Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zu Worte. Man fühlt aus jedem Satz heraus, daß nur das Bewußtsein
ihrer Machtlosigkeit die Schweden abhält, uns in den Rücken zu fallen. Ge¬
theilter sind die Stimmen in Gothenburg, der Haupthandelsstadt Schwedens,
und in der norwegischen Hauptstadt Christiania. In letzterer fordert nur
der Poet Björnstjerne Björnson, ein phantastisch-leidenschaftlicher Politiker,
militärische Parteinahme für Frankreich; vielleicht um damit in Kopenhagen
vergessen zu machen, daß er noch ganz vor kurzem die dänische Behandlung
Islands auf gleiche Stufe mit der preußischen Behandlung Nordschleswigs
gestellt. Morgenbladet, eins der leitenden norwegischen Blätter, würde nach
seinen bisherigen Auslassungen schon auf Deutschlands Seite stehen, wenn
nicht erstens Nordschleswig wäre, und zweitens die grundlose, aber stark ver-
breitete Furcht vor den umsichgreifenden Tendenzen des "Pangermanismus."
Wir in Deutschland kennen dieses Ungeheuer kaum, aber in Norwegen
scheint es einzelne "Pangermanen" zu geben, und natürlich setzen daher deren
geängstigte und erbitterte Landsleute voraus, daß die Gattung in Germa¬
niens Urwäldern zu Hause sei, jeden Augenblick bereit über Skandinavien
räuberisch herzufallen. Auch diese Ausgeburt der Furcht wird sich jedoch bald
in Nebel auflösen. Am entschiedensten ist die Gothenburger Handels- og
Sjöfarts-Tidning. und in ihr wieder der Wortführer der kirchlich-freisinnigen
Partei in Schweden, Victor Rydberg, aus Deutschlands Seite gegen Frank¬
reich getreten. Ihn zieht besonders das neuerwachte reformatorische Leben
im Schoße des deutschen Protestantismus zu uns herüber, die Tübinger
Schule und der Protestantenverein. Frankreich und Rom erscheinen ihm
ganz richtig als die beiden Schildhalter politisch-religiöser Reaction.

Noch sind es freilich Prediger in der Wüste, die sich so vernehmen lassen.
Aber da die Theilnahme am Kriege glücklich hingehalten worden ist --
wenigstens bis jetzt, und sowie heute im allgemeinen die Dinge stehen --
so darf man hoffen, daß bald wenigstens in Norwegen und Schweden eine
ruhigere Auffassung der deutschen Nationalpolitik um sich greifen werde. Man
wird sich dann in Stockholm wie in Gothenburg und Christiania und viel¬
leicht sogar in Kopenhagen Glück wünschen, das hohe und nothwendig zu
erreichende Ziel des praktischen Skandinavismus nicht an der Seite des
untergehenden Bonapartismus und französischen Weltbeherrschungskitzels ge¬
sucht und damit möglicher Weise für immer verfehlt zu haben.




zu Worte. Man fühlt aus jedem Satz heraus, daß nur das Bewußtsein
ihrer Machtlosigkeit die Schweden abhält, uns in den Rücken zu fallen. Ge¬
theilter sind die Stimmen in Gothenburg, der Haupthandelsstadt Schwedens,
und in der norwegischen Hauptstadt Christiania. In letzterer fordert nur
der Poet Björnstjerne Björnson, ein phantastisch-leidenschaftlicher Politiker,
militärische Parteinahme für Frankreich; vielleicht um damit in Kopenhagen
vergessen zu machen, daß er noch ganz vor kurzem die dänische Behandlung
Islands auf gleiche Stufe mit der preußischen Behandlung Nordschleswigs
gestellt. Morgenbladet, eins der leitenden norwegischen Blätter, würde nach
seinen bisherigen Auslassungen schon auf Deutschlands Seite stehen, wenn
nicht erstens Nordschleswig wäre, und zweitens die grundlose, aber stark ver-
breitete Furcht vor den umsichgreifenden Tendenzen des „Pangermanismus."
