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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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zu Gebote stand. Am peinlichsten war für den Kaiser die Wuth der Cleri-
calen über die bevorstehende Annexion der Emilia. Der Kaiser gab sich
also das Ansehen, als ob er die Bewegungen in Mittelitalien aufs höchste mi߬
billige; er erließ ein natürlich für die Oeffentlichkeit bestimmtes Schreiben
an Victor Emanuel, in dem er diesen freundschaftlichst ermahnte, die Bestim-
mungen von Villafranca festzuhalten: ein Schreiben, dessen Bedeutung der
König gut genug erkannte, um sich durch dasselbe nicht im mindesten stören
zu lassen. In gleicher Weise mußte sich ein Theil der Presse aussprechen,
während sich bald andere Stimmen erhoben, die in entgegengesetzter Richtung
auf die öffentliche Meinung einzuwirken hatten.

Gegen das Ende des Jahres 1859 war von der Restauration nicht
mehr die Rede. Die Züricher Tractate waren zerrissen, und es hätte der eifri¬
gen Bemühungen Englands zu Gunsten der Annexionen nicht bedurft, um
das Resultat herbeizuführen. Auch die Annexion von zwei Drittheilen des
Kirchenstaats war eine vollendete Thatsache, die Napoleon nichl mehr rück¬
gängig machen konnte, die er aber allerdings, wenn es in seiner Macht ge¬
standen, gern verhindert hätte. Aber er stand der Bewegung machtlos gegen¬
über, und Cavour, nachdem sein erster Zorn über die Abmachungen zu Vil¬
lafranca sich gelegt hatte, gewann rasch seine alte Zuversicht wieder. "Ich
habe ihn dahin gebracht, sich ins Wasser zu stürzen und er muß nun schwim¬
men" -- mit diesen Worten bezeichnet er treffend Napoleons Zwangslage.
Er mußte sich auch in Betreff der Romagna in die üble Lage fügen. Lagueron-
niere, der gewandteste Stilist des Kaisertums, der Repräsentant des elegan¬
ten imperialistischen Katholicismus, übrigens ein Mann, der es in keinem
andern Lande als in Frankreich zu irgend welcher Bedeutung gebracht hätte,
schrieb im kaiserlichen Auftrag seine bekannte Broschüre: le kaxs et Is Lon-
gres, in der der ergebene Sohn der Kirche die Befreiung der Romagna und
Veränderungen in den politischen Institutionen des Kirchenstaats forderte.
Daß er inspirirt war, wußte man, und deshalb erregte die Broschüre einen
großen Sturm im katholischen Lager. In einem Briefe vom 31. December
1859 schlug Napoleon dem Papste selbst den Verzicht auf die ausständischen
Provinzen vor, gegen eine europäische Garantie des Restes seiner Besitzungen.
(Napoleon hatte damals, wie immer, wenn er sich in Verlegenheit befand, die Idee
eines Congresses zum Zweck der Neuordnung der italienischen Verhältnisse
angeregt). Die bittere Antwort auf diesen Brief war von Pius schon vor
Empfang desselben gegeben, als er in Beantwortung des Neujahrglückwunsches,
den General Goyon ihm im Namen der französischen Garnison darbrachte,
die Broschüre Lagueronniöre's als ein merkwürdiges Denkmal der Heuchelet
und unedles Gewebe von Widersprüchen bezeichnet hatte.

Was die Ultramontanen besonders in Schrecken setzte, das war die


zu Gebote stand. Am peinlichsten war für den Kaiser die Wuth der Cleri-
calen über die bevorstehende Annexion der Emilia. Der Kaiser gab sich
also das Ansehen, als ob er die Bewegungen in Mittelitalien aufs höchste mi߬
billige; er erließ ein natürlich für die Oeffentlichkeit bestimmtes Schreiben
an Victor Emanuel, in dem er diesen freundschaftlichst ermahnte, die Bestim-
mungen von Villafranca festzuhalten: ein Schreiben, dessen Bedeutung der
König gut genug erkannte, um sich durch dasselbe nicht im mindesten stören
zu lassen. In gleicher Weise mußte sich ein Theil der Presse aussprechen,
während sich bald andere Stimmen erhoben, die in entgegengesetzter Richtung
auf die öffentliche Meinung einzuwirken hatten.

Gegen das Ende des Jahres 1859 war von der Restauration nicht
mehr die Rede. Die Züricher Tractate waren zerrissen, und es hätte der eifri¬
gen Bemühungen Englands zu Gunsten der Annexionen nicht bedurft, um
das Resultat herbeizuführen. Auch die Annexion von zwei Drittheilen des
Kirchenstaats war eine vollendete Thatsache, die Napoleon nichl mehr rück¬
gängig machen konnte, die er aber allerdings, wenn es in seiner Macht ge¬
standen, gern verhindert hätte. Aber er stand der Bewegung machtlos gegen¬
über, und Cavour, nachdem sein erster Zorn über die Abmachungen zu Vil¬
lafranca sich gelegt hatte, gewann rasch seine alte Zuversicht wieder. „Ich
habe ihn dahin gebracht, sich ins Wasser zu stürzen und er muß nun schwim¬
men" — mit diesen Worten bezeichnet er treffend Napoleons Zwangslage.
Er mußte sich auch in Betreff der Romagna in die üble Lage fügen. Lagueron-
niere, der gewandteste Stilist des Kaisertums, der Repräsentant des elegan¬
ten imperialistischen Katholicismus, übrigens ein Mann, der es in keinem
andern Lande als in Frankreich zu irgend welcher Bedeutung gebracht hätte,
schrieb im kaiserlichen Auftrag seine bekannte Broschüre: le kaxs et Is Lon-
gres, in der der ergebene Sohn der Kirche die Befreiung der Romagna und
Veränderungen in den politischen Institutionen des Kirchenstaats forderte.
Daß er inspirirt war, wußte man, und deshalb erregte die Broschüre einen
großen Sturm im katholischen Lager. In einem Briefe vom 31. December
1859 schlug Napoleon dem Papste selbst den Verzicht auf die ausständischen
Provinzen vor, gegen eine europäische Garantie des Restes seiner Besitzungen.
(Napoleon hatte damals, wie immer, wenn er sich in Verlegenheit befand, die Idee
eines Congresses zum Zweck der Neuordnung der italienischen Verhältnisse
angeregt). Die bittere Antwort auf diesen Brief war von Pius schon vor
Empfang desselben gegeben, als er in Beantwortung des Neujahrglückwunsches,
den General Goyon ihm im Namen der französischen Garnison darbrachte,
die Broschüre Lagueronniöre's als ein merkwürdiges Denkmal der Heuchelet
und unedles Gewebe von Widersprüchen bezeichnet hatte.

Was die Ultramontanen besonders in Schrecken setzte, das war die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/360>, abgerufen am 26.06.2024.