es keinen Haltepunkt
gab, auf dem er selbst sich kein Ziel stecken konnte. Er hatte die höchste
Idee des Jahrhunderts, die er und sein Frankreich unfähig waren, zu ver-


Grenzboten III. 1870. 46

Furcht, daß der Annexion der abgefallenen römischen Provinzen die Annexion
der Hauptstadt selbst und damit der Sturz der weltlichen Herrschaft des
Papstes auf dem Fuße folgen würde. In dieser Beziehung irrten sie sich je¬
doch. Die Existenz des Kirchenstaates bildete einen der großen Knotenpunkte
des napoleonischen Systems. Die Schutzherrschaft über den Papst sicherte
ihm einen überwiegenden Einfluß auf Italien und zugleich auf die Ultra¬
montanen Frankreichs, die ihn wohl angreifen konnten, aber doch im ent¬
scheidenden Augenblicke den Mann nicht im Stich lassen durften, von dessen
Wink das Dasein der weltlichen Macht des Papstes abhing. Außerdem war
ihm der Papst für seine ausschweifenden Weltherrschaftspläne unentbehrlich.
Alle diese Dienste aber konnte ihm Pius nur leisten, wenn er wenigstens
im Besitz eines Theiles seiner Staaten verblieb; denn ein Papst ohne welt¬
lichen Besitz hätte aufgehört, der Schützling Frankreichs zu sein. Von Rom
aus beherrschte Napoleon Italien und als Beschützer der Reste des Patri-
moniums Petri war er sicher, daß die Ausfälle der Ultramontanen weiter
Nichts als iras amantium seien.

Aber auch der Groll der Liebenden kann gefährlich werden. Die Noth¬
wendigkeit, den Univers zu unterdrücken, dessen Sprache von Tag zu Tag
herausfordernder wurde, war immer ein höchst bedenkliches Symptom in
einem Augenblicke, wo ganz Europa von tiefstem Mißtrauen gegen das
Kaiserthum erfüllt, wo Napoleons Congreßidee gescheitert war, weil keine
Macht Neigung hatte, die Verantwortung für die Zustände Italiens mit
Frankreich zu theilen, wo England dem Verbündeten vom Krimkriege alle
möglichen Verdrießlichkeiten bereitete, wo die nationale Einheitsbewegung in
Italien alle Schranken umgeworfen hatte, in welche der Kaiser sie einzudäm¬
men gedacht. Und was das Schlimmste war: in Frankreich selbst herrschte
eine nichts weniger als Vertrauen erweckende Stimmung. Der Chauvinis¬
mus war erbittert über jeden Fortschritt der italienischen Einheit und der
Liberalismus war weit entfernt, Napleon diesen Fortschritt als Verdienst an¬
zurechnen. Er schwieg, aber er war unversöhnlich. - Selbst der so verdienst¬
volle Handels vertrag mit England hatte zunächst nur die Wirkung, die' ein¬
flußreichen Pr otectionisten zu verstimmen, ohne doch die Liberalen mit dank¬
barer Gesinnung zu erfüllen. Kurz, der Kaiser sah nach einem siegreichen
Feldzuge Frankreich in Europa, sich in Frankreich isolirt. Von dem trüge¬
rischen Glauben an seinen Stern verleitet, hatte er die durch den russischen
Krieg gewonnene breite und feste Basis seiner politischen Macht mit eigener
Hand zerstört, hatte er einen Pfad beschritten, auf dem es keinen Haltepunkt
gab, auf dem er selbst sich kein Ziel stecken konnte. Er hatte die höchste
Idee des Jahrhunderts, die er und sein Frankreich unfähig waren, zu ver-


Grenzboten III. 1870. 46
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[0361] Furcht, daß der Annexion der abgefallenen römischen Provinzen die Annexion der Hauptstadt selbst und damit der Sturz der weltlichen Herrschaft des Papstes auf dem Fuße folgen würde. In dieser Beziehung irrten sie sich je¬ doch. Die Existenz des Kirchenstaates bildete einen der großen Knotenpunkte des napoleonischen Systems. Die Schutzherrschaft über den Papst sicherte ihm einen überwiegenden Einfluß auf Italien und zugleich auf die Ultra¬ montanen Frankreichs, die ihn wohl angreifen konnten, aber doch im ent¬ scheidenden Augenblicke den Mann nicht im Stich lassen durften, von dessen Wink das Dasein der weltlichen Macht des Papstes abhing. Außerdem war ihm der Papst für seine ausschweifenden Weltherrschaftspläne unentbehrlich. Alle diese Dienste aber konnte ihm Pius nur leisten, wenn er wenigstens im Besitz eines Theiles seiner Staaten verblieb; denn ein Papst ohne welt¬ lichen Besitz hätte aufgehört, der Schützling Frankreichs zu sein. Von Rom aus beherrschte Napoleon Italien und als Beschützer der Reste des Patri- moniums Petri war er sicher, daß die Ausfälle der Ultramontanen weiter Nichts als iras amantium seien. Aber auch der Groll der Liebenden kann gefährlich werden. Die Noth¬ wendigkeit, den Univers zu unterdrücken, dessen Sprache von Tag zu Tag herausfordernder wurde, war immer ein höchst bedenkliches Symptom in einem Augenblicke, wo ganz Europa von tiefstem Mißtrauen gegen das Kaiserthum erfüllt, wo Napoleons Congreßidee gescheitert war, weil keine Macht Neigung hatte, die Verantwortung für die Zustände Italiens mit Frankreich zu theilen, wo England dem Verbündeten vom Krimkriege alle möglichen Verdrießlichkeiten bereitete, wo die nationale Einheitsbewegung in Italien alle Schranken umgeworfen hatte, in welche der Kaiser sie einzudäm¬ men gedacht. Und was das Schlimmste war: in Frankreich selbst herrschte eine nichts weniger als Vertrauen erweckende Stimmung. Der Chauvinis¬ mus war erbittert über jeden Fortschritt der italienischen Einheit und der Liberalismus war weit entfernt, Napleon diesen Fortschritt als Verdienst an¬ zurechnen. Er schwieg, aber er war unversöhnlich. - Selbst der so verdienst¬ volle Handels vertrag mit England hatte zunächst nur die Wirkung, die' ein¬ flußreichen Pr otectionisten zu verstimmen, ohne doch die Liberalen mit dank¬ barer Gesinnung zu erfüllen. Kurz, der Kaiser sah nach einem siegreichen Feldzuge Frankreich in Europa, sich in Frankreich isolirt. Von dem trüge¬ rischen Glauben an seinen Stern verleitet, hatte er die durch den russischen Krieg gewonnene breite und feste Basis seiner politischen Macht mit eigener Hand zerstört, hatte er einen Pfad beschritten, auf dem es keinen Haltepunkt gab, auf dem er selbst sich kein Ziel stecken konnte. Er hatte die höchste Idee des Jahrhunderts, die er und sein Frankreich unfähig waren, zu ver- Grenzboten III. 1870. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/361>, abgerufen am 26.06.2024.