Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.eine russische höhere Töchterschule erbaut, in dem Badeorte Dubbeln wird Die Censur für alle in keltischer und esthnischer Sprache erscheinenden Von russischer Seite wird die Russificirung theilweise ganz anders, aber eine russische höhere Töchterschule erbaut, in dem Badeorte Dubbeln wird Die Censur für alle in keltischer und esthnischer Sprache erscheinenden Von russischer Seite wird die Russificirung theilweise ganz anders, aber <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0032" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124184"/> <p xml:id="ID_74" prev="#ID_73"> eine russische höhere Töchterschule erbaut, in dem Badeorte Dubbeln wird<lb/> eine russische Kapelle angelegt; die Einführung des russischen Mathematik-<lb/> Unterrichts in Gymnasien ist so gut wie beschlossen.</p><lb/> <p xml:id="ID_75"> Die Censur für alle in keltischer und esthnischer Sprache erscheinenden<lb/> Bücher, Journale und Zeitschriften ist. so weit sie Livland anlangt, auf<lb/> Riga concentrirt worden, d. h. die Herausgeber esthnischer Zeitungen in Per-<lb/> nau und Dorpat müssen ihre Correcturbogen 30 resp. 36 Meilen weit ohne<lb/> Eisenbahnverbindung nach Riga senden, um sich dort das Imprimatur zu<lb/> holen! Die zur Ausübung der Censur angestellten Personen sind zwei zur<lb/> griechisch-orthodoxen Kirche übergetretenen Esthen, die als Lehrer bei dem<lb/> geistlichen Seminar fungiren. Gleichzeitig hat die Universität Dorpat ihr<lb/> altes seit 67 Jahren geübtes Recht verloren, die für die akademische Biblia-<lb/> thek und die Professoren anzuschaffenden Bücher selbst zu censiren. Die russi¬<lb/> sche Presse darf die Bewohner Livlands und Kurlands angreifen und an¬<lb/> klagen wie sie will, sie kann die Nothwendigkeit der Abschaffung aller privi-<lb/> legienmäßigen deutschen Einrichtungen ungehindert besprechen, die livländischen<lb/> Zeitungen sind dagegen nicht einmal in der Lage, die unrichtigen Angaben<lb/> jener Blätter widerlegen zu können. — Zum Ueberfluß werden auch geheime<lb/> Anstrengungen gemacht, die den Schein wahren sollen, als wenn die Bevöl¬<lb/> kerung mit dem Verfahren einverstanden wäre. Während der Landtag die<lb/> Adresse berieth, wurde von mehreren Russen in Riga in den Vorstädten und<lb/> in russischen Kneipen sowie in einigen sogenannten Kronbehörden eine Adresse<lb/> colportirt, die eine Reihe von Forderungen ganz nach dem Herzen der eifrig¬<lb/> sten Russificatoren formulirt. wie Einführung der russischen Sprache als<lb/> Unterrichtssprache, als Geschäftssprache, Einführung einer Stadtverfassung<lb/> nach russischem Schnitte, Abschaffung des Landtags u. s. w. Besonderes In¬<lb/> teresse erregte die Adresse erst, als bekannt wurde, daß ein höher gestellter<lb/> Beamter des Cameralhofes dieselbe Subalternbeamten mit unvollständiger<lb/> Angabe des Inhalts vorlegte und die gewünschten Unterschriften erhielt. Als<lb/> diese erfuhren, was sie unterzeichnet, widerriefen sie ihre Unterschrift und p> o-<lb/> testirten gegen das Verfahren. Endlich verlief die Agitation in den Sand,<lb/> nachdem der Generalgouvemeur erklärt hatte, er werde die Adresse nicht ent¬<lb/> gegennehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_76" next="#ID_77"> Von russischer Seite wird die Russificirung theilweise ganz anders, aber<lb/> ebenfalls nicht zum Vortheile der russischen Regierung aufgefaßt. Der russi¬<lb/> sche Historiker Professor a. D. M. Pogodin hat an den Professor Schirren<lb/> in Dorpat einen offenen Brief geschrieben, nachdem dieser in seiner Schrift<lb/> (Livländische Antwort) so mannhaft gegen die Russificirung aufgetreten<lb/> war, daß man ihm aus Petersburg brieflich den Rath gab, wenn er<lb/> nicht nach Osten wolle reisen müssen, so möge er schleunigst nach Westen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0032]
eine russische höhere Töchterschule erbaut, in dem Badeorte Dubbeln wird
eine russische Kapelle angelegt; die Einführung des russischen Mathematik-
Unterrichts in Gymnasien ist so gut wie beschlossen.
