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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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deutschen Urtheil darstellt. Die reguläre Infanterie des Feindes, wenigstens
die der Armee von Mac Mahon und des II. Corps (Frossard), die Letztere
aus dem Lager von Chalons, ist in der Schlacht eine energische, gut aus¬
gebildete, geschickt manövrirende, sehr tapfere Truppe, bisher von starkem
Bewußtsein ihres Werthes, viel dauerhafter als man erwartete. Ihr Ge¬
wehr ist eine gute, mit besonderer Sorgfalt gearbeitete Waffe, weittreffend
und schnellfeuernd. Grade diese letzte Eigenschaft, in welcher der Kaiser und
seine militärischen Vertrauten die Ueberlegenheit über das Zündnadelgewehr
suchten, vermindert dem französischen Soldaten die Feldgüte des Chasse-
pots. Sie verleitet zu übermäßigem Feuern auf weite Distanzen und
verhindert ruhiges Zielen, wozu noch kommt, daß die Ausbildung der
Franzosen am Schießstande unvergleichlich geringer ist, als bei uns,
und ihr Temperament im Gefecht ihnen ruhiges Zielen erschwert.
Dies Urtheil drückte nach dem Gefecht von Weißenburg zuerst ein
Gemeiner vom Königl. Grenadierregiment Ur. 7 in seiner bescheidenen Weise
so aus: "Ihr Gewehr ist sehr gut und macht schlimme Wunden, aber unser
Gewehr trifft besser, denn wir sind Schützen, jeder von uns zielt und schießt
nur, wenn er meint, seinen Mann zu treffen. Für das letzte Schnellfeuer
schießen wir grade schnell genug, und dann thuts das Bajonet." Demun-
geachtet ist das Chafsepotgewehr die beste Hilfe des französischen Heeres, und
die im Verhältniß großen Verluste unserer Truppen kommen auf seine
Rechnung. Aber bisher hat unser Zündnadel- nebst dem bayrischen Gewehr
ihnen größere Verluste bereitet, als sie uns, das Verhältniß wird sich auf
2 Deutsche zu 3 Franzosen stellen, obgleich sie zu Weißenburg und Wörth
mit allen Vortheilen gedeckter, ja befestigter Stellung kämpften. Freilich
waren wir Sieger. Aber sehr merkwürdig und ein glänzender Beweis unserer
Ueberlegenheit ist, daß wir die Franzosen gezwungen haben, ihrem Naturell
einen starken Zwang anzulegen und sich auf der Defensive zu halten,
die sonst nur die Stärke der Turcos war. Beim Angriffe sind sie zwar feu¬
riger, schneller, vielleicht auch gewandter im Dorfgefecht als unsere Nord¬
deutschen, aber alle diese Temperamentsvorzüge werden unwesentlich durch die
deutsche Methode, den Sieg zu erkämpfen, durch unsere Sturmangriffe.
Diese schwere Schlachtenleistung einer Infanterie fordert einen Verein der besten
militärischen Eigenschaften, wie ihn nur die Deutschen haben: höchste taktische
Ausbildung der Truppen und zugleich die höchsten moralischen Kräfte: Hin¬
gabe an die Führer bis zum Tode, ruhiges trotziges Selbstgefühl und einen
physischen frischen Muth, der am Ende eines Schlachtentages noch zur größten
energischen Thatkraft gesteigert werden kann.

So sind unsere, nur unsere Soldaten. Die Zuaven und Turcos, die
ersteren ausgezeichnet durch schnellen und muthigen Ursprung, die letzteren


deutschen Urtheil darstellt. Die reguläre Infanterie des Feindes, wenigstens
die der Armee von Mac Mahon und des II. Corps (Frossard), die Letztere
aus dem Lager von Chalons, ist in der Schlacht eine energische, gut aus¬
gebildete, geschickt manövrirende, sehr tapfere Truppe, bisher von starkem
Bewußtsein ihres Werthes, viel dauerhafter als man erwartete. Ihr Ge¬
wehr ist eine gute, mit besonderer Sorgfalt gearbeitete Waffe, weittreffend
und schnellfeuernd. Grade diese letzte Eigenschaft, in welcher der Kaiser und
seine militärischen Vertrauten die Ueberlegenheit über das Zündnadelgewehr
suchten, vermindert dem französischen Soldaten die Feldgüte des Chasse-
pots. Sie verleitet zu übermäßigem Feuern auf weite Distanzen und
verhindert ruhiges Zielen, wozu noch kommt, daß die Ausbildung der
Franzosen am Schießstande unvergleichlich geringer ist, als bei uns,
und ihr Temperament im Gefecht ihnen ruhiges Zielen erschwert.
Dies Urtheil drückte nach dem Gefecht von Weißenburg zuerst ein
Gemeiner vom Königl. Grenadierregiment Ur. 7 in seiner bescheidenen Weise
so aus: „Ihr Gewehr ist sehr gut und macht schlimme Wunden, aber unser
Gewehr trifft besser, denn wir sind Schützen, jeder von uns zielt und schießt
nur, wenn er meint, seinen Mann zu treffen. Für das letzte Schnellfeuer
schießen wir grade schnell genug, und dann thuts das Bajonet." Demun-
geachtet ist das Chafsepotgewehr die beste Hilfe des französischen Heeres, und
die im Verhältniß großen Verluste unserer Truppen kommen auf seine
Rechnung. Aber bisher hat unser Zündnadel- nebst dem bayrischen Gewehr
ihnen größere Verluste bereitet, als sie uns, das Verhältniß wird sich auf
2 Deutsche zu 3 Franzosen stellen, obgleich sie zu Weißenburg und Wörth
mit allen Vortheilen gedeckter, ja befestigter Stellung kämpften. Freilich
waren wir Sieger. Aber sehr merkwürdig und ein glänzender Beweis unserer
Ueberlegenheit ist, daß wir die Franzosen gezwungen haben, ihrem Naturell
einen starken Zwang anzulegen und sich auf der Defensive zu halten,
die sonst nur die Stärke der Turcos war. Beim Angriffe sind sie zwar feu¬
riger, schneller, vielleicht auch gewandter im Dorfgefecht als unsere Nord¬
deutschen, aber alle diese Temperamentsvorzüge werden unwesentlich durch die
deutsche Methode, den Sieg zu erkämpfen, durch unsere Sturmangriffe.
Diese schwere Schlachtenleistung einer Infanterie fordert einen Verein der besten
militärischen Eigenschaften, wie ihn nur die Deutschen haben: höchste taktische
Ausbildung der Truppen und zugleich die höchsten moralischen Kräfte: Hin¬
gabe an die Führer bis zum Tode, ruhiges trotziges Selbstgefühl und einen
physischen frischen Muth, der am Ende eines Schlachtentages noch zur größten
energischen Thatkraft gesteigert werden kann.

