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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Den letzteren Grund konnte man seiner Zeit im Moniteur lesen, dem
Organ des damals noch nicht verabschiedeten kaiserlichen Leibredners Ollivier.
Aber er muß für Napoleon doch wohl keine überzeugende Kraft besessen haben,
denn gleich nachher machte sich der bisherige Gesandte in München, Herzog
Cadore, mit einer außerordentlichen Botschaft auf den Weg, um die zögernde
dänische Regierung mürbe zu machen. Einer der letztern Ministerwechsel hatte
Frankreich in Kopenhagen seines langjährigen kundigen und einflußreichen
Gesandten Dotizac beraubt, weil der Marquis von Lavalette, als er das
Portefeuille abgeben mußte, für seinen Cabinetschef Marquis von Ferre'öl
nach gewohnter französischer Weise einen Gesandtschajtsposten suchte und
keinen andern als den am dänischen Hofe fand. Daher glaubte man in
Paris ohne Zweifel, es habe an der Unfähigkeit dieses Günstlings eines
Gegners von Ollivier und Grammont gelegen, wenn Dänemark bisher gegen
Frankreichs Wünsche taub geblieben sei, und schickte ihm einen außerordent¬
lichen Abgesandten zu Hilfe. Allein auch dieser hat allem Anscheine nach
nicht mehr ausgerichtet. Inzwischen waren die drei deutschen Siege erfochten
worden und der Herzog von Cadore mußte wieder abreisen, ohne vom König
Audienz erhalten zu haben oder selbst nur zur Tafel gezogen zu sein.

So sehen sich denn die Dänen gegen ihre eigene feste Erwartung ge¬
nöthigt, dem deutsch-französischen Kriege unthätig zuzuschauen. Nur in dem
Falle, daß den französischen Waffen noch ein bedeutender Erfolg aufgespart sein
sollte, werden die Wünsche wieder aufleben, welche man mit bitterer Selbst¬
bezwingung erstickt. Von den großen Blättern Kopenhagens steht die osficiöse
Berlingske Tidende politisch ganz auf Frankreichs Seite, namentlich auch in
den Artikeln des Statistikers und ehemaligen Ministers Davio; während eine
militärische Feder in ihren Spalten die Ursachen der deutschen Siege recht
unbefangen würdigt. Dagblabet, dessen eitler Redacteur Bille der echte
"Pariser in Kopenhagen" ist, geberdet sich schlechterdings nicht anders wie
seine französischen College", die Fanfarons des Gaulois oder der Liberte.
Endlich Fädrelandet behauptet zwar einen Rest von Fähigkeit, Thatsachen
zu würdigen, sieht aber mit allzu schwarzsichtiger Phantasie Dänemarks Unter"
gang voraus, falls Frankreich unterliegen sollte. Diese patriotischen Beklem¬
mungen zu enttäuschen wird der deutschen Politik nach dem Kriege nicht
schwer fallen können. Wir werden den Dänen ihre gegenwärtigen Antipathien
sicher nicht anrechnen, da sie, gleichviel weswegen, in der Sphäre der frommen
oder unfrommen Wünsche geblieben sind.

Nur um ein weniges minder antideutsch, als die sogut wie einstimmige
dänische, ist die schwedische und norwegische Presse. In Stockholm besonders
kommen Vernunft und Gerechtigkeit in Bezug auf diesen Krieg kaum noch


Grenzboten III. 1370, 41

Den letzteren Grund konnte man seiner Zeit im Moniteur lesen, dem
Organ des damals noch nicht verabschiedeten kaiserlichen Leibredners Ollivier.
Aber er muß für Napoleon doch wohl keine überzeugende Kraft besessen haben,
denn gleich nachher machte sich der bisherige Gesandte in München, Herzog
Cadore, mit einer außerordentlichen Botschaft auf den Weg, um die zögernde
dänische Regierung mürbe zu machen. Einer der letztern Ministerwechsel hatte
Frankreich in Kopenhagen seines langjährigen kundigen und einflußreichen
Gesandten Dotizac beraubt, weil der Marquis von Lavalette, als er das
Portefeuille abgeben mußte, für seinen Cabinetschef Marquis von Ferre'öl
nach gewohnter französischer Weise einen Gesandtschajtsposten suchte und
keinen andern als den am dänischen Hofe fand. Daher glaubte man in
Paris ohne Zweifel, es habe an der Unfähigkeit dieses Günstlings eines
Gegners von Ollivier und Grammont gelegen, wenn Dänemark bisher gegen
Frankreichs Wünsche taub geblieben sei, und schickte ihm einen außerordent¬
lichen Abgesandten zu Hilfe. Allein auch dieser hat allem Anscheine nach
nicht mehr ausgerichtet. Inzwischen waren die drei deutschen Siege erfochten
worden und der Herzog von Cadore mußte wieder abreisen, ohne vom König
Audienz erhalten zu haben oder selbst nur zur Tafel gezogen zu sein.

