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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Tagereise zurückzulegen hat, um zum Uebungs- oder Sammelplatz zu gelangen,
braucht gar nicht zu kommen. "Wer drei Mal ohne Entschuldigung gefehlt
hat, kann bestraft werden". Eine vortreffliche, massenhaft benutzte Handhabe,
um sich der Dienstpflicht gänzlich zu entziehen, bot endlich Art. 9, welcher
bestimmte, daß diejenigen, welche uns connaissance suWsants an inanisinent
ass armss et as 1'6eols an soläat bewiesen, von den Uebungen der Mobil¬
garde dispensirt sein sollten.

In der bekannten freundschaftlichen Gesinnung gegen die deutschen Nach¬
barn wurde das Institut zunächst an der nördlichen und östlichen Grenze
ins Leben gerufen. Februar 1869 hieß es, 142 Bataillone, 91 Batterien,
2 Pontonier-Cowpagnien (auf die Errichtung von Cavallerie>Cadres hatte
man verständiger Weise gleich verzichtet) seien bereits organtsirt. der Andrang
zu den Osfizierstellen -- für welche übrigens nicht nur active und verab¬
schiedete Land-, sondern auch Seeofficiere, ja sogar Grundbesitzer und In¬
dustrielle ohne irgend eine militärische Vorbildung genommen wurden -- sei
außerordentlich; im Juni 1869 erschien eine neue Militärzeitung unter dem
Titel: Journal as 1a Mräs nationale mobile. Anders lauteten die Nach¬
richten nach dem Tode desKriegsministers, des Marschall Niet (13. August 1869).
als dessen Lieblingsschöpfung die mobile Nationalgarde anzusehen ist. Der
neue Minister Leboeuf überzeugte sich, daß bei der Unfähigkeit der Offiziere,
dem Mangel an Personal und Material, der unzureichenden Disciplinar-
gewalt von irgend einer Ordnung, geschweige denn Disciplin keine Rede
war; er ließ Anfang October die Uebungen unterbrechen. Auch das neue
Journal erkannte plötzlich die Verbesserungsbedürftigkeit der ganzen Einrich¬
tung und hielt es für angemessen, seinen Namen in 1,3, Kranes mikils-ire
umzuändern. Seitdem öffnet es seine Spalten zahlreichen Stimmen (meist
von Offizieren der Mobilgarde), welche auf eine Verbindung mit dem stehen¬
den Heere dringen, um nutzlose Vergeudung von Geld- und Arbeitskräften zu
verhüten. Einigen Halt hat das Institut nur da gewonnen, wo es sich an
bestehende Schützengilden angeschlossen hat.

Unter diesen Umständen mag man zweifeln, ob es die ihm durch das
Gesetz zugewiesene Aufgabe: Vertheidigung der Festungen, der Küsten und
Grenzen des Reiches und Erhaltung der Ordnung im Innern vollständig
erfüllen wird. Ein Aufsatz im letzten Maiheft der Ksvue inilitairs trän-
Miss legt auf die Mobilgarde gar keinen Werth und meint, daß im Kriegs¬
falle die Besatzungen Frankreichs und Algiers nach wie vor von der Feld¬
armee und der Reserve gestellt werden müßten.

So viel steht fest: selbst der ärgste Chauvinist hat nie an eine Verwen¬
dung der Mobilgarde im Felde gedacht. Wir dagegen haben in unserer
Landwehr eine Streitmacht von 222 Bataillonen und 64 Schwadronen, welche


Tagereise zurückzulegen hat, um zum Uebungs- oder Sammelplatz zu gelangen,
braucht gar nicht zu kommen. „Wer drei Mal ohne Entschuldigung gefehlt
hat, kann bestraft werden". Eine vortreffliche, massenhaft benutzte Handhabe,
um sich der Dienstpflicht gänzlich zu entziehen, bot endlich Art. 9, welcher
bestimmte, daß diejenigen, welche uns connaissance suWsants an inanisinent
ass armss et as 1'6eols an soläat bewiesen, von den Uebungen der Mobil¬
garde dispensirt sein sollten.

In der bekannten freundschaftlichen Gesinnung gegen die deutschen Nach¬
barn wurde das Institut zunächst an der nördlichen und östlichen Grenze
ins Leben gerufen. Februar 1869 hieß es, 142 Bataillone, 91 Batterien,
2 Pontonier-Cowpagnien (auf die Errichtung von Cavallerie>Cadres hatte
man verständiger Weise gleich verzichtet) seien bereits organtsirt. der Andrang
zu den Osfizierstellen — für welche übrigens nicht nur active und verab¬
schiedete Land-, sondern auch Seeofficiere, ja sogar Grundbesitzer und In¬
dustrielle ohne irgend eine militärische Vorbildung genommen wurden — sei
außerordentlich; im Juni 1869 erschien eine neue Militärzeitung unter dem
Titel: Journal as 1a Mräs nationale mobile. Anders lauteten die Nach¬
richten nach dem Tode desKriegsministers, des Marschall Niet (13. August 1869).
als dessen Lieblingsschöpfung die mobile Nationalgarde anzusehen ist. Der
neue Minister Leboeuf überzeugte sich, daß bei der Unfähigkeit der Offiziere,
dem Mangel an Personal und Material, der unzureichenden Disciplinar-
gewalt von irgend einer Ordnung, geschweige denn Disciplin keine Rede
war; er ließ Anfang October die Uebungen unterbrechen. Auch das neue
Journal erkannte plötzlich die Verbesserungsbedürftigkeit der ganzen Einrich¬
tung und hielt es für angemessen, seinen Namen in 1,3, Kranes mikils-ire
umzuändern. Seitdem öffnet es seine Spalten zahlreichen Stimmen (meist
von Offizieren der Mobilgarde), welche auf eine Verbindung mit dem stehen¬
den Heere dringen, um nutzlose Vergeudung von Geld- und Arbeitskräften zu
verhüten. Einigen Halt hat das Institut nur da gewonnen, wo es sich an
bestehende Schützengilden angeschlossen hat.

Unter diesen Umständen mag man zweifeln, ob es die ihm durch das
Gesetz zugewiesene Aufgabe: Vertheidigung der Festungen, der Küsten und
Grenzen des Reiches und Erhaltung der Ordnung im Innern vollständig
erfüllen wird. Ein Aufsatz im letzten Maiheft der Ksvue inilitairs trän-
Miss legt auf die Mobilgarde gar keinen Werth und meint, daß im Kriegs¬
falle die Besatzungen Frankreichs und Algiers nach wie vor von der Feld¬
armee und der Reserve gestellt werden müßten.

So viel steht fest: selbst der ärgste Chauvinist hat nie an eine Verwen¬
dung der Mobilgarde im Felde gedacht. Wir dagegen haben in unserer
Landwehr eine Streitmacht von 222 Bataillonen und 64 Schwadronen, welche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/346>, abgerufen am 26.06.2024.