Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.19. Juli erfolgte Verhaftung eines ehemaligen hannoverschen Offiziers, von So sind hinter dem einen Gedanken, welcher jetzt die Nation bewegt, 19. Juli erfolgte Verhaftung eines ehemaligen hannoverschen Offiziers, von So sind hinter dem einen Gedanken, welcher jetzt die Nation bewegt, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0318" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124468"/> <p xml:id="ID_914" prev="#ID_913"> 19. Juli erfolgte Verhaftung eines ehemaligen hannoverschen Offiziers, von<lb/> Petersdorff, welcher nach dem Jahre 1866 eine Anstellung als Chef der<lb/> Strelitzschen Gensd'armerie erhalten hatte und dessen Abführung nach der<lb/> Festung Stettin, wo eine Untersuchung wegen Landesverrat!) ihn erwartete,<lb/> rief Gerüchte der schlimmsten Art hervor. Indessen zerstreuten sich später<lb/> diese Nebel. Der Großherzog kehrte gegen Ende Juli in seine Residenz zurück,<lb/> nachdem er auf der Durchreise in Berlin für den Erbgroßherzog, der ihn be¬<lb/> gleitete, die Erlaubniß erwirkt hatte, sich dem Hauptquartier der Armee des<lb/> Kronprinzen von Preußen anzuschließen. Die Großherzogin — eine englische<lb/> Prinzessin — stellte sich am Tage nach ihrer Rückkehr von England an die<lb/> Spitze, eines Landeshilfsvereins. Ihr Aufruf sprach zwar nur von „mecklen¬<lb/> burgischen Kriegern" und „Landessöhnen", denen und deren Familien die<lb/> Unterstützungen zu Gute kommen sollten; doch wurde diese Beschränkung<lb/> bald darauf durch einen Aufruf des Vorstandes des Landesvereins verbessert,<lb/> wonach es von Anfang an in der Absicht des Vereins gelegen, auch für<lb/> andere deutsche Krieger den Ertrag der Sammlungen zu verwenden. Der<lb/> Verdacht gegen den Rittmeister v. Petersdorff erwies sich als unbegründet<lb/> und derselbe kehrte, gänzlich außer Verfolgung gesetzt, wieder in seinen Wohn¬<lb/> ort Neustrelitz zurück.</p><lb/> <p xml:id="ID_915"> So sind hinter dem einen Gedanken, welcher jetzt die Nation bewegt,<lb/> auch bei uns die Streitigkeiten um die heimischen Dinge vertagt worden<lb/> und werden erst dann wieder aufleben, wenn das Ziel des jetzt unsere ganze<lb/> Kraft fordernden Krieges erreicht ist. Wir hoffen aber zuversichtlich, daß, so<lb/> wie die Früchte dieses Krieges zweifellos dem Ganzen der Nation zu Gute<lb/> kommen und sie für die von ihr zutragenden Opfer, Leiden und Entbehrungen<lb/> entschädigen werden, auch unserem Lande und Volke daraus eine Ernte der<lb/> Freiheit und Mündigkeit zufallen wird. Solche kümmerliche, dem Geist der<lb/> modernen Zeit feindliche staatliche Existenzen, wie sie Mecklenburg in seiner<lb/> durch Privilegien des Besitzes und des Amtes gebildeten, die Wahl durch<lb/> die Bevölkerung ausschließenden Vertretung und seiner Budgetlosigkeit dar¬<lb/> stellt, werden dann sicherlich noch schwerer haltbar sein als vorher. Hat die<lb/> mecklenburgische Bevölkerung freudig ihren Antheil an den Opfern getragen,<lb/> welche das Vaterland von uns allen erheischt, so wird das Verlangen um<lb/> so berechtigter erscheinen, daß ihr diejenigen Rechte bei der Ordnung ihrer<lb/> inneren Angelegenheiten nicht länger vorenthalten werden, welche jeder andere<lb/> deutsche Volksstamm längst besitzt und deren Einräumung nur in Mecklen¬<lb/> burg bisher von der Regierung nicht als ihre selbstverständliche Pflicht be¬<lb/> trachtet worden ist.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0318]
19. Juli erfolgte Verhaftung eines ehemaligen hannoverschen Offiziers, von
Petersdorff, welcher nach dem Jahre 1866 eine Anstellung als Chef der
Strelitzschen Gensd'armerie erhalten hatte und dessen Abführung nach der
Festung Stettin, wo eine Untersuchung wegen Landesverrat!) ihn erwartete,
rief Gerüchte der schlimmsten Art hervor. Indessen zerstreuten sich später
diese Nebel. Der Großherzog kehrte gegen Ende Juli in seine Residenz zurück,
nachdem er auf der Durchreise in Berlin für den Erbgroßherzog, der ihn be¬
gleitete, die Erlaubniß erwirkt hatte, sich dem Hauptquartier der Armee des
Kronprinzen von Preußen anzuschließen. Die Großherzogin — eine englische
Prinzessin — stellte sich am Tage nach ihrer Rückkehr von England an die
Spitze, eines Landeshilfsvereins. Ihr Aufruf sprach zwar nur von „mecklen¬
burgischen Kriegern" und „Landessöhnen", denen und deren Familien die
Unterstützungen zu Gute kommen sollten; doch wurde diese Beschränkung
bald darauf durch einen Aufruf des Vorstandes des Landesvereins verbessert,
wonach es von Anfang an in der Absicht des Vereins gelegen, auch für
andere deutsche Krieger den Ertrag der Sammlungen zu verwenden. Der
Verdacht gegen den Rittmeister v. Petersdorff erwies sich als unbegründet
und derselbe kehrte, gänzlich außer Verfolgung gesetzt, wieder in seinen Wohn¬
ort Neustrelitz zurück.
So sind hinter dem einen Gedanken, welcher jetzt die Nation bewegt,
auch bei uns die Streitigkeiten um die heimischen Dinge vertagt worden
und werden erst dann wieder aufleben, wenn das Ziel des jetzt unsere ganze
Kraft fordernden Krieges erreicht ist. Wir hoffen aber zuversichtlich, daß, so
wie die Früchte dieses Krieges zweifellos dem Ganzen der Nation zu Gute
kommen und sie für die von ihr zutragenden Opfer, Leiden und Entbehrungen
entschädigen werden, auch unserem Lande und Volke daraus eine Ernte der
Freiheit und Mündigkeit zufallen wird. Solche kümmerliche, dem Geist der
modernen Zeit feindliche staatliche Existenzen, wie sie Mecklenburg in seiner
durch Privilegien des Besitzes und des Amtes gebildeten, die Wahl durch
die Bevölkerung ausschließenden Vertretung und seiner Budgetlosigkeit dar¬
stellt, werden dann sicherlich noch schwerer haltbar sein als vorher. Hat die
mecklenburgische Bevölkerung freudig ihren Antheil an den Opfern getragen,
welche das Vaterland von uns allen erheischt, so wird das Verlangen um
so berechtigter erscheinen, daß ihr diejenigen Rechte bei der Ordnung ihrer
inneren Angelegenheiten nicht länger vorenthalten werden, welche jeder andere
deutsche Volksstamm längst besitzt und deren Einräumung nur in Mecklen¬
burg bisher von der Regierung nicht als ihre selbstverständliche Pflicht be¬
trachtet worden ist.
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