So sehen sich denn die Dänen gegen ihre eigene feste Erwartung ge¬
nöthigt, dem deutsch-französischen Kriege unthätig zuzuschauen. Nur in dem
Falle, daß den französischen Waffen noch ein bedeutender Erfolg aufgespart sein
sollte, werden die Wünsche wieder aufleben, welche man mit bitterer Selbst¬
bezwingung erstickt. Von den großen Blättern Kopenhagens steht die osficiöse
Berlingske Tidende politisch ganz auf Frankreichs Seite, namentlich auch in
den Artikeln des Statistikers und ehemaligen Ministers Davio; während eine
militärische Feder in ihren Spalten die Ursachen der deutschen Siege recht
unbefangen würdigt. Dagblabet, dessen eitler Redacteur Bille der echte
„Pariser in Kopenhagen" ist, geberdet sich schlechterdings nicht anders wie
seine französischen College«, die Fanfarons des Gaulois oder der Liberte.
Endlich Fädrelandet behauptet zwar einen Rest von Fähigkeit, Thatsachen
zu würdigen, sieht aber mit allzu schwarzsichtiger Phantasie Dänemarks Unter«
gang voraus, falls Frankreich unterliegen sollte. Diese patriotischen Beklem¬
mungen zu enttäuschen wird der deutschen Politik nach dem Kriege nicht
schwer fallen können. Wir werden den Dänen ihre gegenwärtigen Antipathien
sicher nicht anrechnen, da sie, gleichviel weswegen, in der Sphäre der frommen
oder unfrommen Wünsche geblieben sind.

Nur um ein weniges minder antideutsch, als die sogut wie einstimmige
dänische, ist die schwedische und norwegische Presse. In Stockholm besonders
kommen Vernunft und Gerechtigkeit in Bezug auf diesen Krieg kaum noch


Grenzboten III. 1370, 41
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[0321] Den letzteren Grund konnte man seiner Zeit im Moniteur lesen, dem Organ des damals noch nicht verabschiedeten kaiserlichen Leibredners Ollivier. Aber er muß für Napoleon doch wohl keine überzeugende Kraft besessen haben, denn gleich nachher machte sich der bisherige Gesandte in München, Herzog Cadore, mit einer außerordentlichen Botschaft auf den Weg, um die zögernde dänische Regierung mürbe zu machen. Einer der letztern Ministerwechsel hatte Frankreich in Kopenhagen seines langjährigen kundigen und einflußreichen Gesandten Dotizac beraubt, weil der Marquis von Lavalette, als er das Portefeuille abgeben mußte, für seinen Cabinetschef Marquis von Ferre'öl nach gewohnter französischer Weise einen Gesandtschajtsposten suchte und keinen andern als den am dänischen Hofe fand. Daher glaubte man in Paris ohne Zweifel, es habe an der Unfähigkeit dieses Günstlings eines Gegners von Ollivier und Grammont gelegen, wenn Dänemark bisher gegen Frankreichs Wünsche taub geblieben sei, und schickte ihm einen außerordent¬ lichen Abgesandten zu Hilfe. Allein auch dieser hat allem Anscheine nach nicht mehr ausgerichtet. Inzwischen waren die drei deutschen Siege erfochten worden und der Herzog von Cadore mußte wieder abreisen, ohne vom König Audienz erhalten zu haben oder selbst nur zur Tafel gezogen zu sein. So sehen sich denn die Dänen gegen ihre eigene feste Erwartung ge¬ nöthigt, dem deutsch-französischen Kriege unthätig zuzuschauen. Nur in dem Falle, daß den französischen Waffen noch ein bedeutender Erfolg aufgespart sein sollte, werden die Wünsche wieder aufleben, welche man mit bitterer Selbst¬ bezwingung erstickt. Von den großen Blättern Kopenhagens steht die osficiöse Berlingske Tidende politisch ganz auf Frankreichs Seite, namentlich auch in den Artikeln des Statistikers und ehemaligen Ministers Davio; während eine militärische Feder in ihren Spalten die Ursachen der deutschen Siege recht unbefangen würdigt. Dagblabet, dessen eitler Redacteur Bille der echte „Pariser in Kopenhagen" ist, geberdet sich schlechterdings nicht anders wie seine französischen College«, die Fanfarons des Gaulois oder der Liberte. Endlich Fädrelandet behauptet zwar einen Rest von Fähigkeit, Thatsachen zu würdigen, sieht aber mit allzu schwarzsichtiger Phantasie Dänemarks Unter« gang voraus, falls Frankreich unterliegen sollte. Diese patriotischen Beklem¬ mungen zu enttäuschen wird der deutschen Politik nach dem Kriege nicht schwer fallen können. Wir werden den Dänen ihre gegenwärtigen Antipathien sicher nicht anrechnen, da sie, gleichviel weswegen, in der Sphäre der frommen oder unfrommen Wünsche geblieben sind. Nur um ein weniges minder antideutsch, als die sogut wie einstimmige dänische, ist die schwedische und norwegische Presse. In Stockholm besonders kommen Vernunft und Gerechtigkeit in Bezug auf diesen Krieg kaum noch Grenzboten III. 1370, 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/321>, abgerufen am 26.06.2024.