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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Aehnliche Formationen bestehen auch bei unsern Gegnern. Aber selbst
dann, wenn ihre Reserve nur 62,000 Mann zur Feldarmee abgiebt, bleiben
für die Bildung der Ersatzcadres nicht mehr als 108,000 Mann übrig,
und zwar lauter Krümper, während unsere 126,000 völlig ausgebildete Sol¬
daten sind.


L. Die mobile Nationalgarde und die Landwehr.

Die französische Regierung hatte nach 1866 unter ihre Vorschläge auch
eine Nachbildung der preußischen Landwehr aufgenommen, welche den in
Frankreich populären Namen der Nationalgarde führen sollte. Bedeutende
Abweichungen von den Principien des Institutes, welches nur bei uns eng
mit Geschichte und Nationalcharakter verflochten ist, waren von vorn herein
geboten; die Opposition des Landes und der Kammer hat aber nichts übrig
gelassen, was auch nur entfernt noch an dasselbe erinnerte.

Zwar klingt Titel II des Gesetzes vom 1. Februar 1868, welcher über
die Zg-räh nationale Mohne handelt, hochtönend genug. Art. 4 setzt für die¬
selbe das Princip der allgemeinen Wehrpflicht fest, d. h. diejenigen, welche
1) durch bons numeros, 2) durch Stellung eines roinM^ut, 3) auf einer
gesetzlichen Bestimmung (als älteste Brüder von Waisen, älteste Söhne 70-
jähriger oder blinder Väter) vom Dienst in stehenden Heere befreit waren,
müssen in der Nationalgarde dienen: vorausgesetzt, daß sie das Maß und
die nöthige Körperkraft haben. Polizei-, Zoll- und Steuerbeamte, Arbeiter
an den Etablissements der kais. Marine oder an den Arsenälen und Waffen¬
fabriken des Staates, Briefträger, Lokomotivführer, Lehrer an größeren
Schulen sind auch hier eximirt. Stellvertretung ist nicht ganz untersagt, sie
ist der oben mit 3) bezeichneten Klasse und auch sonst, im Kreise der Familie
gestattet: Verwandte 6. Grades dürfen einander noch vertreten. Man sieht,
das Princip der allgemeinen Wehrpflicht ist stark durchlöchert, es widerspricht
der französischen Anschauung durchaus. Bei der Berathung des Gesetzes im
corps legislÄtik wurde sogar eine noch weitergehende Stellvertretung gefor¬
dert und -- sehr bezeichnend für den angeblich so militärischen Geist der
Nation -- mit einer Majorität von nur 41 Stimmen abgelehnt.

Während nun unsere Landwehr nur aus Soldaten besteht, welche im
stehenden Heere eine dreijährige Präsenz- und vierjährige Neservezeit durch¬
gemacht haben, fehlt der mobilen Nationalgarde jeder Zusammenhang mit
den übrigen Theilen des Heeres und jede militärische Dressur. Freilich spricht
Art. 5 des betr. Gesetztitels von einer fünfjährigen Dienstzeit, aber das wird
zur Phrase durch den Zusatz, daß die Mannschaften höchstens 15 Mal im
Jahre zusammengezogen werden dürfen, und daß keine Vereinigung den
Leuten mehr als Einen Tag Zeit kosten darf, d. h. wer mehr als Eine


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Aehnliche Formationen bestehen auch bei unsern Gegnern. Aber selbst
dann, wenn ihre Reserve nur 62,000 Mann zur Feldarmee abgiebt, bleiben
für die Bildung der Ersatzcadres nicht mehr als 108,000 Mann übrig,
und zwar lauter Krümper, während unsere 126,000 völlig ausgebildete Sol¬
daten sind.


L. Die mobile Nationalgarde und die Landwehr.

Die französische Regierung hatte nach 1866 unter ihre Vorschläge auch
eine Nachbildung der preußischen Landwehr aufgenommen, welche den in
Frankreich populären Namen der Nationalgarde führen sollte. Bedeutende
Abweichungen von den Principien des Institutes, welches nur bei uns eng
mit Geschichte und Nationalcharakter verflochten ist, waren von vorn herein
geboten; die Opposition des Landes und der Kammer hat aber nichts übrig
gelassen, was auch nur entfernt noch an dasselbe erinnerte.