So sind unsere, nur unsere Soldaten. Die Zuaven und Turcos, die
ersteren ausgezeichnet durch schnellen und muthigen Ursprung, die letzteren


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[0328] deutschen Urtheil darstellt. Die reguläre Infanterie des Feindes, wenigstens die der Armee von Mac Mahon und des II. Corps (Frossard), die Letztere aus dem Lager von Chalons, ist in der Schlacht eine energische, gut aus¬ gebildete, geschickt manövrirende, sehr tapfere Truppe, bisher von starkem Bewußtsein ihres Werthes, viel dauerhafter als man erwartete. Ihr Ge¬ wehr ist eine gute, mit besonderer Sorgfalt gearbeitete Waffe, weittreffend und schnellfeuernd. Grade diese letzte Eigenschaft, in welcher der Kaiser und seine militärischen Vertrauten die Ueberlegenheit über das Zündnadelgewehr suchten, vermindert dem französischen Soldaten die Feldgüte des Chasse- pots. Sie verleitet zu übermäßigem Feuern auf weite Distanzen und verhindert ruhiges Zielen, wozu noch kommt, daß die Ausbildung der Franzosen am Schießstande unvergleichlich geringer ist, als bei uns, und ihr Temperament im Gefecht ihnen ruhiges Zielen erschwert. Dies Urtheil drückte nach dem Gefecht von Weißenburg zuerst ein Gemeiner vom Königl. Grenadierregiment Ur. 7 in seiner bescheidenen Weise so aus: „Ihr Gewehr ist sehr gut und macht schlimme Wunden, aber unser Gewehr trifft besser, denn wir sind Schützen, jeder von uns zielt und schießt nur, wenn er meint, seinen Mann zu treffen. Für das letzte Schnellfeuer schießen wir grade schnell genug, und dann thuts das Bajonet." Demun- geachtet ist das Chafsepotgewehr die beste Hilfe des französischen Heeres, und die im Verhältniß großen Verluste unserer Truppen kommen auf seine Rechnung. Aber bisher hat unser Zündnadel- nebst dem bayrischen Gewehr ihnen größere Verluste bereitet, als sie uns, das Verhältniß wird sich auf 2 Deutsche zu 3 Franzosen stellen, obgleich sie zu Weißenburg und Wörth mit allen Vortheilen gedeckter, ja befestigter Stellung kämpften. Freilich waren wir Sieger. Aber sehr merkwürdig und ein glänzender Beweis unserer Ueberlegenheit ist, daß wir die Franzosen gezwungen haben, ihrem Naturell einen starken Zwang anzulegen und sich auf der Defensive zu halten, die sonst nur die Stärke der Turcos war. Beim Angriffe sind sie zwar feu¬ riger, schneller, vielleicht auch gewandter im Dorfgefecht als unsere Nord¬ deutschen, aber alle diese Temperamentsvorzüge werden unwesentlich durch die deutsche Methode, den Sieg zu erkämpfen, durch unsere Sturmangriffe. Diese schwere Schlachtenleistung einer Infanterie fordert einen Verein der besten militärischen Eigenschaften, wie ihn nur die Deutschen haben: höchste taktische Ausbildung der Truppen und zugleich die höchsten moralischen Kräfte: Hin¬ gabe an die Führer bis zum Tode, ruhiges trotziges Selbstgefühl und einen physischen frischen Muth, der am Ende eines Schlachtentages noch zur größten energischen Thatkraft gesteigert werden kann. So sind unsere, nur unsere Soldaten. Die Zuaven und Turcos, die ersteren ausgezeichnet durch schnellen und muthigen Ursprung, die letzteren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/328>, abgerufen am 26.06.2024.