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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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der Pflicht des Amtes und die alte celtische Hartherzigkeit versäumen die
Sorge um die Leiden des Soldaten in widerwärtiger Weise.

Frankreich ist der Genfer Convention beigetreten. Aber das rothe Kreuz
auf dem Aermel und in den Fahnen der Hospitäler wird dort in frecher
Weise gemißbraucht. Jeder Schlingel, der umherlungern will und jeder
Hausbesitzer, der sich von Einquartierung frei machen möchte, heftete das Kreuz
an Rock und Haus und nahm vielleicht einige leicht verwundete Franzosen
in Kost, und die französischen Aerzte waren sehr willig, diese Begünstigung
zu gewähren. Als aber die Badenser in Hagenau das französische Lazarett),
welches dort etablirt war, besichtigten, fanden sie über 2000 verwundete
Franzosen ganz verlassen, ohne einen französischen Arzt, ohne jede Pflege!
Das ist der Staat, der an der Spitze der Civilisation schreitet, mit Tureos
als Avantgarde und der rohsten Barbarei gegen seine eigenen Kinder in
Reserve. Wahrlich, immer wieder wird dem Deutschen bei diesem Kriege die
peinliche Empfindung übermächtig: und mit solchem Gesinde! muß man sich
herumschlagen, gegen dieses verdorbene, faule, zurückgebliebene Staatswesen,
in welchem sich hinter gleißender Tünche die schnöde, harte Barbarei und Un¬
freiheit des Mittelalters birgt, müssen wir unser bestes Blut setzen aus dem
Fürstenschloß und Bauernhofe, die Blüthe unserer Jugend, auch in friedlicher
Zeit Stolz, Freude, Ehre der Nation. Das ist harte Arbeit, und es muß
die letzte dieser Art sein. Wir dürfen nicht Frieden schließen, ohne die Sicher¬
heit heimzutragen, daß wir die übermüthige Herrschsucht, das rohe Spielen und
Verfügen über fremde Lebensinteressen gründlich beseitigen.

Es ist ein behaglicher Versuch, die Tüchtigkeit der deutschen Truppen, wie
sie sich auf dem Marsch und in den letzten Gefechten bewährt hat, zu ver¬
gleichen. Ohne Eifersucht werden die Andern alle erklären, daß unter gleich
tapferen Waffenbrüdern die Preußen zuerst zu nennen sind. Und unter
ihnen hat wieder das S. Corps (Niederschlesien und Posen, früher unter
Steinmetz), bisher den größten Theil der Kriegsarbeit gehabt. Da ein gehöre-
^ ner Preuße diese Zeilen schreibt, so wird es andern Deutschen besser auftehn,
die Kriegsvorzüge der Preußen zu rühmen. Die beiden bayrischen Corps
sind schneller kriegsbereit gewesen, als sie selbst vorher angegeben hatten; es
war ein starker Gegensatz zum Jahre 1866, vier Jahre vertragsmäßiger
Waffenbrüderschaft haben im bayrischen Heerwesen eine Reihe bedeutsamer
Reformen eingeleitet; noch nicht zur Durchführung gebracht. Das schwer¬
blütige wuchtige Wesen der rauflustigen Altbayern sowohl, als die leichtlebige
Art der Franken und Pfälzer machen diesen tapferen Stämmen eine beson¬
ders sorgfältige und strenge Zucht nöthig. Sie würden die stärksten unserer
Soldaten sein, wenn sie nicht eine so kurze Dienstzeit hätten. Sie werden
nicht völlig ausgebildet, sind ihrer Art und Ausbildung nach zu kräftigem


der Pflicht des Amtes und die alte celtische Hartherzigkeit versäumen die
Sorge um die Leiden des Soldaten in widerwärtiger Weise.

Frankreich ist der Genfer Convention beigetreten. Aber das rothe Kreuz
auf dem Aermel und in den Fahnen der Hospitäler wird dort in frecher
Weise gemißbraucht. Jeder Schlingel, der umherlungern will und jeder
Hausbesitzer, der sich von Einquartierung frei machen möchte, heftete das Kreuz
an Rock und Haus und nahm vielleicht einige leicht verwundete Franzosen
in Kost, und die französischen Aerzte waren sehr willig, diese Begünstigung
zu gewähren. Als aber die Badenser in Hagenau das französische Lazarett),
welches dort etablirt war, besichtigten, fanden sie über 2000 verwundete
Franzosen ganz verlassen, ohne einen französischen Arzt, ohne jede Pflege!
Das ist der Staat, der an der Spitze der Civilisation schreitet, mit Tureos
als Avantgarde und der rohsten Barbarei gegen seine eigenen Kinder in
Reserve. Wahrlich, immer wieder wird dem Deutschen bei diesem Kriege die
peinliche Empfindung übermächtig: und mit solchem Gesinde! muß man sich
herumschlagen, gegen dieses verdorbene, faule, zurückgebliebene Staatswesen,
in welchem sich hinter gleißender Tünche die schnöde, harte Barbarei und Un¬
freiheit des Mittelalters birgt, müssen wir unser bestes Blut setzen aus dem
Fürstenschloß und Bauernhofe, die Blüthe unserer Jugend, auch in friedlicher
Zeit Stolz, Freude, Ehre der Nation. Das ist harte Arbeit, und es muß
die letzte dieser Art sein. Wir dürfen nicht Frieden schließen, ohne die Sicher¬
heit heimzutragen, daß wir die übermüthige Herrschsucht, das rohe Spielen und
Verfügen über fremde Lebensinteressen gründlich beseitigen.

