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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Die fehlenden 32,000 Mann werden durch den constanten Theil der Ar¬
mee (Offiziere und Capitulanten) sowie durch die älteren Mannschaften der
bis 1866 selbständigen Contingente von Sachsen, Hannover, Hessen, Nassau,
Schleswig-Holstein, Mecklenburg u. s. w., welche in der vorstehenden
Berechnung nicht berücksichtigt wurden, überreichlich gedeckt.


Max Lehmann.


Der Gaulois in Wörth.

Nicht den großen Thaten der braven Bayern und Preußen, die am
Abend des 6. August, als die Sonne ihre letzten Strahlen über das Leichen¬
feld von Wörth entsandte, bei der Bluttaufe der deutschen Einheit sich brü¬
derlich die Hand reichten, -- nicht der gewaltigsten Schlacht, die seit unserer
Väter Gedenken auf dem Festland ausgerungen worden ist, sollen diese
Blätter gewidmet sein; sie wollen erzählen von den Irrfahrten zweier fran¬
zösischer Journalisten, die ausgezogen waren in der Hoffnung, ihr Publicum
an der Seine mit den Nachrichten von rasch gewonnenen Siegen und wieder
aufgefrischter Gloire zu unterhalten, die aber, als der deutsche Löwe bet
Wörth seine Feinde niedertrat, ein Beutefang der Unsrigen geworden sind.

Wir stellen sie den Lesern vor als die Herren Carton, Correspondenten des
Pariser Journals "Gaulois" und Chabrillot. in derselben Eigenschaft bei
dem fabrikmäßigen Witz des "Figaro", der cdroniqus scanäg-Iönss von
Paris, beglaubigt. Ihre Porträts sind schnell gezeichnet: Carton, etwa
30 Jahre alt, von übertriebener Beweglichkeit, eine mittelgroße sehnige
Figur, mit ergrautem Haar, stark gefurchtem Antlitz, grauen stechenden Augen
und grauem Knebelbart. Herr Chabrillot ganz das Gegentheil, ein unter¬
setzter, wohlbeleibter Pariser, dem die Küche der Boulevards vortrefflich an¬
geschlagen, von breitem bartlosem Gesicht, schwarzem Haar, phlegmatischem,
schleudernden Gang, die Hände wie festgewachsen in den Taschen. Bei der
Verhaftung wurde diesen Opfern des französischen Journalismus, die die
Sünden ihrer Genossenschaft wenigstens durch einige Stunden peinlichster
Angst und Lebensgefahr abbüßen mußten, einige Aufzeichnungen abgenom¬
men, die als Bericht für die Pariser Presse dienen sollten. Ihnen ist der
Stoff für das nachfolgende Genrebild entnommen. Sie reichen von dem
Abend vor der Schlacht bis zu den ersten Stunden des mörderischen Kampfes
am 6. Dem Vertreter des "Figaro" scheint der Humor für seine Notizen
vergangen zu sein, als die ersten Kanonenschläge aus preußischem Geschütz


Die fehlenden 32,000 Mann werden durch den constanten Theil der Ar¬
mee (Offiziere und Capitulanten) sowie durch die älteren Mannschaften der
bis 1866 selbständigen Contingente von Sachsen, Hannover, Hessen, Nassau,
Schleswig-Holstein, Mecklenburg u. s. w., welche in der vorstehenden
Berechnung nicht berücksichtigt wurden, überreichlich gedeckt.


Max Lehmann.


Der Gaulois in Wörth.

Nicht den großen Thaten der braven Bayern und Preußen, die am
Abend des 6. August, als die Sonne ihre letzten Strahlen über das Leichen¬
feld von Wörth entsandte, bei der Bluttaufe der deutschen Einheit sich brü¬
derlich die Hand reichten, — nicht der gewaltigsten Schlacht, die seit unserer
Väter Gedenken auf dem Festland ausgerungen worden ist, sollen diese
Blätter gewidmet sein; sie wollen erzählen von den Irrfahrten zweier fran¬
zösischer Journalisten, die ausgezogen waren in der Hoffnung, ihr Publicum
an der Seine mit den Nachrichten von rasch gewonnenen Siegen und wieder
aufgefrischter Gloire zu unterhalten, die aber, als der deutsche Löwe bet
Wörth seine Feinde niedertrat, ein Beutefang der Unsrigen geworden sind.

Wir stellen sie den Lesern vor als die Herren Carton, Correspondenten des
Pariser Journals „Gaulois" und Chabrillot. in derselben Eigenschaft bei
dem fabrikmäßigen Witz des „Figaro", der cdroniqus scanäg-Iönss von
Paris, beglaubigt. Ihre Porträts sind schnell gezeichnet: Carton, etwa
30 Jahre alt, von übertriebener Beweglichkeit, eine mittelgroße sehnige
Figur, mit ergrautem Haar, stark gefurchtem Antlitz, grauen stechenden Augen
und grauem Knebelbart. Herr Chabrillot ganz das Gegentheil, ein unter¬
setzter, wohlbeleibter Pariser, dem die Küche der Boulevards vortrefflich an¬
geschlagen, von breitem bartlosem Gesicht, schwarzem Haar, phlegmatischem,
schleudernden Gang, die Hände wie festgewachsen in den Taschen. Bei der
Verhaftung wurde diesen Opfern des französischen Journalismus, die die
Sünden ihrer Genossenschaft wenigstens durch einige Stunden peinlichster
Angst und Lebensgefahr abbüßen mußten, einige Aufzeichnungen abgenom¬
men, die als Bericht für die Pariser Presse dienen sollten. Ihnen ist der
Stoff für das nachfolgende Genrebild entnommen. Sie reichen von dem
Abend vor der Schlacht bis zu den ersten Stunden des mörderischen Kampfes
am 6. Dem Vertreter des „Figaro" scheint der Humor für seine Notizen
vergangen zu sein, als die ersten Kanonenschläge aus preußischem Geschütz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/348>, abgerufen am 26.06.2024.