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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Es ist ein schlagendes Argument gegen die Jugendfrische des Bonapar¬
tismus, daß er, wo er sich Muth zu den Erfolgen seiner Unternehmungen
einsprechen will, immer wieder auf die Erinnerungen der ehemaligen Größe
verfällt. Wie leicht würde es dem forschenden Historiker werden, in den
pomphaften Proclamationen des dritten Napoleon die zahlreichen Entleh¬
nungen aus dem Epos des ersten Kaiserreiches nachzuweisen, von dem pa>
thetischen Wort, das an den Pyramiden gesprochen wurde: "I'univsrg Vou3
ressräs" bis zu der alten Erfindung des Conventes, die sich mit jedem Raub¬
zug der Revolutionsarmee fester eingewurzelt hat, der Phrase von dem
Kampf um die Heiligthümer der Civilisation. Selbst die Taktiker gefallen
sich in diesem Spiel historischer Reminiscenzen. Als am dämmernden Morgen
des 6ten August die für den Kampf bestimmten Heeresmassen Frankreichs an
den bewaldeten Höhenzügen über Wörth ihre Posten einnehmen, tragen sie in
ihrem Tornister die alte Legende von der Unwiderstehlichkeit des coupirten Ge¬
fechtes in der französischen Armee. Auf dieses Vertrauen hat man in der That
bei der ersten Schlacht, die zwischen der romanischen und germanischen Rasse
entscheiden sollte, die Schachzüge seiner Strategie begründet. Man entsinne
sich, daß schon einmal, in den Zeiten der "großen Armee", der französisch¬
deutsche Kampf in ganz entsprechender Aufstellung gestanden habe. Die
geschichtliche Wahrheit ist bekanntlich nicht die stärkste Seite im Gedächtniß
unsrer wälschen Nachbarn. So meint denn der "Gaulois", es sei hier in
Wörth, genau in diesem sumpfigen Lehmboden vor dem kleinen, nun für
ewig berühmten Landstädtchen des Elsaß und auf den überdeckenden Hügeln
gewesen, wo die Armee der Republik dem legitimen Deutschland, Preußen
an der Spitze, im Jahre 1791 unter General Hoche den Garaus gemacht
habe. So, fügen sie hinzu, werde es auch diesmal sein, und bekräftigen
ihre Zuversicht mit einem unverschämten "ils ssront batws eertÄMSment".
Gott sei Dank weiß der Historiker im Felde, und ich hoffe auch der daheim,
der so glücklich ist, seine Bücher nachschlagen zu können, nichts von einer
solchen Schlacht.

Froh in der Gewißheit des erwarteten Sieges verbringen die armen
Teufel denn die längst bekannten Telegramme von der Südarmee und werden
im Voraus das Mitleid für ihre weiteren Abenteuer bei unseren Lesern erweckt
haben. Sie verbringen die Nacht in leidlicher Ruhe. Zwar hört man vom
frühesten Morgen das Feuer der Vorposten, die, kriegslustig auf beiden Sei¬
ten ihre eisernen Umarmungen begonnen haben, noch aber ist es nicht be¬
stimmt, ob der große Vorbruch der Armeen schon an diesem Tage sich ent¬
wickeln wird. Noch mustert man mit Muße beim Aufgehen der Sonne die
französischen Streitkräfte. Ihre Linke hat sich bei Lenbach aufgepflanzt und
ungehindert die Höhen besetzt, die ihr als Stützpunkt der Defensive dienen


Es ist ein schlagendes Argument gegen die Jugendfrische des Bonapar¬
tismus, daß er, wo er sich Muth zu den Erfolgen seiner Unternehmungen
einsprechen will, immer wieder auf die Erinnerungen der ehemaligen Größe
verfällt. Wie leicht würde es dem forschenden Historiker werden, in den
pomphaften Proclamationen des dritten Napoleon die zahlreichen Entleh¬
nungen aus dem Epos des ersten Kaiserreiches nachzuweisen, von dem pa>
thetischen Wort, das an den Pyramiden gesprochen wurde: „I'univsrg Vou3
ressräs" bis zu der alten Erfindung des Conventes, die sich mit jedem Raub¬
zug der Revolutionsarmee fester eingewurzelt hat, der Phrase von dem
Kampf um die Heiligthümer der Civilisation. Selbst die Taktiker gefallen
sich in diesem Spiel historischer Reminiscenzen. Als am dämmernden Morgen
des 6ten August die für den Kampf bestimmten Heeresmassen Frankreichs an
den bewaldeten Höhenzügen über Wörth ihre Posten einnehmen, tragen sie in
ihrem Tornister die alte Legende von der Unwiderstehlichkeit des coupirten Ge¬
fechtes in der französischen Armee. Auf dieses Vertrauen hat man in der That
bei der ersten Schlacht, die zwischen der romanischen und germanischen Rasse
entscheiden sollte, die Schachzüge seiner Strategie begründet. Man entsinne
sich, daß schon einmal, in den Zeiten der „großen Armee", der französisch¬
deutsche Kampf in ganz entsprechender Aufstellung gestanden habe. Die
geschichtliche Wahrheit ist bekanntlich nicht die stärkste Seite im Gedächtniß
unsrer wälschen Nachbarn. So meint denn der „Gaulois", es sei hier in
Wörth, genau in diesem sumpfigen Lehmboden vor dem kleinen, nun für
ewig berühmten Landstädtchen des Elsaß und auf den überdeckenden Hügeln
gewesen, wo die Armee der Republik dem legitimen Deutschland, Preußen
an der Spitze, im Jahre 1791 unter General Hoche den Garaus gemacht
habe. So, fügen sie hinzu, werde es auch diesmal sein, und bekräftigen
ihre Zuversicht mit einem unverschämten „ils ssront batws eertÄMSment".
Gott sei Dank weiß der Historiker im Felde, und ich hoffe auch der daheim,
der so glücklich ist, seine Bücher nachschlagen zu können, nichts von einer
solchen Schlacht.

Froh in der Gewißheit des erwarteten Sieges verbringen die armen
Teufel denn die längst bekannten Telegramme von der Südarmee und werden
im Voraus das Mitleid für ihre weiteren Abenteuer bei unseren Lesern erweckt
haben. Sie verbringen die Nacht in leidlicher Ruhe. Zwar hört man vom
frühesten Morgen das Feuer der Vorposten, die, kriegslustig auf beiden Sei¬
ten ihre eisernen Umarmungen begonnen haben, noch aber ist es nicht be¬
stimmt, ob der große Vorbruch der Armeen schon an diesem Tage sich ent¬
wickeln wird. Noch mustert man mit Muße beim Aufgehen der Sonne die
französischen Streitkräfte. Ihre Linke hat sich bei Lenbach aufgepflanzt und
ungehindert die Höhen besetzt, die ihr als Stützpunkt der Defensive dienen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/350>, abgerufen am 26.06.2024.