Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

erste erhebende Nachricht überbringen. Ein Unteroffizier trug sie an einer
Ecke in einem Menschenknäuel vor. "Ja der Kronprinz, der Kronprinz!"
rief ein Lehrling aus, "der wird's ihnen zeigen." Wie gut doch, daß unsere
Prinzen an der Spitze kämpfen; man hegt die außerpersönlichste Zuversicht
zu ihrer Tapferkeit wie zu ihrem Glücke. "Na, einen Sieg hätten wir nu,"
sagte mir Tags darauf ein Droschkenkutscher, "nu fehlt bloß noch Friedrich
Karl, der läßt sich auch nicht schlagen; wenn's irgend zu vermeiden ist, läßt
sich der nicht schlagen!"

Es war zu vermeiden, er hat sich nicht schlagen lassen, aber daß von
ihm so gar noch nichts bekanntward, hat doch manchen braven Berliner ge¬
schmerzt. Von Schleswig und Böhmen her ist sein Name ganz besonders
mit den tapferen Regimentern des dritten Corps verwachsen, für die man
hier eine verzeihliche landschaftliche Vorliebe hegt. Die Erinnerung an 66
steigert überhaupt noch sehr die Erwartungen; es gab ihrer, die meinten,
eine Kanone sei doch nur wenig für so viel gutes Blut. Und so verlangte
man gewissermaßen am Freitag Abend eine neue Siegesnachricht; wiederum
versammelten sich Massen vor dem Palais, singend und plaudernd; die Lin¬
den waren wieder gedrängt voll, niemand wollte sich den ersten Moment
der Freude entgehen lassen.

Aber es kam nichts und so mußte man sich begnügen, an der ersten fröh¬
lichen Frucht zu zehren, den Weißenburger Erfolg näher zu überdenken. Da
konnte man denn wahrnehmen, daß es zweierlei war, was unsere Berliner
besonders befriedigte. Einmal die ruhmreiche Theilnahme der Bayern. Ich
wünschte, sie hätten es hören können, sie, die uns so oft verkannt, wie wir
sie haben leben lassen bei ihrem Biere, das uns längst für sie erobert hat,
wie man die Schnelligkeit ihrer Mobilmachung rühmte, wie man sich freute,
daß wir nun zusammengestanden haben in Gefahr und Sieg, der eine zur
Ehre des andern! Es ist ein Kranz, den wir nun tragen; der zerrisse den
eigenen Schmuck, der sich je wieder vom andern trennen wollte; wer wird
es wagen, dereinst beim Friedensmahle das Tafeltuch zwischen so guten
Kameraden entzwei zu schneiden? Daß sie ihr Theil an Gefangenen über¬
wiesen erhielten, verlangte jeder im ersten Augenblicke; ja wer hätte es von
unserer verschrienen Annex'onslust glauben sollen, daß man hier allenthalben
sagte: wir selber brauchen keine Eroberungen, aber was da erworben werden
kann, möge Süddeutschland zu Theil werden, wenn es kein Süddeutschland
für sich und kein Norddeutschland mehr geben wird. --

Das andere, was hier lachende Herzen machte, war die Meldung, daß
Turcos gefangen seien. Man hat mit ihrem lächerlichen Ruhme die Welt
erfüllt, das fordert nun einmal die Schadenfreude heraus. Die Menschen
müßten nicht Menschen sein, wenn man hier dem Extrazuge der liebenswür-


erste erhebende Nachricht überbringen. Ein Unteroffizier trug sie an einer
Ecke in einem Menschenknäuel vor. „Ja der Kronprinz, der Kronprinz!"
rief ein Lehrling aus, „der wird's ihnen zeigen." Wie gut doch, daß unsere
Prinzen an der Spitze kämpfen; man hegt die außerpersönlichste Zuversicht
zu ihrer Tapferkeit wie zu ihrem Glücke. „Na, einen Sieg hätten wir nu,"
sagte mir Tags darauf ein Droschkenkutscher, „nu fehlt bloß noch Friedrich
Karl, der läßt sich auch nicht schlagen; wenn's irgend zu vermeiden ist, läßt
sich der nicht schlagen!"

