Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.dem Kopfe jedes Bonaparte kreuzten. Es ist merkwürdig, wie im Bona¬ Ueber die Unmöglichkeit einer Restauration in den Fürstenthümern Um das Publikum theils über die Sachlage zu täuschen, theils es auf dem Kopfe jedes Bonaparte kreuzten. Es ist merkwürdig, wie im Bona¬ Ueber die Unmöglichkeit einer Restauration in den Fürstenthümern Um das Publikum theils über die Sachlage zu täuschen, theils es auf <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0359" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124509"/> <p xml:id="ID_1057" prev="#ID_1056"> dem Kopfe jedes Bonaparte kreuzten. Es ist merkwürdig, wie im Bona¬<lb/> partismus die nüchternste jedes Aufschwungs unfähige Berechnung, die abso¬<lb/> luteste Poesielosigkeit, der Haß gegen jede selbständige geistige Regung, der<lb/> völlige Mangel wahrer Genialität überall mit den ausschweifendsten Phan¬<lb/> tastereien zusammenstößt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1058"> Ueber die Unmöglichkeit einer Restauration in den Fürstenthümern<lb/> dachte Napoleon dagegen nicht anders wie ganz Frankreich und Italien;<lb/> und auch die Unvermeidlichkeit einer Vereinigung der Romagna mit Pie-<lb/> mont war ihm einleuchtend. Er vermochte die Geister, die er heraufbeschwo¬<lb/> ren hatte, nicht mehr zu fesseln. Er wußte, daß er einen unerfüllbaren Ver¬<lb/> trag schloß. Wenn man will, mag man das mit der Nothwendigkeit, rasch<lb/> mit Oestreich zum Abschluß zu kommen, entschuldigen. Aber empörend und<lb/> schimpflich ist es, daß er von Anfang an entschlossen war, sich um die Aus¬<lb/> führung dieser Stipulationen nicht zu bekümmern, daß er sie zugestanden hatte,<lb/> nicht obgleich, sondern weil sie unausführbar waren. Und das aus der<lb/> gemeinsten Ländergier! Victor Emanuel hatte sich zur Abtretung Nizzas und<lb/> Savoyens gegen die Erwerbung der Lombardei und Venetiens verpflichtet.<lb/> Da Napoleon seinem Versprechen nicht nachgekommen war, so war auch<lb/> Victor Emanuel seiner Verpflichtung ledig geworden. Die Annerionsbewe-<lb/> gung bot Napoleon die Gelegenheit, den Gewinn auf andere Weise einzu¬<lb/> streichen: Savoyen und Nizza waren der Preis, den sich Napoleon von Sar¬<lb/> dinien zahlen ließ für die Erlaubniß, die Oestreich günstigen Stipulationen<lb/> des Züricher Friedens umzustoßen, fast in dem Augenblick, wo die Verträge<lb/> unterschrieben wurden. Am 18. und 22. März erließ Victor Emanuel die<lb/> Annerionsdeerete, am 24. März wurden Savoyen und Nizza an Frankreich<lb/> abgetreten. Wann der geheime Abschluß des unwürdigen Handels erfolgt<lb/> ist, ist für die Beurtheilung des Verfahrens gleichgiltig. So viel steht unter<lb/> allen Umständen fest, daß, als Napoleon nach seiner Rückkehr nach Paris<lb/> in seiner Anrede an die großen Staatskörper sich wegen des Friedens förm¬<lb/> lich entschuldigte, er bereits wissen mußte, daß die auf die Fürstenthümer<lb/> bezüglichen Stipulationen, noch ehe sie niedergeschrieben waren, bereits von<lb/> den Ereignissen überholt seien. Seine Erklärung, daß alle Souveräne der<lb/> Halbinsel endlich das gebieterische Bedürfniß heilsamer Reformen begriffen,<lb/> war einfach eine grobe Unwahrheit, über die der Papst und der König von<lb/> Neapel gelächelt haben werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1059" next="#ID_1060"> Um das Publikum theils über die Sachlage zu täuschen, theils es auf<lb/> die bevorstehenden Überraschungen vorzubereiten, vor Allem aber, um den<lb/> Kaiser als unschuldiges Opfer der Verhältnisse erscheinen zu lassen, begann<lb/> nun das gewöhnliche Spiel von Lüge und Doppelzüngigkeit, wie es sich nur<lb/> von einer Regierung durchführen ließ, der eine Anzahl von inspirirter Federn</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0359]
dem Kopfe jedes Bonaparte kreuzten. Es ist merkwürdig, wie im Bona¬
partismus die nüchternste jedes Aufschwungs unfähige Berechnung, die abso¬
luteste Poesielosigkeit, der Haß gegen jede selbständige geistige Regung, der
völlige Mangel wahrer Genialität überall mit den ausschweifendsten Phan¬
tastereien zusammenstößt.