Es ist ein behaglicher Versuch, die Tüchtigkeit der deutschen Truppen, wie
sie sich auf dem Marsch und in den letzten Gefechten bewährt hat, zu ver¬
gleichen. Ohne Eifersucht werden die Andern alle erklären, daß unter gleich
tapferen Waffenbrüdern die Preußen zuerst zu nennen sind. Und unter
ihnen hat wieder das S. Corps (Niederschlesien und Posen, früher unter
Steinmetz), bisher den größten Theil der Kriegsarbeit gehabt. Da ein gehöre-
^ ner Preuße diese Zeilen schreibt, so wird es andern Deutschen besser auftehn,
die Kriegsvorzüge der Preußen zu rühmen. Die beiden bayrischen Corps
sind schneller kriegsbereit gewesen, als sie selbst vorher angegeben hatten; es
war ein starker Gegensatz zum Jahre 1866, vier Jahre vertragsmäßiger
Waffenbrüderschaft haben im bayrischen Heerwesen eine Reihe bedeutsamer
Reformen eingeleitet; noch nicht zur Durchführung gebracht. Das schwer¬
blütige wuchtige Wesen der rauflustigen Altbayern sowohl, als die leichtlebige
Art der Franken und Pfälzer machen diesen tapferen Stämmen eine beson¬
ders sorgfältige und strenge Zucht nöthig. Sie würden die stärksten unserer
Soldaten sein, wenn sie nicht eine so kurze Dienstzeit hätten. Sie werden
nicht völlig ausgebildet, sind ihrer Art und Ausbildung nach zu kräftigem


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[0330] der Pflicht des Amtes und die alte celtische Hartherzigkeit versäumen die Sorge um die Leiden des Soldaten in widerwärtiger Weise. Frankreich ist der Genfer Convention beigetreten. Aber das rothe Kreuz auf dem Aermel und in den Fahnen der Hospitäler wird dort in frecher Weise gemißbraucht. Jeder Schlingel, der umherlungern will und jeder Hausbesitzer, der sich von Einquartierung frei machen möchte, heftete das Kreuz an Rock und Haus und nahm vielleicht einige leicht verwundete Franzosen in Kost, und die französischen Aerzte waren sehr willig, diese Begünstigung zu gewähren. Als aber die Badenser in Hagenau das französische Lazarett), welches dort etablirt war, besichtigten, fanden sie über 2000 verwundete Franzosen ganz verlassen, ohne einen französischen Arzt, ohne jede Pflege! Das ist der Staat, der an der Spitze der Civilisation schreitet, mit Tureos als Avantgarde und der rohsten Barbarei gegen seine eigenen Kinder in Reserve. Wahrlich, immer wieder wird dem Deutschen bei diesem Kriege die peinliche Empfindung übermächtig: und mit solchem Gesinde! muß man sich herumschlagen, gegen dieses verdorbene, faule, zurückgebliebene Staatswesen, in welchem sich hinter gleißender Tünche die schnöde, harte Barbarei und Un¬ freiheit des Mittelalters birgt, müssen wir unser bestes Blut setzen aus dem Fürstenschloß und Bauernhofe, die Blüthe unserer Jugend, auch in friedlicher Zeit Stolz, Freude, Ehre der Nation. Das ist harte Arbeit, und es muß die letzte dieser Art sein. Wir dürfen nicht Frieden schließen, ohne die Sicher¬ heit heimzutragen, daß wir die übermüthige Herrschsucht, das rohe Spielen und Verfügen über fremde Lebensinteressen gründlich beseitigen. Es ist ein behaglicher Versuch, die Tüchtigkeit der deutschen Truppen, wie sie sich auf dem Marsch und in den letzten Gefechten bewährt hat, zu ver¬ gleichen. Ohne Eifersucht werden die Andern alle erklären, daß unter gleich tapferen Waffenbrüdern die Preußen zuerst zu nennen sind. Und unter ihnen hat wieder das S. Corps (Niederschlesien und Posen, früher unter Steinmetz), bisher den größten Theil der Kriegsarbeit gehabt. Da ein gehöre- ^ ner Preuße diese Zeilen schreibt, so wird es andern Deutschen besser auftehn, die Kriegsvorzüge der Preußen zu rühmen. Die beiden bayrischen Corps sind schneller kriegsbereit gewesen, als sie selbst vorher angegeben hatten; es war ein starker Gegensatz zum Jahre 1866, vier Jahre vertragsmäßiger Waffenbrüderschaft haben im bayrischen Heerwesen eine Reihe bedeutsamer Reformen eingeleitet; noch nicht zur Durchführung gebracht. Das schwer¬ blütige wuchtige Wesen der rauflustigen Altbayern sowohl, als die leichtlebige Art der Franken und Pfälzer machen diesen tapferen Stämmen eine beson¬ ders sorgfältige und strenge Zucht nöthig. Sie würden die stärksten unserer Soldaten sein, wenn sie nicht eine so kurze Dienstzeit hätten. Sie werden nicht völlig ausgebildet, sind ihrer Art und Ausbildung nach zu kräftigem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/330>, abgerufen am 26.06.2024.