Es war zu vermeiden, er hat sich nicht schlagen lassen, aber daß von
ihm so gar noch nichts bekanntward, hat doch manchen braven Berliner ge¬
schmerzt. Von Schleswig und Böhmen her ist sein Name ganz besonders
mit den tapferen Regimentern des dritten Corps verwachsen, für die man
hier eine verzeihliche landschaftliche Vorliebe hegt. Die Erinnerung an 66
steigert überhaupt noch sehr die Erwartungen; es gab ihrer, die meinten,
eine Kanone sei doch nur wenig für so viel gutes Blut. Und so verlangte
man gewissermaßen am Freitag Abend eine neue Siegesnachricht; wiederum
versammelten sich Massen vor dem Palais, singend und plaudernd; die Lin¬
den waren wieder gedrängt voll, niemand wollte sich den ersten Moment
der Freude entgehen lassen.

Aber es kam nichts und so mußte man sich begnügen, an der ersten fröh¬
lichen Frucht zu zehren, den Weißenburger Erfolg näher zu überdenken. Da
konnte man denn wahrnehmen, daß es zweierlei war, was unsere Berliner
besonders befriedigte. Einmal die ruhmreiche Theilnahme der Bayern. Ich
wünschte, sie hätten es hören können, sie, die uns so oft verkannt, wie wir
sie haben leben lassen bei ihrem Biere, das uns längst für sie erobert hat,
wie man die Schnelligkeit ihrer Mobilmachung rühmte, wie man sich freute,
daß wir nun zusammengestanden haben in Gefahr und Sieg, der eine zur
Ehre des andern! Es ist ein Kranz, den wir nun tragen; der zerrisse den
eigenen Schmuck, der sich je wieder vom andern trennen wollte; wer wird
es wagen, dereinst beim Friedensmahle das Tafeltuch zwischen so guten
Kameraden entzwei zu schneiden? Daß sie ihr Theil an Gefangenen über¬
wiesen erhielten, verlangte jeder im ersten Augenblicke; ja wer hätte es von
unserer verschrienen Annex'onslust glauben sollen, daß man hier allenthalben
sagte: wir selber brauchen keine Eroberungen, aber was da erworben werden
kann, möge Süddeutschland zu Theil werden, wenn es kein Süddeutschland
für sich und kein Norddeutschland mehr geben wird. —

