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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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tigem Afrikaner nicht mit der höchsten Spannung hätte entgegensehen sollen.
Wie gut, daß der Gedanke aufgegeben ward, sie durch die Stadt zu führen!
Zwar achtbare und keineswegs rohe Leute sprachen dafür in gerechter Ent¬
rüstung über die barbarische Behandlung Saarbrückens, die untevdeß bekannt
geworden. Aber das Abscheuliche selbst, denk' ich, verdient mehr Verach¬
tung als Hohn. Und zu unser Freude rechtfertigte unser Publikum auch
ganz die Erwartung, die der Polizeipräsident in tactvoller Weise an den
Säulen aussprach; es hat in der That "durch ruhiges, würdiges Benehmen
gezeigt, daß wir wissen, wie wir gefangenen Feinden zu begegnen haben."
Um 6 Uhr kam der Transport auf dem AnHalter Bahnhofe an und ward
auf der Verbindungsbahn nach dem Ostbahnhofe geführt. Die Offiziere
hielten sich würdevoll zurück; die Soldaten aber standen unbefangen in den
offenen Lücken der Packwagen und begafften ihrerseits die zahlreichen Zu¬
schauer, unter denen man auch manche glänzende, mit Damen gefüllte Equi¬
page bemerkte. Aller Welt fiel die schäbige, dürftige Kleidung der Leute
auf; es scheint, daß sie in's Feld ihre schlechtesten Anzüge mitnehmen, wäh¬
rend sie die Augen der Pariser im Frieden durch den frischen Glanz ihrer
phantastischen, aber schreiend bunten Tracht blenden müssen; gerade umge¬
kehrt wie bei uns. Manch harmloser Weißbiertrinker war erstaunt, in den
gefürchteten und vielbesprochenen Turcos so unscheinbare, magere, zum Theil
wirklich jämmerlich verhungerte Kerlchen zu entdecken; man verglich sie nicht
uneben mit herumziehenden italienischen Bärenführern. Ein für allemal war
ihr Nimbus zerstört; das einzige, was zu unseren Vorstellungen paßte, war
die Keckheit oder besser -- ich muß es sagen -- die Frechheit, mit der einer
oder der andere sein Schnurrbärtchen drehte und flink und blank umhersah,
als wolle er sagen: "Na, dahabt ihr uns!" Sie stachen gleich sehr ab gegen
die stumpfe, dumpfe Haltung der weiland gefangenen östreichischen Völker
wie gegen die mannhaft ernste der Dänen von 1864. Kein Spottruf hat sie
verletzt, wohl aber wurden ihre Wächter, unsere bekränzten stattlichen Sieger
von Weißenburg, mit jubelnden Zurufe begrüßt. Auch den Feinden warf
man Cigarren zu, die sie mit ergötzlicher Behendigkeit auffingen. Auf dem
Ostbahnhofe, wo sie gespeist wurden, sollen sich wieder einige unserer Damen
sehr liebenswürdig gemacht haben. Ich wünschte doch, daß man darin das
Maß nicht überschritte; es ist doch wohl noch mehr Eitelkeit und leerer Spaß
darin, als Mitleid, wenn man diesen wilden Herren das Vergnügen einer
französischen Unterhaltung in der feindlichen Hauptstadt, gegen die sie nichts
gutes sannen, verschafft; wozu den Dünkel dieser Gesellen steigern? Man
nähre sie gut; für ihr Geschwätz sind sie unter einander genug. Und vor
allem, daß man nur nie wieder, wie im Jahre 1866, nöthig habe, unsere
Damen zu erinnern, daß die begleitenden wackeren Sieger auch an unser


tigem Afrikaner nicht mit der höchsten Spannung hätte entgegensehen sollen.
Wie gut, daß der Gedanke aufgegeben ward, sie durch die Stadt zu führen!
Zwar achtbare und keineswegs rohe Leute sprachen dafür in gerechter Ent¬
rüstung über die barbarische Behandlung Saarbrückens, die untevdeß bekannt
geworden. Aber das Abscheuliche selbst, denk' ich, verdient mehr Verach¬
tung als Hohn. Und zu unser Freude rechtfertigte unser Publikum auch
ganz die Erwartung, die der Polizeipräsident in tactvoller Weise an den
Säulen aussprach; es hat in der That „durch ruhiges, würdiges Benehmen
gezeigt, daß wir wissen, wie wir gefangenen Feinden zu begegnen haben."
Um 6 Uhr kam der Transport auf dem AnHalter Bahnhofe an und ward
auf der Verbindungsbahn nach dem Ostbahnhofe geführt. Die Offiziere
hielten sich würdevoll zurück; die Soldaten aber standen unbefangen in den
offenen Lücken der Packwagen und begafften ihrerseits die zahlreichen Zu¬
schauer, unter denen man auch manche glänzende, mit Damen gefüllte Equi¬
page bemerkte. Aller Welt fiel die schäbige, dürftige Kleidung der Leute
auf; es scheint, daß sie in's Feld ihre schlechtesten Anzüge mitnehmen, wäh¬
rend sie die Augen der Pariser im Frieden durch den frischen Glanz ihrer
phantastischen, aber schreiend bunten Tracht blenden müssen; gerade umge¬
kehrt wie bei uns. Manch harmloser Weißbiertrinker war erstaunt, in den
gefürchteten und vielbesprochenen Turcos so unscheinbare, magere, zum Theil
wirklich jämmerlich verhungerte Kerlchen zu entdecken; man verglich sie nicht
uneben mit herumziehenden italienischen Bärenführern. Ein für allemal war
ihr Nimbus zerstört; das einzige, was zu unseren Vorstellungen paßte, war
die Keckheit oder besser — ich muß es sagen — die Frechheit, mit der einer
oder der andere sein Schnurrbärtchen drehte und flink und blank umhersah,
als wolle er sagen: „Na, dahabt ihr uns!" Sie stachen gleich sehr ab gegen
die stumpfe, dumpfe Haltung der weiland gefangenen östreichischen Völker
wie gegen die mannhaft ernste der Dänen von 1864. Kein Spottruf hat sie
verletzt, wohl aber wurden ihre Wächter, unsere bekränzten stattlichen Sieger
von Weißenburg, mit jubelnden Zurufe begrüßt. Auch den Feinden warf
man Cigarren zu, die sie mit ergötzlicher Behendigkeit auffingen. Auf dem
Ostbahnhofe, wo sie gespeist wurden, sollen sich wieder einige unserer Damen
sehr liebenswürdig gemacht haben. Ich wünschte doch, daß man darin das
Maß nicht überschritte; es ist doch wohl noch mehr Eitelkeit und leerer Spaß
darin, als Mitleid, wenn man diesen wilden Herren das Vergnügen einer
französischen Unterhaltung in der feindlichen Hauptstadt, gegen die sie nichts
gutes sannen, verschafft; wozu den Dünkel dieser Gesellen steigern? Man
nähre sie gut; für ihr Geschwätz sind sie unter einander genug. Und vor
allem, daß man nur nie wieder, wie im Jahre 1866, nöthig habe, unsere
Damen zu erinnern, daß die begleitenden wackeren Sieger auch an unser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/295>, abgerufen am 26.06.2024.