Die Censur für alle in keltischer und esthnischer Sprache erscheinenden
Bücher, Journale und Zeitschriften ist. so weit sie Livland anlangt, auf
Riga concentrirt worden, d. h. die Herausgeber esthnischer Zeitungen in Per-
nau und Dorpat müssen ihre Correcturbogen 30 resp. 36 Meilen weit ohne
Eisenbahnverbindung nach Riga senden, um sich dort das Imprimatur zu
holen! Die zur Ausübung der Censur angestellten Personen sind zwei zur
griechisch-orthodoxen Kirche übergetretenen Esthen, die als Lehrer bei dem
geistlichen Seminar fungiren. Gleichzeitig hat die Universität Dorpat ihr
altes seit 67 Jahren geübtes Recht verloren, die für die akademische Biblia-
thek und die Professoren anzuschaffenden Bücher selbst zu censiren. Die russi¬
sche Presse darf die Bewohner Livlands und Kurlands angreifen und an¬
klagen wie sie will, sie kann die Nothwendigkeit der Abschaffung aller privi-
legienmäßigen deutschen Einrichtungen ungehindert besprechen, die livländischen
Zeitungen sind dagegen nicht einmal in der Lage, die unrichtigen Angaben
jener Blätter widerlegen zu können. — Zum Ueberfluß werden auch geheime
Anstrengungen gemacht, die den Schein wahren sollen, als wenn die Bevöl¬
kerung mit dem Verfahren einverstanden wäre. Während der Landtag die
Adresse berieth, wurde von mehreren Russen in Riga in den Vorstädten und
in russischen Kneipen sowie in einigen sogenannten Kronbehörden eine Adresse
colportirt, die eine Reihe von Forderungen ganz nach dem Herzen der eifrig¬
sten Russificatoren formulirt. wie Einführung der russischen Sprache als
Unterrichtssprache, als Geschäftssprache, Einführung einer Stadtverfassung
nach russischem Schnitte, Abschaffung des Landtags u. s. w. Besonderes In¬
teresse erregte die Adresse erst, als bekannt wurde, daß ein höher gestellter
Beamter des Cameralhofes dieselbe Subalternbeamten mit unvollständiger
Angabe des Inhalts vorlegte und die gewünschten Unterschriften erhielt. Als
diese erfuhren, was sie unterzeichnet, widerriefen sie ihre Unterschrift und p> o-
testirten gegen das Verfahren. Endlich verlief die Agitation in den Sand,
nachdem der Generalgouvemeur erklärt hatte, er werde die Adresse nicht ent¬
gegennehmen.
Von russischer Seite wird die Russificirung theilweise ganz anders, aber
ebenfalls nicht zum Vortheile der russischen Regierung aufgefaßt. Der russi¬
sche Historiker Professor a. D. M. Pogodin hat an den Professor Schirren
in Dorpat einen offenen Brief geschrieben, nachdem dieser in seiner Schrift
(Livländische Antwort) so mannhaft gegen die Russificirung aufgetreten
war, daß man ihm aus Petersburg brieflich den Rath gab, wenn er
nicht nach Osten wolle reisen müssen, so möge er schleunigst nach Westen
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