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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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durch Terrainbenutzung und die kauerscime Behendigkeit von Wilden haben
uns aus ihren Reihen sehr viele Gefangene gegeben, kein gutes Zeichen für
ihre militärische Tüchtigkeit, wie man denn überhaupt sagen darf, daß das
gesammte französische Heer noch die schlechten Eigenschaften eines Söldner¬
heeres hat, der kritischen Entscheidung schnell haltlose Ergebung folgen zu
lassen. Es ist tapfer, so lange ihm die Hoffnung auf Sieg Schwungkraft
gibt, es wird plötzlich gebrochen und feig, wenn diese Aussicht schwindet,
denn die letzten Zeugnisse der Hingabe und Treue, welche den Deutschen im
Kriegsunglück festhalten, fehlen der großen Mehrzahl der französischen Soldaten.
Die massenhafte Zahl der unverwundeten Gefangenen an Offizieren und
Soldaten ist Beweis.

Ueber die französische Artillerie ist noch nicht endgültig abzusprechen.
In dem starken Artilleriekampf bei Wörth hat die Artillerie doch nicht Ge¬
legenheit gesunden, alle Aufgaben ihrer Waffe zu erproben. In keinem
Fall haben wir den Vergleich mit dem Feinde zu scheuen, die französische
Artillerie, so weit dieselbe uns zugänglich geworden, ist besser bespannt als
die unsere, wir aber treffen präciser und schießen eben so schnell. Die Mi-
trailleusen sind im Feldkampfe fast unbrauchbar, die französischen Officiere
selbst spotten darüber. In gedeckter und sicherer Aufstellung und bei vor¬
sichtiger Bedienung mögen sie einmal wirksam sein, einen Engpaß zu schließen,
bei Vertheidigung des Zuganges zu einer Festung u. s. w. Ihre Kugeln
haben auf größere Distancen keine Percussionskraft und ihr Mechanismus
wird leicht unbrauchbar. Wir haben sie bisher nach wenigen Schüssen des-
armirt und zerschlagen. -- Die französische Cavallerie ist hinter allen Erwar¬
tungen, die man nach den Reformen des Kaisers etwa hegen wollte, so weit
zurückgeblieben, daß von ihr kaum noch die Rede sein kann. Bei jedem
Zusammenstoß mit unserer Reiterei ist sie ausgewichen oder kläglich geworfen
worden. Die badischen Dragoner haben in einem Angriff bei Hagenau ein
ganzes französisches Kürassierregiment zertrümmert, auseinandergesprengt und
gefangen genommen, dabei an Todten einen Mann verloren.

Endlich die Führung! Das Ende wirds lehren. Aber Einiges sehen
wir schon jetzt: die kaiserlichen Reformen haben nur eine sehr mangelhafte
Organisation geschaffen. Der Mangel an festen Corpsverbanden im Frie¬
den -- damit kein General bei seinen Soldaten zu populär werde -- nimmt
im Kriege den Führern alle Vortheile, welche aus einer längeren Bekannt¬
schaft den Truppen, der Officiere mit einander hervorgehen, die Verprovian-
tirung, die Krankenpflege sind übel geordnet, die Truppen aus Afrika wur¬
den kopfüber in Hausen ein- und ausgeschifft, ohne alle genügende Verpflegung
gegen den Feind gesandt. Der Mangel an Ehrlichkeit und an Hingabe in


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durch Terrainbenutzung und die kauerscime Behendigkeit von Wilden haben
uns aus ihren Reihen sehr viele Gefangene gegeben, kein gutes Zeichen für
ihre militärische Tüchtigkeit, wie man denn überhaupt sagen darf, daß das
gesammte französische Heer noch die schlechten Eigenschaften eines Söldner¬
heeres hat, der kritischen Entscheidung schnell haltlose Ergebung folgen zu
lassen. Es ist tapfer, so lange ihm die Hoffnung auf Sieg Schwungkraft
gibt, es wird plötzlich gebrochen und feig, wenn diese Aussicht schwindet,
denn die letzten Zeugnisse der Hingabe und Treue, welche den Deutschen im
Kriegsunglück festhalten, fehlen der großen Mehrzahl der französischen Soldaten.
Die massenhafte Zahl der unverwundeten Gefangenen an Offizieren und
Soldaten ist Beweis.

Ueber die französische Artillerie ist noch nicht endgültig abzusprechen.
In dem starken Artilleriekampf bei Wörth hat die Artillerie doch nicht Ge¬
legenheit gesunden, alle Aufgaben ihrer Waffe zu erproben. In keinem
Fall haben wir den Vergleich mit dem Feinde zu scheuen, die französische
Artillerie, so weit dieselbe uns zugänglich geworden, ist besser bespannt als
die unsere, wir aber treffen präciser und schießen eben so schnell. Die Mi-
trailleusen sind im Feldkampfe fast unbrauchbar, die französischen Officiere
selbst spotten darüber. In gedeckter und sicherer Aufstellung und bei vor¬
sichtiger Bedienung mögen sie einmal wirksam sein, einen Engpaß zu schließen,
bei Vertheidigung des Zuganges zu einer Festung u. s. w. Ihre Kugeln
haben auf größere Distancen keine Percussionskraft und ihr Mechanismus
wird leicht unbrauchbar. Wir haben sie bisher nach wenigen Schüssen des-
armirt und zerschlagen. — Die französische Cavallerie ist hinter allen Erwar¬
tungen, die man nach den Reformen des Kaisers etwa hegen wollte, so weit
zurückgeblieben, daß von ihr kaum noch die Rede sein kann. Bei jedem
Zusammenstoß mit unserer Reiterei ist sie ausgewichen oder kläglich geworfen
worden. Die badischen Dragoner haben in einem Angriff bei Hagenau ein
ganzes französisches Kürassierregiment zertrümmert, auseinandergesprengt und
gefangen genommen, dabei an Todten einen Mann verloren.

Endlich die Führung! Das Ende wirds lehren. Aber Einiges sehen
wir schon jetzt: die kaiserlichen Reformen haben nur eine sehr mangelhafte
Organisation geschaffen. Der Mangel an festen Corpsverbanden im Frie¬
den — damit kein General bei seinen Soldaten zu populär werde — nimmt
im Kriege den Führern alle Vortheile, welche aus einer längeren Bekannt¬
schaft den Truppen, der Officiere mit einander hervorgehen, die Verprovian-
tirung, die Krankenpflege sind übel geordnet, die Truppen aus Afrika wur¬
den kopfüber in Hausen ein- und ausgeschifft, ohne alle genügende Verpflegung
gegen den Feind gesandt. Der Mangel an Ehrlichkeit und an Hingabe in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/329>, abgerufen am 26.06.2024.