Ueber die Unmöglichkeit einer Restauration in den Fürstenthümern
dachte Napoleon dagegen nicht anders wie ganz Frankreich und Italien;
und auch die Unvermeidlichkeit einer Vereinigung der Romagna mit Pie-
mont war ihm einleuchtend. Er vermochte die Geister, die er heraufbeschwo¬
ren hatte, nicht mehr zu fesseln. Er wußte, daß er einen unerfüllbaren Ver¬
trag schloß. Wenn man will, mag man das mit der Nothwendigkeit, rasch
mit Oestreich zum Abschluß zu kommen, entschuldigen. Aber empörend und
schimpflich ist es, daß er von Anfang an entschlossen war, sich um die Aus¬
führung dieser Stipulationen nicht zu bekümmern, daß er sie zugestanden hatte,
nicht obgleich, sondern weil sie unausführbar waren. Und das aus der
gemeinsten Ländergier! Victor Emanuel hatte sich zur Abtretung Nizzas und
Savoyens gegen die Erwerbung der Lombardei und Venetiens verpflichtet.
Da Napoleon seinem Versprechen nicht nachgekommen war, so war auch
Victor Emanuel seiner Verpflichtung ledig geworden. Die Annerionsbewe-
gung bot Napoleon die Gelegenheit, den Gewinn auf andere Weise einzu¬
streichen: Savoyen und Nizza waren der Preis, den sich Napoleon von Sar¬
dinien zahlen ließ für die Erlaubniß, die Oestreich günstigen Stipulationen
des Züricher Friedens umzustoßen, fast in dem Augenblick, wo die Verträge
unterschrieben wurden. Am 18. und 22. März erließ Victor Emanuel die
Annerionsdeerete, am 24. März wurden Savoyen und Nizza an Frankreich
abgetreten. Wann der geheime Abschluß des unwürdigen Handels erfolgt
ist, ist für die Beurtheilung des Verfahrens gleichgiltig. So viel steht unter
allen Umständen fest, daß, als Napoleon nach seiner Rückkehr nach Paris
in seiner Anrede an die großen Staatskörper sich wegen des Friedens förm¬
lich entschuldigte, er bereits wissen mußte, daß die auf die Fürstenthümer
bezüglichen Stipulationen, noch ehe sie niedergeschrieben waren, bereits von
den Ereignissen überholt seien. Seine Erklärung, daß alle Souveräne der
Halbinsel endlich das gebieterische Bedürfniß heilsamer Reformen begriffen,
war einfach eine grobe Unwahrheit, über die der Papst und der König von
Neapel gelächelt haben werden.
Um das Publikum theils über die Sachlage zu täuschen, theils es auf
die bevorstehenden Überraschungen vorzubereiten, vor Allem aber, um den
Kaiser als unschuldiges Opfer der Verhältnisse erscheinen zu lassen, begann
nun das gewöhnliche Spiel von Lüge und Doppelzüngigkeit, wie es sich nur
von einer Regierung durchführen ließ, der eine Anzahl von inspirirter Federn
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