Wir in Deutschland kennen dieses Ungeheuer kaum, aber in Norwegen
scheint es einzelne „Pangermanen" zu geben, und natürlich setzen daher deren
geängstigte und erbitterte Landsleute voraus, daß die Gattung in Germa¬
niens Urwäldern zu Hause sei, jeden Augenblick bereit über Skandinavien
räuberisch herzufallen. Auch diese Ausgeburt der Furcht wird sich jedoch bald
in Nebel auflösen. Am entschiedensten ist die Gothenburger Handels- og
Sjöfarts-Tidning. und in ihr wieder der Wortführer der kirchlich-freisinnigen
Partei in Schweden, Victor Rydberg, aus Deutschlands Seite gegen Frank¬
reich getreten. Ihn zieht besonders das neuerwachte reformatorische Leben
im Schoße des deutschen Protestantismus zu uns herüber, die Tübinger
Schule und der Protestantenverein. Frankreich und Rom erscheinen ihm
ganz richtig als die beiden Schildhalter politisch-religiöser Reaction.

Noch sind es freilich Prediger in der Wüste, die sich so vernehmen lassen.
Aber da die Theilnahme am Kriege glücklich hingehalten worden ist —
wenigstens bis jetzt, und sowie heute im allgemeinen die Dinge stehen —
so darf man hoffen, daß bald wenigstens in Norwegen und Schweden eine
ruhigere Auffassung der deutschen Nationalpolitik um sich greifen werde. Man
wird sich dann in Stockholm wie in Gothenburg und Christiania und viel¬
leicht sogar in Kopenhagen Glück wünschen, das hohe und nothwendig zu
erreichende Ziel des praktischen Skandinavismus nicht an der Seite des
untergehenden Bonapartismus und französischen Weltbeherrschungskitzels ge¬
sucht und damit möglicher Weise für immer verfehlt zu haben.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0322" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124472"/>
          <p xml:id="ID_923" prev="#ID_922"> zu Worte. Man fühlt aus jedem Satz heraus, daß nur das Bewußtsein<lb/>
ihrer Machtlosigkeit die Schweden abhält, uns in den Rücken zu fallen. Ge¬<lb/>
theilter sind die Stimmen in Gothenburg, der Haupthandelsstadt Schwedens,<lb/>
und in der norwegischen Hauptstadt Christiania. In letzterer fordert nur<lb/>
der Poet Björnstjerne Björnson, ein phantastisch-leidenschaftlicher Politiker,<lb/>
militärische Parteinahme für Frankreich; vielleicht um damit in Kopenhagen<lb/>
vergessen zu machen, daß er noch ganz vor kurzem die dänische Behandlung<lb/>
Islands auf gleiche Stufe mit der preußischen Behandlung Nordschleswigs<lb/>
gestellt. Morgenbladet, eins der leitenden norwegischen Blätter, würde nach<lb/>
seinen bisherigen Auslassungen schon auf Deutschlands Seite stehen, wenn<lb/>
nicht erstens Nordschleswig wäre, und zweitens die grundlose, aber stark ver-<lb/>
breitete Furcht vor den umsichgreifenden Tendenzen des &#x201E;Pangermanismus."<lb/>
Wir in Deutschland kennen dieses Ungeheuer kaum, aber in Norwegen<lb/>
scheint es einzelne &#x201E;Pangermanen" zu geben, und natürlich setzen daher deren<lb/>
geängstigte und erbitterte Landsleute voraus, daß die Gattung in Germa¬<lb/>
niens Urwäldern zu Hause sei, jeden Augenblick bereit über Skandinavien<lb/>
räuberisch herzufallen. Auch diese Ausgeburt der Furcht wird sich jedoch bald<lb/>
in Nebel auflösen. Am entschiedensten ist die Gothenburger Handels- og<lb/>
Sjöfarts-Tidning. und in ihr wieder der Wortführer der kirchlich-freisinnigen<lb/>
Partei in Schweden, Victor Rydberg, aus Deutschlands Seite gegen Frank¬<lb/>
reich getreten. Ihn zieht besonders das neuerwachte reformatorische Leben<lb/>
im Schoße des deutschen Protestantismus zu uns herüber, die Tübinger<lb/>
Schule und der Protestantenverein. Frankreich und Rom erscheinen ihm<lb/>
