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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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hassen, ein gemeinschaftlicher Krieg und Sieg mit der gottseliger Eugenie
müßte ja nothwendig zur Wiederherstellung des Junker- und Pfaffenregiments
auch in Oestreich führen. Denn nur einmal wieder siegen -- das Weitere
würde sich schon finden! Von den Wiener Börsenjuden deutsche Gesinnung
zu fordern, weil sie deutsche Namen haben und die deutsche Sprache maltrai-
tiren, das wäre die größte Unbilligkeit. Sie sind zusammengefahren aus
Polen, Ungarn, Böhmen, der Türkei, wer weiß, wo nicht her. Was kümmert
sie Deutschland, was Oestreich, ihr Gott ist das Geschäft. Und in ihrem
hohen Rathe war beschlossen, daß die Franzosen unüberwindlich seien, auf
deren Unüberwindlichkeit speculirten sie -- sollten sie vielleicht den Deutschen
Sieg wünschen? Den bis vor kurzem so entsetzlich hochnasigen Herren
Magyaren geht allmählig das Verständniß auf, daß die Schwaben, "was hoben
nicht tausendjährige avitische Constitution und auch nicht einen eigenen Gott,"
dessen ungeachtet ihre Sache zu machen verstehen. Mit Entsetzen denken sie
an die Möglichkeit, daß ein wahres geeinigtes Deutschland aus diesem Kampfe
hervorgehen und die stammverwandten Elemente naturgemäß an sich ziehen
oder doch unwillkürlich kräftigen könne. Die Zerreißung des Landes zwischen
Oestreich und Deutschland haben sie mit Jubel begrüßt, mit Aerger sahen
sie, daß Sprache und Wissenschaft und gemeinsame Erlebnisse sich nicht weg¬
löschen ließen, daß vielmehr das Gefühl und das Bedürfniß der Zusammen¬
gehörigkeit nun erst auf beiden Seiten recht lebendig zu werden schien. Die
Magyaren wollen in Oestreich den Ton angeben, neben einem starken Deutsch-
thum fühlen sie sich genirt, ohne Oestreich sind sie nichts. Darum möchten
sie gegen Preußen in den Krieg ziehen, wenn sie nur nicht den Russen
fürchteten!

Die Stadt Wien würde ein greuliches beschämendes Schauspiel geboten
haben, wenn nicht die einflußreichen Blätter ohne Ausnahme vom ersten
Augenblick des Streites an auf das Bestimmteste für eine Deutschland wohl¬
wollende Neutralität gestimmt hätten. Der vornehme und gemeine Janhagel
hatte sich die Sache ganz anders vorgestellt. Da hat es seit Menschengedenken
kein Volksfest und keine Wanderversammlung gegeben, zu welcher sich nicht
gewisse Wiener mit breiten schwarz-roth-goldenen Bändern um den Leib und
noch breiteren Phrasen im Maul gedrängt hätten; da wurden seit 1866
tausendmal die deutschen Grenzen gegen jeden Feind vertheidigt mit dem
besten Rebenblute, da wurde der Prager Frieden tausendmal zerrissen auf
den Rednertribünen, und die "deutschen Brüder" und die "deutsche Treue
trotzalledem" flogen nur so durch die Lust. Und ganz dasselbe Gelichter, welches
bei Schützen-, Sänger-, Turnerfesten mit seinem wohlfeilen Deutschthum
renommirte, wünschte jetzt durch Frankreich an Preußen gerächt zu werden.
Die Preußen sollen jetzt eben "Schläge bekommen wie wir!"^ sagte ihr Leib-


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hassen, ein gemeinschaftlicher Krieg und Sieg mit der gottseliger Eugenie
müßte ja nothwendig zur Wiederherstellung des Junker- und Pfaffenregiments
auch in Oestreich führen. Denn nur einmal wieder siegen — das Weitere
würde sich schon finden! Von den Wiener Börsenjuden deutsche Gesinnung
zu fordern, weil sie deutsche Namen haben und die deutsche Sprache maltrai-
tiren, das wäre die größte Unbilligkeit. Sie sind zusammengefahren aus
Polen, Ungarn, Böhmen, der Türkei, wer weiß, wo nicht her. Was kümmert
sie Deutschland, was Oestreich, ihr Gott ist das Geschäft. Und in ihrem
hohen Rathe war beschlossen, daß die Franzosen unüberwindlich seien, auf
deren Unüberwindlichkeit speculirten sie — sollten sie vielleicht den Deutschen
Sieg wünschen? Den bis vor kurzem so entsetzlich hochnasigen Herren
Magyaren geht allmählig das Verständniß auf, daß die Schwaben, „was hoben
nicht tausendjährige avitische Constitution und auch nicht einen eigenen Gott,"
dessen ungeachtet ihre Sache zu machen verstehen. Mit Entsetzen denken sie
an die Möglichkeit, daß ein wahres geeinigtes Deutschland aus diesem Kampfe
hervorgehen und die stammverwandten Elemente naturgemäß an sich ziehen
oder doch unwillkürlich kräftigen könne. Die Zerreißung des Landes zwischen
Oestreich und Deutschland haben sie mit Jubel begrüßt, mit Aerger sahen
sie, daß Sprache und Wissenschaft und gemeinsame Erlebnisse sich nicht weg¬
löschen ließen, daß vielmehr das Gefühl und das Bedürfniß der Zusammen¬
gehörigkeit nun erst auf beiden Seiten recht lebendig zu werden schien. Die
Magyaren wollen in Oestreich den Ton angeben, neben einem starken Deutsch-
thum fühlen sie sich genirt, ohne Oestreich sind sie nichts. Darum möchten
sie gegen Preußen in den Krieg ziehen, wenn sie nur nicht den Russen
fürchteten!

Die Stadt Wien würde ein greuliches beschämendes Schauspiel geboten
haben, wenn nicht die einflußreichen Blätter ohne Ausnahme vom ersten
Augenblick des Streites an auf das Bestimmteste für eine Deutschland wohl¬
wollende Neutralität gestimmt hätten. Der vornehme und gemeine Janhagel
hatte sich die Sache ganz anders vorgestellt. Da hat es seit Menschengedenken
kein Volksfest und keine Wanderversammlung gegeben, zu welcher sich nicht
gewisse Wiener mit breiten schwarz-roth-goldenen Bändern um den Leib und
noch breiteren Phrasen im Maul gedrängt hätten; da wurden seit 1866
tausendmal die deutschen Grenzen gegen jeden Feind vertheidigt mit dem
besten Rebenblute, da wurde der Prager Frieden tausendmal zerrissen auf
den Rednertribünen, und die „deutschen Brüder" und die „deutsche Treue
trotzalledem" flogen nur so durch die Lust. Und ganz dasselbe Gelichter, welches
bei Schützen-, Sänger-, Turnerfesten mit seinem wohlfeilen Deutschthum
renommirte, wünschte jetzt durch Frankreich an Preußen gerächt zu werden.
Die Preußen sollen jetzt eben „Schläge bekommen wie wir!"^ sagte ihr Leib-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/307>, abgerufen am 26.06.2024.