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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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einer Victor Emanuel tief verletzenden Absichtlichkeit hervor: die beiden
Kaiser verhandelten und dem König Ehrenmann wurde das Ergebniß der
Verhandlungen einfach zur Kenntnißnahme mitgetheilt, und dieser konnte
seine tiefe Erbitterung nur durch die Kälte des Tons kundgeben, mit
dem er dem Kaiser für das Geschenk dankte und ihm unerschütterliche Treue
gelobte.

Es gibt vielleicht kein unmoralischeres, lügenhafteres officielles Actenstück
als den Präliminarvertrag von Villafranca. Die beiden den Vertrag schließenden
Souveräne verpflichten sich, die Bildung einer italienischen Consöderation zu
begünstigen unter der Ehrenpräsidentschaft des heiligen Vaters: Venetien soll
an dieser Consöderation theilnehmen, der Großherzog von Toscana und der
Herzog von Moden" sollen in ihre Staaten zurückkehren; der Papst soll auf¬
gefordert werden, die unerläßlichen Reformen in seinen Staaten einzuführen.
Nun gehört aber kein großer Scharfsinn dazu, um einzusehen, daß von allen
diesen Bedingungen nicht eine einzige sich durchführen ließ. Eine italienische
Consöderation, an der Oestreich Theil nahm, war ein Unsinn; die Ehren¬
präsidentschaft des Papstes ein handgreiflicher Anachronismus; die Rückkehr
der Fürsten war deshalb ein für Oestreich werthloses Zugeständnis?, weil sie
sich nur mit Gewalt hätte durchsetzen lassen; selbst Gewalt anzuwenden, fiel
aber Napoleon ebenso wenig ein, als Oestreich einen Kriegszug zur Wiederein¬
setzung der legitimen Herrscher zu gestatten. Der einzige ausführbare Artikel
der Präliminarien war also die Abtretung der Lombardei, alles Uebrige war
der ärgste diplomatische Humbug, der jemals getrieben worden. Die innere
Unwahrheit der ganzen Situation spricht sich schlagend darin aus. daß in
Zürich die Artikel, welche die italienische Consöderation und die Rückkehr der
Fürsten betreffen, nur in den französisch-östreichischen Tractat aufgenommen
wurden, was natürlich einer Weigerung Piemonts, die Verbindlichkeit dieser
Bestimmungen anzuerkennen, gleichkam. Ob Napoleon selbst von der Un¬
möglichkeit der Consöderation unter dem Vorsitz des Papstes überzeugt war,
ist zweifelhaft. Für willkürliche politische Constructionen haben die Fran¬
zosen und hat vor allem der Bonapartismus bei seiner Unfähigkeit, die
lebendig im Völkerleben wirkenden Kräfte zu verstehen, stets eine große Vor¬
liebe gehabt. In Napoleon III., der Jahre lang seinen Kopf mit Verschwö¬
rungsplänen und politischen Grübeleien abgemartert hatte, war diese Vorliebe
systematisch ausgebildet. Eine italienische Consöderation unter dem Ehren¬
vorsitz des Papstes und dem Protectorat Frankreichs, das war der erste
Schritt zur Wiederherstellung des Reiches Karls des Großen, der erste Schritt
zugleich auf dem Wege eines das ganze Romanenthum umfassenden welt-
behercschenden Bundes. Und die Monarchie Karls des Großen, die Leitung
des Romanismus, das waren ja die Haus- und Familienideen, die sich in


einer Victor Emanuel tief verletzenden Absichtlichkeit hervor: die beiden
Kaiser verhandelten und dem König Ehrenmann wurde das Ergebniß der
Verhandlungen einfach zur Kenntnißnahme mitgetheilt, und dieser konnte
seine tiefe Erbitterung nur durch die Kälte des Tons kundgeben, mit
dem er dem Kaiser für das Geschenk dankte und ihm unerschütterliche Treue
gelobte.

Es gibt vielleicht kein unmoralischeres, lügenhafteres officielles Actenstück
als den Präliminarvertrag von Villafranca. Die beiden den Vertrag schließenden
Souveräne verpflichten sich, die Bildung einer italienischen Consöderation zu
begünstigen unter der Ehrenpräsidentschaft des heiligen Vaters: Venetien soll
an dieser Consöderation theilnehmen, der Großherzog von Toscana und der
Herzog von Moden« sollen in ihre Staaten zurückkehren; der Papst soll auf¬
gefordert werden, die unerläßlichen Reformen in seinen Staaten einzuführen.
Nun gehört aber kein großer Scharfsinn dazu, um einzusehen, daß von allen
diesen Bedingungen nicht eine einzige sich durchführen ließ. Eine italienische
Consöderation, an der Oestreich Theil nahm, war ein Unsinn; die Ehren¬
präsidentschaft des Papstes ein handgreiflicher Anachronismus; die Rückkehr
der Fürsten war deshalb ein für Oestreich werthloses Zugeständnis?, weil sie
sich nur mit Gewalt hätte durchsetzen lassen; selbst Gewalt anzuwenden, fiel
aber Napoleon ebenso wenig ein, als Oestreich einen Kriegszug zur Wiederein¬
setzung der legitimen Herrscher zu gestatten. Der einzige ausführbare Artikel
der Präliminarien war also die Abtretung der Lombardei, alles Uebrige war
der ärgste diplomatische Humbug, der jemals getrieben worden. Die innere
Unwahrheit der ganzen Situation spricht sich schlagend darin aus. daß in
Zürich die Artikel, welche die italienische Consöderation und die Rückkehr der
Fürsten betreffen, nur in den französisch-östreichischen Tractat aufgenommen
wurden, was natürlich einer Weigerung Piemonts, die Verbindlichkeit dieser
Bestimmungen anzuerkennen, gleichkam. Ob Napoleon selbst von der Un¬
möglichkeit der Consöderation unter dem Vorsitz des Papstes überzeugt war,
ist zweifelhaft. Für willkürliche politische Constructionen haben die Fran¬
zosen und hat vor allem der Bonapartismus bei seiner Unfähigkeit, die
lebendig im Völkerleben wirkenden Kräfte zu verstehen, stets eine große Vor¬
liebe gehabt. In Napoleon III., der Jahre lang seinen Kopf mit Verschwö¬
rungsplänen und politischen Grübeleien abgemartert hatte, war diese Vorliebe
systematisch ausgebildet. Eine italienische Consöderation unter dem Ehren¬
vorsitz des Papstes und dem Protectorat Frankreichs, das war der erste
Schritt zur Wiederherstellung des Reiches Karls des Großen, der erste Schritt
zugleich auf dem Wege eines das ganze Romanenthum umfassenden welt-
behercschenden Bundes. Und die Monarchie Karls des Großen, die Leitung
des Romanismus, das waren ja die Haus- und Familienideen, die sich in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/358>, abgerufen am 26.06.2024.