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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Dieser allgemeine patriotische Aufschwung wurde nicht beengt durch den
Gedanken an die schweren Schädigungen, welche der Krieg über den Haupt¬
erwerbszweig der städtischen Bevölkerung, Schiffsbau, Rhederei und Schiffahrt,
nothwendig bringen mußte. Zwar erschien die Gefahr eines unmittelbaren
feindlichen Angriffes nicht eben so groß. Rostock liegt zwei Meilen vom
Seestrande entfernt, an dem schiffbaren Warnowflusse, welcher bei Warnemünde,
dem Hafenort, in die Ostsee fließt. Der Eingang des Hafens ist eng und
die Ein- und Ausfahrt nur unter der kundigen Leitung von Lootsen mit
Sicherheit zu bewirken. Auch die Meeresküste östlich und westlich vom Hafen
bietet für eine Landung große Schwierigkeiten und wenig Anreiz dar. Zu
einer Landung gehören überdies, wenn sie einem kriegerischen Zwecke dienen
soll, zahlreiche Landungstruppen, deren Transport große Vorkehrungen er¬
fordert. Daher haben die Bewohner Rostocks und seines Hafenortes eine
unmittelbare Berührung mit den feindlichen Schiffen nicht leicht zu befürchten,
wie dies auch zur Erklärung der Ausdauer vieler Rostocker und fremder
Badegäste in Warnemünde dient. Dagegen wird der Schlag, welchen der
Krieg dem Rhedereigeschäft versetzt, sehr schwer empfunden. Die Mecklen¬
burgische Rhederei zählt 436 Seeschiffe mit einer Tragfähigkeit von 88900
Last (zu 4000 Pfund). Davon kommen auf Rostock 380 Schiffe zu 79400
Last, auf Wismar 66 zu 9S00 Last/ Alle diese Schisse, soweit sie von dem
Ausbruch des Krieges bereits Kunde erhalten haben, liegen jetzt abgetakelt
und müßig in neutralen Häfen. Die übrigen sind der Beschlagnahme durch
den Feind ausgesetzt und bereits ist eines derselben als Prise in den Hafen
von Rochefort eingebracht. Es ruht in Folge ti.ser Verhältnisse der Ver¬
dienst vieler Tausende, die Schiffsantheile gewähren keinen Ertrag, verlangen
Vielmehr zum Theil noch Zuschuß, und das in den sah sser angelegte, sich
nach vielen Millionen berechnende Capital liegt brach oder geht ganz ver¬
loren. Der Rostocker Hafen ist zwar zur Zeit noch nicht vom Feinde blokirt,
aber es gehen nur neutrale Schiffe aus und ein und der Handel ist durch
den Krieg und durch Ausfuhrverbote gelähmt. Alles dies stand den Rostocker
Kaufleuten und SchWrhedern bei dem Ausbruche des Krieges mit Sicherheit
bevor. Aber dennoch war unter ihnen darüber keine Verschiedenheit der Meinung,
daß der Krieg als ein unvermeidliches Uebel muthig und standhaft getragen
und mit Aufbietung aller Kraft und jedes Opfers geführt werden müsse, ja
daß er der Unsicherheit der letzten Jahre gegenüber und bei dem durch
diese Unsicherheit auf Handel und Verkehr geübten Druck als eine wahre
Wohlthat erscheinen müsse. Schon am 19. Juli, also bevor die an
diesem Tage erfolgte formelle Kriegserklärung Frankreichs in Rostock bekannt
war, beschloß die Rostocker Kaufmannschaft in einer zahlreich besuchten Ver¬
sammlung, eine Adresse an den König von Preußen zu richten, in welcher


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Dieser allgemeine patriotische Aufschwung wurde nicht beengt durch den
Gedanken an die schweren Schädigungen, welche der Krieg über den Haupt¬
erwerbszweig der städtischen Bevölkerung, Schiffsbau, Rhederei und Schiffahrt,
nothwendig bringen mußte. Zwar erschien die Gefahr eines unmittelbaren
feindlichen Angriffes nicht eben so groß. Rostock liegt zwei Meilen vom
Seestrande entfernt, an dem schiffbaren Warnowflusse, welcher bei Warnemünde,
dem Hafenort, in die Ostsee fließt. Der Eingang des Hafens ist eng und
die Ein- und Ausfahrt nur unter der kundigen Leitung von Lootsen mit
Sicherheit zu bewirken. Auch die Meeresküste östlich und westlich vom Hafen
bietet für eine Landung große Schwierigkeiten und wenig Anreiz dar. Zu
einer Landung gehören überdies, wenn sie einem kriegerischen Zwecke dienen
soll, zahlreiche Landungstruppen, deren Transport große Vorkehrungen er¬
fordert. Daher haben die Bewohner Rostocks und seines Hafenortes eine
unmittelbare Berührung mit den feindlichen Schiffen nicht leicht zu befürchten,
wie dies auch zur Erklärung der Ausdauer vieler Rostocker und fremder
Badegäste in Warnemünde dient. Dagegen wird der Schlag, welchen der
Krieg dem Rhedereigeschäft versetzt, sehr schwer empfunden. Die Mecklen¬
burgische Rhederei zählt 436 Seeschiffe mit einer Tragfähigkeit von 88900
Last (zu 4000 Pfund). Davon kommen auf Rostock 380 Schiffe zu 79400
Last, auf Wismar 66 zu 9S00 Last/ Alle diese Schisse, soweit sie von dem
