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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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für nöthig, ein in Umlauf gekommenes Gerücht, welches ihm Aeußerungen
im Sinne des Welfenthums beimaß, durch folgende öffentliche Erklärung vom
22. Juli zurückzuweisen: "Gerüchten gegenüber, die verbreitet sind, erkläre ich,
daß ich wie jeder redliche deutsche Mann den Sieg unserer Waffen über den
Erbfeind des Vaterlandes von Herzen wünsche und hoffe, daß ich keine
Aeußerung gethan habe, die damit in Widerspruch stände."

Wie in Rostock, so fehlte es auch in dem übrigen Lande an jedem ver¬
nehmlichen Hervortreten welfischer Sympathien. Dem mächtigen Eindruck
der nationalen Begeisterung gegenüber fand der Preußenhaß es gerathen,
sich wenigstens nicht öffentlich hervorzuwagen, wenn er auch im Geheimen
noch in manchem Herzen fortleben mag. Derjenige Theil der mecklenburgischen
Presse, welcherseiner Zeit dem Staatsstretch des Kaisers Napoleon zugejauchzt und
ihn als den Retter der Gesellschaft gepriesen hatte, erinnerte sich jetzt
plötzlich, daß das zweite französische Kaiserreich durch Meineid und Verrath und
durch in Strömen vergossenes Bürgerblut inaugurirt worden war, und gab
seiner Verachtung ungezügelten Ausdruck. Auch das in dem großherzoglichen
Oberkirchenrath in Schwerin repräsentiere verknöcherte Lutherthum konnte dem
allgemeinen Zuge der Zeit sich nicht ganz widersetzen. Unter dem 1. Aug.
erließ "in Folge Allerhöchsten Befehls" diese Behörde eine Verordnung, daß
"um des jetzt währenden Krieges willen" der nächste Sonntag als ein Büß-
und Bettag "gehalten" und an demselben über Psalm 85 gepredigt werden
solle. Der Oberkirchenrath hatte es zwar vermieden, diesen Buß- und Bet¬
tag gleichzeitig mit dem preußischen, am 27. Juli, abhalten zu lassen und für
denselben nicht einen Wochentag, wie in Preußen, sondern einen Sonntag
ausgewählt; auch hatte er sich in der Fassung seiner Verfügung sorgfältig
vor jeder Parteinahme für einen der kriegführenden Theile gehütet; aber
durch die Anordnung selbst bot er doch allen nationalgesinnten Geistlichen
der Landeskirche die erwünschte Gelegenheit, für den Sieg der deutschen
Waffen vor versammelter Gemeinde den Beistand Gottes anzurufen.

Selbst in Mecklenburg-Strelitz, dem Hauptsitze particularistischer und
preußenseindlicher Bestrebungen, mußte die Welsenpartei sich entschließen,
mit der herrschenden Strömung zu gehen. Anfänglich schien es zwar, als
sollte hier das bekannte Verhalten vom Jahre 1866 sich wiederholen. Der
Großherzog, welcher schon vor den Verwickelungen, welche schließlich zum
Kriege führten, eine Reise nach England angetreten hatte, beeilte sich an¬
scheinend mit der Rückkehr nicht. Die Landesregierung, deren Haupt, der
^Staatsmtnister Freiherr von Hammerstein, früherer hannoverscher Minister,
in dem Rufe der Hinneigung zu welsischen Tendenzen steht, erließ zwar eine
beschwichtigende Pcoclamation an das Land, schien aber selbst über die Pläne
und Absichten des Großherzogs nicht genügend unterrichtet zu sein. Die am


für nöthig, ein in Umlauf gekommenes Gerücht, welches ihm Aeußerungen
im Sinne des Welfenthums beimaß, durch folgende öffentliche Erklärung vom
22. Juli zurückzuweisen: „Gerüchten gegenüber, die verbreitet sind, erkläre ich,
daß ich wie jeder redliche deutsche Mann den Sieg unserer Waffen über den
Erbfeind des Vaterlandes von Herzen wünsche und hoffe, daß ich keine
Aeußerung gethan habe, die damit in Widerspruch stände."

Wie in Rostock, so fehlte es auch in dem übrigen Lande an jedem ver¬
nehmlichen Hervortreten welfischer Sympathien. Dem mächtigen Eindruck
der nationalen Begeisterung gegenüber fand der Preußenhaß es gerathen,
sich wenigstens nicht öffentlich hervorzuwagen, wenn er auch im Geheimen
noch in manchem Herzen fortleben mag. Derjenige Theil der mecklenburgischen
Presse, welcherseiner Zeit dem Staatsstretch des Kaisers Napoleon zugejauchzt und
ihn als den Retter der Gesellschaft gepriesen hatte, erinnerte sich jetzt
plötzlich, daß das zweite französische Kaiserreich durch Meineid und Verrath und
durch in Strömen vergossenes Bürgerblut inaugurirt worden war, und gab
seiner Verachtung ungezügelten Ausdruck. Auch das in dem großherzoglichen
Oberkirchenrath in Schwerin repräsentiere verknöcherte Lutherthum konnte dem
allgemeinen Zuge der Zeit sich nicht ganz widersetzen. Unter dem 1. Aug.
erließ „in Folge Allerhöchsten Befehls" diese Behörde eine Verordnung, daß
„um des jetzt währenden Krieges willen" der nächste Sonntag als ein Büß-
und Bettag „gehalten" und an demselben über Psalm 85 gepredigt werden
solle. Der Oberkirchenrath hatte es zwar vermieden, diesen Buß- und Bet¬
tag gleichzeitig mit dem preußischen, am 27. Juli, abhalten zu lassen und für
denselben nicht einen Wochentag, wie in Preußen, sondern einen Sonntag
ausgewählt; auch hatte er sich in der Fassung seiner Verfügung sorgfältig
vor jeder Parteinahme für einen der kriegführenden Theile gehütet; aber
durch die Anordnung selbst bot er doch allen nationalgesinnten Geistlichen
der Landeskirche die erwünschte Gelegenheit, für den Sieg der deutschen
Waffen vor versammelter Gemeinde den Beistand Gottes anzurufen.

Selbst in Mecklenburg-Strelitz, dem Hauptsitze particularistischer und
preußenseindlicher Bestrebungen, mußte die Welsenpartei sich entschließen,
mit der herrschenden Strömung zu gehen. Anfänglich schien es zwar, als
sollte hier das bekannte Verhalten vom Jahre 1866 sich wiederholen. Der
Großherzog, welcher schon vor den Verwickelungen, welche schließlich zum
Kriege führten, eine Reise nach England angetreten hatte, beeilte sich an¬
scheinend mit der Rückkehr nicht. Die Landesregierung, deren Haupt, der
^Staatsmtnister Freiherr von Hammerstein, früherer hannoverscher Minister,
in dem Rufe der Hinneigung zu welsischen Tendenzen steht, erließ zwar eine
beschwichtigende Pcoclamation an das Land, schien aber selbst über die Pläne
und Absichten des Großherzogs nicht genügend unterrichtet zu sein. Die am


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/317>, abgerufen am 26.06.2024.