ganz richtig als die beiden Schildhalter politisch-religiöser Reaction.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_924"> Noch sind es freilich Prediger in der Wüste, die sich so vernehmen lassen.<lb/>
Aber da die Theilnahme am Kriege glücklich hingehalten worden ist &#x2014;<lb/>
wenigstens bis jetzt, und sowie heute im allgemeinen die Dinge stehen &#x2014;<lb/>
so darf man hoffen, daß bald wenigstens in Norwegen und Schweden eine<lb/>
ruhigere Auffassung der deutschen Nationalpolitik um sich greifen werde. Man<lb/>
wird sich dann in Stockholm wie in Gothenburg und Christiania und viel¬<lb/>
leicht sogar in Kopenhagen Glück wünschen, das hohe und nothwendig zu<lb/>
erreichende Ziel des praktischen Skandinavismus nicht an der Seite des<lb/>
untergehenden Bonapartismus und französischen Weltbeherrschungskitzels ge¬<lb/>
sucht und damit möglicher Weise für immer verfehlt zu haben.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0322] zu Worte. Man fühlt aus jedem Satz heraus, daß nur das Bewußtsein ihrer Machtlosigkeit die Schweden abhält, uns in den Rücken zu fallen. Ge¬ theilter sind die Stimmen in Gothenburg, der Haupthandelsstadt Schwedens, und in der norwegischen Hauptstadt Christiania. In letzterer fordert nur der Poet Björnstjerne Björnson, ein phantastisch-leidenschaftlicher Politiker, militärische Parteinahme für Frankreich; vielleicht um damit in Kopenhagen vergessen zu machen, daß er noch ganz vor kurzem die dänische Behandlung Islands auf gleiche Stufe mit der preußischen Behandlung Nordschleswigs gestellt. Morgenbladet, eins der leitenden norwegischen Blätter, würde nach seinen bisherigen Auslassungen schon auf Deutschlands Seite stehen, wenn nicht erstens Nordschleswig wäre, und zweitens die grundlose, aber stark ver- breitete Furcht vor den umsichgreifenden Tendenzen des „Pangermanismus." Wir in Deutschland kennen dieses Ungeheuer kaum, aber in Norwegen scheint es einzelne „Pangermanen" zu geben, und natürlich setzen daher deren geängstigte und erbitterte Landsleute voraus, daß die Gattung in Germa¬ niens Urwäldern zu Hause sei, jeden Augenblick bereit über Skandinavien räuberisch herzufallen. Auch diese Ausgeburt der Furcht wird sich jedoch bald in Nebel auflösen. Am entschiedensten ist die Gothenburger Handels- og Sjöfarts-Tidning. und in ihr wieder der Wortführer der kirchlich-freisinnigen Partei in Schweden, Victor Rydberg, aus Deutschlands Seite gegen Frank¬ reich getreten. Ihn zieht besonders das neuerwachte reformatorische Leben im Schoße des deutschen Protestantismus zu uns herüber, die Tübinger Schule und der Protestantenverein. Frankreich und Rom erscheinen ihm ganz richtig als die beiden Schildhalter politisch-religiöser Reaction. Noch sind es freilich Prediger in der Wüste, die sich so vernehmen lassen. Aber da die Theilnahme am Kriege glücklich hingehalten worden ist — wenigstens bis jetzt, und sowie heute im allgemeinen die Dinge stehen — so darf man hoffen, daß bald wenigstens in Norwegen und Schweden eine ruhigere Auffassung der deutschen Nationalpolitik um sich greifen werde. Man wird sich dann in Stockholm wie in Gothenburg und Christiania und viel¬ leicht sogar in Kopenhagen Glück wünschen, das hohe und nothwendig zu erreichende Ziel des praktischen Skandinavismus nicht an der Seite des untergehenden Bonapartismus und französischen Weltbeherrschungskitzels ge¬ sucht und damit möglicher Weise für immer verfehlt zu haben.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/322
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/322>, abgerufen am 26.06.2024.