Ausbruch des Krieges bereits Kunde erhalten haben, liegen jetzt abgetakelt
und müßig in neutralen Häfen. Die übrigen sind der Beschlagnahme durch
den Feind ausgesetzt und bereits ist eines derselben als Prise in den Hafen
von Rochefort eingebracht. Es ruht in Folge ti.ser Verhältnisse der Ver¬
dienst vieler Tausende, die Schiffsantheile gewähren keinen Ertrag, verlangen
Vielmehr zum Theil noch Zuschuß, und das in den sah sser angelegte, sich
nach vielen Millionen berechnende Capital liegt brach oder geht ganz ver¬
loren. Der Rostocker Hafen ist zwar zur Zeit noch nicht vom Feinde blokirt,
aber es gehen nur neutrale Schiffe aus und ein und der Handel ist durch
den Krieg und durch Ausfuhrverbote gelähmt. Alles dies stand den Rostocker
Kaufleuten und SchWrhedern bei dem Ausbruche des Krieges mit Sicherheit
bevor. Aber dennoch war unter ihnen darüber keine Verschiedenheit der Meinung,
daß der Krieg als ein unvermeidliches Uebel muthig und standhaft getragen
und mit Aufbietung aller Kraft und jedes Opfers geführt werden müsse, ja
daß er der Unsicherheit der letzten Jahre gegenüber und bei dem durch
diese Unsicherheit auf Handel und Verkehr geübten Druck als eine wahre
Wohlthat erscheinen müsse. Schon am 19. Juli, also bevor die an
diesem Tage erfolgte formelle Kriegserklärung Frankreichs in Rostock bekannt
war, beschloß die Rostocker Kaufmannschaft in einer zahlreich besuchten Ver¬
sammlung, eine Adresse an den König von Preußen zu richten, in welcher


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[0315] Dieser allgemeine patriotische Aufschwung wurde nicht beengt durch den Gedanken an die schweren Schädigungen, welche der Krieg über den Haupt¬ erwerbszweig der städtischen Bevölkerung, Schiffsbau, Rhederei und Schiffahrt, nothwendig bringen mußte. Zwar erschien die Gefahr eines unmittelbaren feindlichen Angriffes nicht eben so groß. Rostock liegt zwei Meilen vom Seestrande entfernt, an dem schiffbaren Warnowflusse, welcher bei Warnemünde, dem Hafenort, in die Ostsee fließt. Der Eingang des Hafens ist eng und die Ein- und Ausfahrt nur unter der kundigen Leitung von Lootsen mit Sicherheit zu bewirken. Auch die Meeresküste östlich und westlich vom Hafen bietet für eine Landung große Schwierigkeiten und wenig Anreiz dar. Zu einer Landung gehören überdies, wenn sie einem kriegerischen Zwecke dienen soll, zahlreiche Landungstruppen, deren Transport große Vorkehrungen er¬ fordert. Daher haben die Bewohner Rostocks und seines Hafenortes eine unmittelbare Berührung mit den feindlichen Schiffen nicht leicht zu befürchten, wie dies auch zur Erklärung der Ausdauer vieler Rostocker und fremder Badegäste in Warnemünde dient. Dagegen wird der Schlag, welchen der Krieg dem Rhedereigeschäft versetzt, sehr schwer empfunden. Die Mecklen¬ burgische Rhederei zählt 436 Seeschiffe mit einer Tragfähigkeit von 88900 Last (zu 4000 Pfund). Davon kommen auf Rostock 380 Schiffe zu 79400 Last, auf Wismar 66 zu 9S00 Last/ Alle diese Schisse, soweit sie von dem Ausbruch des Krieges bereits Kunde erhalten haben, liegen jetzt abgetakelt und müßig in neutralen Häfen. Die übrigen sind der Beschlagnahme durch den Feind ausgesetzt und bereits ist eines derselben als Prise in den Hafen von Rochefort eingebracht. Es ruht in Folge ti.ser Verhältnisse der Ver¬ dienst vieler Tausende, die Schiffsantheile gewähren keinen Ertrag, verlangen Vielmehr zum Theil noch Zuschuß, und das in den sah sser angelegte, sich nach vielen Millionen berechnende Capital liegt brach oder geht ganz ver¬ loren. Der Rostocker Hafen ist zwar zur Zeit noch nicht vom Feinde blokirt, aber es gehen nur neutrale Schiffe aus und ein und der Handel ist durch den Krieg und durch Ausfuhrverbote gelähmt. Alles dies stand den Rostocker Kaufleuten und SchWrhedern bei dem Ausbruche des Krieges mit Sicherheit bevor. Aber dennoch war unter ihnen darüber keine Verschiedenheit der Meinung, daß der Krieg als ein unvermeidliches Uebel muthig und standhaft getragen und mit Aufbietung aller Kraft und jedes Opfers geführt werden müsse, ja daß er der Unsicherheit der letzten Jahre gegenüber und bei dem durch diese Unsicherheit auf Handel und Verkehr geübten Druck als eine wahre Wohlthat erscheinen müsse. Schon am 19. Juli, also bevor die an diesem Tage erfolgte formelle Kriegserklärung Frankreichs in Rostock bekannt war, beschloß die Rostocker Kaufmannschaft in einer zahlreich besuchten Ver¬ sammlung, eine Adresse an den König von Preußen zu richten, in welcher 40*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/315>, abgerufen am 26.06.2024.