Zwar klingt Titel II des Gesetzes vom 1. Februar 1868, welcher über
die Zg-räh nationale Mohne handelt, hochtönend genug. Art. 4 setzt für die¬
selbe das Princip der allgemeinen Wehrpflicht fest, d. h. diejenigen, welche
1) durch bons numeros, 2) durch Stellung eines roinM^ut, 3) auf einer
gesetzlichen Bestimmung (als älteste Brüder von Waisen, älteste Söhne 70-
jähriger oder blinder Väter) vom Dienst in stehenden Heere befreit waren,
müssen in der Nationalgarde dienen: vorausgesetzt, daß sie das Maß und
die nöthige Körperkraft haben. Polizei-, Zoll- und Steuerbeamte, Arbeiter
an den Etablissements der kais. Marine oder an den Arsenälen und Waffen¬
fabriken des Staates, Briefträger, Lokomotivführer, Lehrer an größeren
Schulen sind auch hier eximirt. Stellvertretung ist nicht ganz untersagt, sie
ist der oben mit 3) bezeichneten Klasse und auch sonst, im Kreise der Familie
gestattet: Verwandte 6. Grades dürfen einander noch vertreten. Man sieht,
das Princip der allgemeinen Wehrpflicht ist stark durchlöchert, es widerspricht
der französischen Anschauung durchaus. Bei der Berathung des Gesetzes im
corps legislÄtik wurde sogar eine noch weitergehende Stellvertretung gefor¬
dert und — sehr bezeichnend für den angeblich so militärischen Geist der
Nation — mit einer Majorität von nur 41 Stimmen abgelehnt.

Während nun unsere Landwehr nur aus Soldaten besteht, welche im
stehenden Heere eine dreijährige Präsenz- und vierjährige Neservezeit durch¬
gemacht haben, fehlt der mobilen Nationalgarde jeder Zusammenhang mit
den übrigen Theilen des Heeres und jede militärische Dressur. Freilich spricht
Art. 5 des betr. Gesetztitels von einer fünfjährigen Dienstzeit, aber das wird
zur Phrase durch den Zusatz, daß die Mannschaften höchstens 15 Mal im
Jahre zusammengezogen werden dürfen, und daß keine Vereinigung den
Leuten mehr als Einen Tag Zeit kosten darf, d. h. wer mehr als Eine


Grcnzl'oder III. 137 0. 44
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[0345] Aehnliche Formationen bestehen auch bei unsern Gegnern. Aber selbst dann, wenn ihre Reserve nur 62,000 Mann zur Feldarmee abgiebt, bleiben für die Bildung der Ersatzcadres nicht mehr als 108,000 Mann übrig, und zwar lauter Krümper, während unsere 126,000 völlig ausgebildete Sol¬ daten sind. L. Die mobile Nationalgarde und die Landwehr. Die französische Regierung hatte nach 1866 unter ihre Vorschläge auch eine Nachbildung der preußischen Landwehr aufgenommen, welche den in Frankreich populären Namen der Nationalgarde führen sollte. Bedeutende Abweichungen von den Principien des Institutes, welches nur bei uns eng mit Geschichte und Nationalcharakter verflochten ist, waren von vorn herein geboten; die Opposition des Landes und der Kammer hat aber nichts übrig gelassen, was auch nur entfernt noch an dasselbe erinnerte. Zwar klingt Titel II des Gesetzes vom 1. Februar 1868, welcher über die Zg-räh nationale Mohne handelt, hochtönend genug. Art. 4 setzt für die¬ selbe das Princip der allgemeinen Wehrpflicht fest, d. h. diejenigen, welche 1) durch bons numeros, 2) durch Stellung eines roinM^ut, 3) auf einer gesetzlichen Bestimmung (als älteste Brüder von Waisen, älteste Söhne 70- jähriger oder blinder Väter) vom Dienst in stehenden Heere befreit waren, müssen in der Nationalgarde dienen: vorausgesetzt, daß sie das Maß und die nöthige Körperkraft haben. Polizei-, Zoll- und Steuerbeamte, Arbeiter an den Etablissements der kais. Marine oder an den Arsenälen und Waffen¬ fabriken des Staates, Briefträger, Lokomotivführer, Lehrer an größeren Schulen sind auch hier eximirt. Stellvertretung ist nicht ganz untersagt, sie ist der oben mit 3) bezeichneten Klasse und auch sonst, im Kreise der Familie gestattet: Verwandte 6. Grades dürfen einander noch vertreten. Man sieht, das Princip der allgemeinen Wehrpflicht ist stark durchlöchert, es widerspricht der französischen Anschauung durchaus. Bei der Berathung des Gesetzes im corps legislÄtik wurde sogar eine noch weitergehende Stellvertretung gefor¬ dert und — sehr bezeichnend für den angeblich so militärischen Geist der Nation — mit einer Majorität von nur 41 Stimmen abgelehnt. Während nun unsere Landwehr nur aus Soldaten besteht, welche im stehenden Heere eine dreijährige Präsenz- und vierjährige Neservezeit durch¬ gemacht haben, fehlt der mobilen Nationalgarde jeder Zusammenhang mit den übrigen Theilen des Heeres und jede militärische Dressur. Freilich spricht Art. 5 des betr. Gesetztitels von einer fünfjährigen Dienstzeit, aber das wird zur Phrase durch den Zusatz, daß die Mannschaften höchstens 15 Mal im Jahre zusammengezogen werden dürfen, und daß keine Vereinigung den Leuten mehr als Einen Tag Zeit kosten darf, d. h. wer mehr als Eine Grcnzl'oder III. 137 0. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/345>, abgerufen am 26.06.2024.