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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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zu setzen. Einer der letzten Akte dieses Dramas, die Adresse der livländischen
Ritterschaft vom Januar und die kaiserliche Entgegnung sind kürzlich noch
beleuchtet worden*). Es mag hier noch hinzubemerkt sein, daß der Landtag,
um einer Verweigerung der Annahme durch seine Deputation vorzubeugen,
die Adresse durch die Post nach Petersburg gesandt, zugleich aber eine aus
dem Landmarschall Baron Rollen (der inzwischen zurückgetreten ist) und
dessen Vorgängern von Lilienfeld und v. Oettingen bestehende Deputation
destgnirt hatte, um aus Wunsch des Kaisers eine ausführlich motivirte Denk"
schrift zu überbringen und die erforderlichen näheren Auskünfte persönlich zu
ertheilen. Vergeblich harrten diese Herren aber des Rufes in die Residenz,
nur der General-Gouverneur v. Albedinsky wurde sofort nach Eingang der
Adresse, über deren Aufnahme beim Kaiser Alexander sehr Unerfreuliches
verlautete, dorthin berufen. In Betreff einer Audienz, welche die kurländt-
sche Ritterschaft schon im vorigen Jahre beim Kaiser hatte, ist nichts über
deren Verlauf und Erfolg bekannt geworden. Aber in diesem Jahre hat sie
sich nur mit den Angelegenheiten der Gutsbesitzer und des Verkaufes von
Ländereien, mit Justizreformen, Patronatsrechten ". beschäftigt. Dagegen
gehen die Livländer auf dem betretenen Wege weiter. Trotz der abschlägt,
gen Antwort des Kaisers auf die Adresse des Landtages haben sich die
Landräthe der Provinz zu einem sogenannten Convent vereinigt und dem
Kaiser noch einmal dieselben Bitten unterbreitet. Dieselben haben auch be¬
schlossen, dem Dekrete zuwider, sich an staatlichen Feiertagen nicht bei dem
griechischen, sondern bet dem evangelischen Gottesdienste zu betheiligen; der
einzige Dissentirende war der Landtagsmarschall der Provinz, welcher, da er
sich gleich am nächsten Tage bei einem solchen griechischen Gottesdienste be¬
theiligte, ersucht wurde, sein Amt niederzulegen. Obwohl er dem widersprach,
resignirte er wenige Tage darauf. Man richtet inzwischen in Riga ein russi¬
sches Theater ein, nachdem in dem deutschen Zwistigkeiten wegen zweideuti¬
gen Ballets und Offenbach'scher Frivolitäten ausgebrochen waren, die früher
vom Repertoir ausgeschlossen blieben. Die Postdirection und das Präsidium
des Domänenhofes sind mit Russen besetzt worden und diese haben russische
Geschäftsführung eingerichtet; auch sollen, um der russischen Sprache in den
Ostseeprovinzen eine feste Begründung und größere Verbreitung zu geben,
künftig nur solche Personen zu Dtrectoren und Jnspectoren von Gymnasien
und zu Schulaufsehern in den Ostseeprovinzen angestellt werden, welche der
russischen Sprache vollkommen mächtig sind. Außerdem soll die russische
Sprache in allen Schulbüreaux als Geschäftssprache eingeführt werden. Diese
Verfügung ist lange der Oeffentlichkeit vorenthalten worden. In Riga wurde



') Bergl. Heft I". 18, v. 29. April 1S70.

zu setzen. Einer der letzten Akte dieses Dramas, die Adresse der livländischen
Ritterschaft vom Januar und die kaiserliche Entgegnung sind kürzlich noch
beleuchtet worden*). Es mag hier noch hinzubemerkt sein, daß der Landtag,
um einer Verweigerung der Annahme durch seine Deputation vorzubeugen,
die Adresse durch die Post nach Petersburg gesandt, zugleich aber eine aus
dem Landmarschall Baron Rollen (der inzwischen zurückgetreten ist) und
dessen Vorgängern von Lilienfeld und v. Oettingen bestehende Deputation
destgnirt hatte, um aus Wunsch des Kaisers eine ausführlich motivirte Denk«
schrift zu überbringen und die erforderlichen näheren Auskünfte persönlich zu
ertheilen. Vergeblich harrten diese Herren aber des Rufes in die Residenz,
nur der General-Gouverneur v. Albedinsky wurde sofort nach Eingang der
Adresse, über deren Aufnahme beim Kaiser Alexander sehr Unerfreuliches
verlautete, dorthin berufen. In Betreff einer Audienz, welche die kurländt-
sche Ritterschaft schon im vorigen Jahre beim Kaiser hatte, ist nichts über
deren Verlauf und Erfolg bekannt geworden. Aber in diesem Jahre hat sie
sich nur mit den Angelegenheiten der Gutsbesitzer und des Verkaufes von
Ländereien, mit Justizreformen, Patronatsrechten «. beschäftigt. Dagegen
gehen die Livländer auf dem betretenen Wege weiter. Trotz der abschlägt,
gen Antwort des Kaisers auf die Adresse des Landtages haben sich die
Landräthe der Provinz zu einem sogenannten Convent vereinigt und dem
Kaiser noch einmal dieselben Bitten unterbreitet. Dieselben haben auch be¬
schlossen, dem Dekrete zuwider, sich an staatlichen Feiertagen nicht bei dem
griechischen, sondern bet dem evangelischen Gottesdienste zu betheiligen; der
einzige Dissentirende war der Landtagsmarschall der Provinz, welcher, da er
sich gleich am nächsten Tage bei einem solchen griechischen Gottesdienste be¬
theiligte, ersucht wurde, sein Amt niederzulegen. Obwohl er dem widersprach,
resignirte er wenige Tage darauf. Man richtet inzwischen in Riga ein russi¬
sches Theater ein, nachdem in dem deutschen Zwistigkeiten wegen zweideuti¬
gen Ballets und Offenbach'scher Frivolitäten ausgebrochen waren, die früher
vom Repertoir ausgeschlossen blieben. Die Postdirection und das Präsidium
des Domänenhofes sind mit Russen besetzt worden und diese haben russische
Geschäftsführung eingerichtet; auch sollen, um der russischen Sprache in den
Ostseeprovinzen eine feste Begründung und größere Verbreitung zu geben,
künftig nur solche Personen zu Dtrectoren und Jnspectoren von Gymnasien
und zu Schulaufsehern in den Ostseeprovinzen angestellt werden, welche der
russischen Sprache vollkommen mächtig sind. Außerdem soll die russische
Sprache in allen Schulbüreaux als Geschäftssprache eingeführt werden. Diese
Verfügung ist lange der Oeffentlichkeit vorenthalten worden. In Riga wurde



') Bergl. Heft I». 18, v. 29. April 1S70.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/31>, abgerufen am 26.06.2024.