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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Die Luft ist rein, er verläßt sein Hospital und wagt sich abermals auf den
Thurm, um den Rundblick der französischen Siege zu genießen. Er ist ent¬
zückt über die Aufmerksamkeit des Besitzers, der ihn "tres M^eisussmevt"
empfängt. Glückliche Verblendung, die ihm nicht merken läßt, daß er sich in
die Mausefalle begeben hat.

Es ist wenig über 10 Uhr, als die Preußen zur erneuten Fusillade gegen
Wörth vorgehen. Die Zuaven und Turcos weichen, das Spiel der Mitral-
lieusen ist umsonst, die Zündnadel hat ihr Spiel wieder gewonnen. Wieder
ergießen sich durch die Straßen die siegreichen Truppen, sie halten den Markt,
sie umzingeln den Thurm, die Insassen desselben sind in ihrer Gefangenschaft.
Mit diesem Wechsel eines kurzen Glückes enden die Aufzeichnungen des
Gaulois. Und da, edler Gallier, als Deine Feder den Dienst versagte und
im sorgenvollen Geist, der seines nächsten Augenblickes nicht mehr sicher
war, Deine Gedanken stockten, sind sie da nicht noch einmal an Dir vorüber¬
gegangen, die Bilder Deiner kurzen Vergangenheit? Dachtest Du wohl da¬
ran, wie Du bald nach dem Siege Preußens über Oestreich, nach der Schlacht
von Königgrätz, Dein Dasein in der Welt der Blätter begründetest, wie Du
dann um welfischen Lohn die ersten Typen in Deine Presse senktest, wie Du
mit falschen Vorspiegelungen vom nahen Rachekrieg gegen Preußen Hunderte
von arbeitstüchtigen Männern des niedersächsischen Stammes, die leichtgläu¬
big Deiner Stimme folgten, zur Söldnerfahrt nach Frankreich verlocktest und
auf Dein Haupt wälztest die Schuld ihres Elendes, bis unseres greisen Königs
Milde ihnen die flehentlich erbetene Rückkehr zum heimathlichen Heerd ge¬
stattete? Und fiel es Dir nicht auf die Seele, wie Du in unmännlichem
Wankelmuth Eurer wälschen Rasse heute dieser, morgen jener Partei, gegen
schnöde Bestechung das edelste Besitzthum freier Menschheit, das gedankenreiche
Wort verkauftest; wie Du Deine Dienste zutrugst dem unsaubern Schleppen¬
träger des Bonapatismus, dem kleinen "Baissier der Börse, der am letzten
Tag seiner Monatsrechnung den niedrigen Cours des Krieges erreichen mußte,
wenn nicht das Gespenst des Bankerutts gegen ihn aufsteigen sollte, und der
doch vielleicht, indem er diese mit dem Unglück einer Nation erkauften Course
notirte, den letzten Rest seiner Habe in das unsichere Sollbuch verzeichnet hat.
Und endlich dachtest Du in der Stunde Deines eigenen Falles nicht daran,
wie Du um feilen Erwerb mit aufreizender Rede zwei große Nationen,
deren Beruf es ist, nach Maßgabe ihrer besonderen Anlagen in der Fortent¬
wickelung abendländischer Kultur den Reigen zu führen, zu männerverderben¬
dem Krieg gegen einander setztest?

Von dem Gaulois selber erfahren Wir nicht, welche Ahnungen schreck¬
licher Zukunft ihn übermannten, als er in die Hände des preußischen Rächers


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Die Luft ist rein, er verläßt sein Hospital und wagt sich abermals auf den
Thurm, um den Rundblick der französischen Siege zu genießen. Er ist ent¬
zückt über die Aufmerksamkeit des Besitzers, der ihn „tres M^eisussmevt"
empfängt. Glückliche Verblendung, die ihm nicht merken läßt, daß er sich in
die Mausefalle begeben hat.

