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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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organ, das zum Glück schon einen schamrothen Umschlag hat. Mit dieser
erbärmlichen Gesinnungslosigkeit und Dummheit zu rechten, kann keinem an"
ständigen Manne zugemuthet werden; aber sie hätte höchst gefährlich werden
können. wenn ihr andere als Winkelblätter zur Verfügung stünden. War
doch diese Partei im Wiener Gemeinderäthe so stark, daß dessen Erklärung
für Neutralität von der angeblich entschieden deutschen Partei nur die zwei¬
deutige Phrase annahm, der gegenwärtige Krieg, als ein dynastischer, interessire die
Bevölkerung Oestreichs gar nicht. Diese Sorte wußte auch für die Haltung
der Presse keine andere Erklärung zu finden, als preußisches Geld. Daß man
ihr stets mit derartigen Verdächtigungen naht, hat die Wiener Presse aller¬
dings reichlich verschuldet, aber ihr charaktervolles Benehmen in dieser Krisis
erlaubt uns, über manches Vergangene einen Schleier zu ziehen. Uebrigens
wird sie auch noch die Befriedigung erleben, daß die Menschen, welche den
Blättern jetzt die "Hunderttausende" von preußischen Thalern vorzählen, nach¬
träglich versichern werden, sie seien stets der gleichen Meinung mit ihnen
gewesen.




Hamburg im Kriege.

Der Genfer Schriftsteller Victor Cherbuliez veröffentlichte im vergan-
genenen Winter in der lisvus Ass äsux Nonäss eine Reihe von Artikeln
über die Lage Deutschlands, die trotz einzelner treffender Bemerkungen
nicht wenig dazu beigetragen haben mögen, das französische Publikum in
den grundfalschen Ideen zu bestärken, die bei dem frivol herbeigeführten
Kriege eine so große Rolle gespielt haben. Unter anderem fragt der Autor,
wo denn der vielberufene deutsche Patriotismus zu finden sei, ob in Stutt¬
gart oder München, wo man vom Nordbunde nichts wissen wolle, ob in
Dresden, das über seinen Verfall trauere, ob in Hannover, wo der Preußen¬
haß allgemein, oder im kosmopolitischen Hamburg, wo man nur "Naiubourg'
et liz inonäe" kenne? Wir wünschten, Hr. Cherbuliez hätte die letzten
Wochen hier zugebracht, er hätte nicht besser seine falschen Ideen corrigiren
können; denn fürwahr, wie im Süden so sind auch hier die patriotischen
Hoffnungen selbst des kühnsten Optimisten weit überflügelt.

Daß es Hamburg nach 1866 nicht leicht ward, sich in manche der Ver¬
änderungen zu finden, welche der norddeutsche Bund mit sich brachte, soll
nicht geleugnet werden. Auch heute noch beklagt man sich und nicht mit


organ, das zum Glück schon einen schamrothen Umschlag hat. Mit dieser
erbärmlichen Gesinnungslosigkeit und Dummheit zu rechten, kann keinem an«
ständigen Manne zugemuthet werden; aber sie hätte höchst gefährlich werden
können. wenn ihr andere als Winkelblätter zur Verfügung stünden. War
doch diese Partei im Wiener Gemeinderäthe so stark, daß dessen Erklärung
für Neutralität von der angeblich entschieden deutschen Partei nur die zwei¬
deutige Phrase annahm, der gegenwärtige Krieg, als ein dynastischer, interessire die
Bevölkerung Oestreichs gar nicht. Diese Sorte wußte auch für die Haltung
der Presse keine andere Erklärung zu finden, als preußisches Geld. Daß man
ihr stets mit derartigen Verdächtigungen naht, hat die Wiener Presse aller¬
dings reichlich verschuldet, aber ihr charaktervolles Benehmen in dieser Krisis
erlaubt uns, über manches Vergangene einen Schleier zu ziehen. Uebrigens
wird sie auch noch die Befriedigung erleben, daß die Menschen, welche den
Blättern jetzt die „Hunderttausende" von preußischen Thalern vorzählen, nach¬
träglich versichern werden, sie seien stets der gleichen Meinung mit ihnen
gewesen.




Hamburg im Kriege.

Der Genfer Schriftsteller Victor Cherbuliez veröffentlichte im vergan-
genenen Winter in der lisvus Ass äsux Nonäss eine Reihe von Artikeln
über die Lage Deutschlands, die trotz einzelner treffender Bemerkungen
nicht wenig dazu beigetragen haben mögen, das französische Publikum in
den grundfalschen Ideen zu bestärken, die bei dem frivol herbeigeführten
Kriege eine so große Rolle gespielt haben. Unter anderem fragt der Autor,
wo denn der vielberufene deutsche Patriotismus zu finden sei, ob in Stutt¬
gart oder München, wo man vom Nordbunde nichts wissen wolle, ob in
Dresden, das über seinen Verfall trauere, ob in Hannover, wo der Preußen¬
haß allgemein, oder im kosmopolitischen Hamburg, wo man nur „Naiubourg'
et liz inonäe" kenne? Wir wünschten, Hr. Cherbuliez hätte die letzten
Wochen hier zugebracht, er hätte nicht besser seine falschen Ideen corrigiren
können; denn fürwahr, wie im Süden so sind auch hier die patriotischen
Hoffnungen selbst des kühnsten Optimisten weit überflügelt.

Daß es Hamburg nach 1866 nicht leicht ward, sich in manche der Ver¬
änderungen zu finden, welche der norddeutsche Bund mit sich brachte, soll
nicht geleugnet werden. Auch heute noch beklagt man sich und nicht mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/308>, abgerufen am 26.06.2024.