Es ist wenig über 10 Uhr, als die Preußen zur erneuten Fusillade gegen
Wörth vorgehen. Die Zuaven und Turcos weichen, das Spiel der Mitral-
lieusen ist umsonst, die Zündnadel hat ihr Spiel wieder gewonnen. Wieder
ergießen sich durch die Straßen die siegreichen Truppen, sie halten den Markt,
sie umzingeln den Thurm, die Insassen desselben sind in ihrer Gefangenschaft.
Mit diesem Wechsel eines kurzen Glückes enden die Aufzeichnungen des
Gaulois. Und da, edler Gallier, als Deine Feder den Dienst versagte und
im sorgenvollen Geist, der seines nächsten Augenblickes nicht mehr sicher
war, Deine Gedanken stockten, sind sie da nicht noch einmal an Dir vorüber¬
gegangen, die Bilder Deiner kurzen Vergangenheit? Dachtest Du wohl da¬
ran, wie Du bald nach dem Siege Preußens über Oestreich, nach der Schlacht
von Königgrätz, Dein Dasein in der Welt der Blätter begründetest, wie Du
dann um welfischen Lohn die ersten Typen in Deine Presse senktest, wie Du
mit falschen Vorspiegelungen vom nahen Rachekrieg gegen Preußen Hunderte
von arbeitstüchtigen Männern des niedersächsischen Stammes, die leichtgläu¬
big Deiner Stimme folgten, zur Söldnerfahrt nach Frankreich verlocktest und
auf Dein Haupt wälztest die Schuld ihres Elendes, bis unseres greisen Königs
Milde ihnen die flehentlich erbetene Rückkehr zum heimathlichen Heerd ge¬
stattete? Und fiel es Dir nicht auf die Seele, wie Du in unmännlichem
Wankelmuth Eurer wälschen Rasse heute dieser, morgen jener Partei, gegen
schnöde Bestechung das edelste Besitzthum freier Menschheit, das gedankenreiche
Wort verkauftest; wie Du Deine Dienste zutrugst dem unsaubern Schleppen¬
träger des Bonapatismus, dem kleinen „Baissier der Börse, der am letzten
Tag seiner Monatsrechnung den niedrigen Cours des Krieges erreichen mußte,
wenn nicht das Gespenst des Bankerutts gegen ihn aufsteigen sollte, und der
doch vielleicht, indem er diese mit dem Unglück einer Nation erkauften Course
notirte, den letzten Rest seiner Habe in das unsichere Sollbuch verzeichnet hat.
Und endlich dachtest Du in der Stunde Deines eigenen Falles nicht daran,
wie Du um feilen Erwerb mit aufreizender Rede zwei große Nationen,
deren Beruf es ist, nach Maßgabe ihrer besonderen Anlagen in der Fortent¬
wickelung abendländischer Kultur den Reigen zu führen, zu männerverderben¬
dem Krieg gegen einander setztest?

Von dem Gaulois selber erfahren Wir nicht, welche Ahnungen schreck¬
licher Zukunft ihn übermannten, als er in die Hände des preußischen Rächers


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[0355] Die Luft ist rein, er verläßt sein Hospital und wagt sich abermals auf den Thurm, um den Rundblick der französischen Siege zu genießen. Er ist ent¬ zückt über die Aufmerksamkeit des Besitzers, der ihn „tres M^eisussmevt" empfängt. Glückliche Verblendung, die ihm nicht merken läßt, daß er sich in die Mausefalle begeben hat. Es ist wenig über 10 Uhr, als die Preußen zur erneuten Fusillade gegen Wörth vorgehen. Die Zuaven und Turcos weichen, das Spiel der Mitral- lieusen ist umsonst, die Zündnadel hat ihr Spiel wieder gewonnen. Wieder ergießen sich durch die Straßen die siegreichen Truppen, sie halten den Markt, sie umzingeln den Thurm, die Insassen desselben sind in ihrer Gefangenschaft. Mit diesem Wechsel eines kurzen Glückes enden die Aufzeichnungen des Gaulois. Und da, edler Gallier, als Deine Feder den Dienst versagte und im sorgenvollen Geist, der seines nächsten Augenblickes nicht mehr sicher war, Deine Gedanken stockten, sind sie da nicht noch einmal an Dir vorüber¬ gegangen, die Bilder Deiner kurzen Vergangenheit? Dachtest Du wohl da¬ ran, wie Du bald nach dem Siege Preußens über Oestreich, nach der Schlacht von Königgrätz, Dein Dasein in der Welt der Blätter begründetest, wie Du dann um welfischen Lohn die ersten Typen in Deine Presse senktest, wie Du mit falschen Vorspiegelungen vom nahen Rachekrieg gegen Preußen Hunderte von arbeitstüchtigen Männern des niedersächsischen Stammes, die leichtgläu¬ big Deiner Stimme folgten, zur Söldnerfahrt nach Frankreich verlocktest und auf Dein Haupt wälztest die Schuld ihres Elendes, bis unseres greisen Königs Milde ihnen die flehentlich erbetene Rückkehr zum heimathlichen Heerd ge¬ stattete? Und fiel es Dir nicht auf die Seele, wie Du in unmännlichem Wankelmuth Eurer wälschen Rasse heute dieser, morgen jener Partei, gegen schnöde Bestechung das edelste Besitzthum freier Menschheit, das gedankenreiche Wort verkauftest; wie Du Deine Dienste zutrugst dem unsaubern Schleppen¬ träger des Bonapatismus, dem kleinen „Baissier der Börse, der am letzten Tag seiner Monatsrechnung den niedrigen Cours des Krieges erreichen mußte, wenn nicht das Gespenst des Bankerutts gegen ihn aufsteigen sollte, und der doch vielleicht, indem er diese mit dem Unglück einer Nation erkauften Course notirte, den letzten Rest seiner Habe in das unsichere Sollbuch verzeichnet hat. Und endlich dachtest Du in der Stunde Deines eigenen Falles nicht daran, wie Du um feilen Erwerb mit aufreizender Rede zwei große Nationen, deren Beruf es ist, nach Maßgabe ihrer besonderen Anlagen in der Fortent¬ wickelung abendländischer Kultur den Reigen zu führen, zu männerverderben¬ dem Krieg gegen einander setztest? Von dem Gaulois selber erfahren Wir nicht, welche Ahnungen schreck¬ licher Zukunft ihn übermannten, als er in die Hände des preußischen Rächers 45 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/355>, abgerufen am 26.06.2024.