Das andere, was hier lachende Herzen machte, war die Meldung, daß
Turcos gefangen seien. Man hat mit ihrem lächerlichen Ruhme die Welt
erfüllt, das fordert nun einmal die Schadenfreude heraus. Die Menschen
müßten nicht Menschen sein, wenn man hier dem Extrazuge der liebenswür-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0294" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124444"/>
            <p xml:id="ID_849" prev="#ID_848"> erste erhebende Nachricht überbringen. Ein Unteroffizier trug sie an einer<lb/>
Ecke in einem Menschenknäuel vor. &#x201E;Ja der Kronprinz, der Kronprinz!"<lb/>
rief ein Lehrling aus, &#x201E;der wird's ihnen zeigen." Wie gut doch, daß unsere<lb/>
Prinzen an der Spitze kämpfen; man hegt die außerpersönlichste Zuversicht<lb/>
zu ihrer Tapferkeit wie zu ihrem Glücke. &#x201E;Na, einen Sieg hätten wir nu,"<lb/>
sagte mir Tags darauf ein Droschkenkutscher, &#x201E;nu fehlt bloß noch Friedrich<lb/>
Karl, der läßt sich auch nicht schlagen; wenn's irgend zu vermeiden ist, läßt<lb/>
sich der nicht schlagen!"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_850"> Es war zu vermeiden, er hat sich nicht schlagen lassen, aber daß von<lb/>
ihm so gar noch nichts bekanntward, hat doch manchen braven Berliner ge¬<lb/>
schmerzt. Von Schleswig und Böhmen her ist sein Name ganz besonders<lb/>
mit den tapferen Regimentern des dritten Corps verwachsen, für die man<lb/>
hier eine verzeihliche landschaftliche Vorliebe hegt. Die Erinnerung an 66<lb/>
steigert überhaupt noch sehr die Erwartungen; es gab ihrer, die meinten,<lb/>
eine Kanone sei doch nur wenig für so viel gutes Blut. Und so verlangte<lb/>
man gewissermaßen am Freitag Abend eine neue Siegesnachricht; wiederum<lb/>
versammelten sich Massen vor dem Palais, singend und plaudernd; die Lin¬<lb/>
den waren wieder gedrängt voll, niemand wollte sich den ersten Moment<lb/>
der Freude entgehen lassen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_851"> Aber es kam nichts und so mußte man sich begnügen, an der ersten fröh¬<lb/>
lichen Frucht zu zehren, den Weißenburger Erfolg näher zu überdenken. Da<lb/>
konnte man denn wahrnehmen, daß es zweierlei war, was unsere Berliner<lb/>
besonders befriedigte. Einmal die ruhmreiche Theilnahme der Bayern. Ich<lb/>
wünschte, sie hätten es hören können, sie, die uns so oft verkannt, wie wir<lb/>
sie haben leben lassen bei ihrem Biere, das uns längst für sie erobert hat,<lb/>
wie man die Schnelligkeit ihrer Mobilmachung rühmte, wie man sich freute,<lb/>
daß wir nun zusammengestanden haben in Gefahr und Sieg, der eine zur<lb/>
Ehre des andern! Es ist ein Kranz, den wir nun tragen; der zerrisse den<lb/>
eigenen Schmuck, der sich je wieder vom andern trennen wollte; wer wird<lb/>
es wagen, dereinst beim Friedensmahle das Tafeltuch zwischen so guten<lb/>
Kameraden entzwei zu schneiden? Daß sie ihr Theil an Gefangenen über¬<lb/>
wiesen erhielten, verlangte jeder im ersten Augenblicke; ja wer hätte es von<lb/>
unserer verschrienen Annex'onslust glauben sollen, daß man hier allenthalben<lb/>
sagte: wir selber brauchen keine Eroberungen, aber was da erworben werden<lb/>
kann, möge Süddeutschland zu Theil werden, wenn es kein Süddeutschland<lb/>
für sich und kein Norddeutschland mehr geben wird. &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_852" next="#ID_853"> Das andere, was hier lachende Herzen machte, war die Meldung, daß<lb/>
Turcos gefangen seien. Man hat mit ihrem lächerlichen Ruhme die Welt<lb/>
erfüllt, das fordert nun einmal die Schadenfreude heraus. Die Menschen<lb/>
müßten nicht Menschen sein, wenn man hier dem Extrazuge der liebenswür-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0294] erste erhebende Nachricht überbringen. Ein Unteroffizier trug sie an einer Ecke in einem Menschenknäuel vor. „Ja der Kronprinz, der Kronprinz!" rief ein Lehrling aus, „der wird's ihnen zeigen." Wie gut doch, daß unsere Prinzen an der Spitze kämpfen; man hegt die außerpersönlichste Zuversicht zu ihrer Tapferkeit wie zu ihrem Glücke. „Na, einen Sieg hätten wir nu," sagte mir Tags darauf ein Droschkenkutscher, „nu fehlt bloß noch Friedrich Karl, der läßt sich auch nicht schlagen; wenn's irgend zu vermeiden ist, läßt sich der nicht schlagen!" Es war zu vermeiden, er hat sich nicht schlagen lassen, aber daß von ihm so gar noch nichts bekanntward, hat doch manchen braven Berliner ge¬ schmerzt. Von Schleswig und Böhmen her ist sein Name ganz besonders mit den tapferen Regimentern des dritten Corps verwachsen, für die man hier eine verzeihliche landschaftliche Vorliebe hegt. Die Erinnerung an 66 steigert überhaupt noch sehr die Erwartungen; es gab ihrer, die meinten, eine Kanone sei doch nur wenig für so viel gutes Blut. Und so verlangte man gewissermaßen am Freitag Abend eine neue Siegesnachricht; wiederum versammelten sich Massen vor dem Palais, singend und plaudernd; die Lin¬ den waren wieder gedrängt voll, niemand wollte sich den ersten Moment der Freude entgehen lassen. Aber es kam nichts und so mußte man sich begnügen, an der ersten fröh¬ lichen Frucht zu zehren, den Weißenburger Erfolg näher zu überdenken. Da konnte man denn wahrnehmen, daß es zweierlei war, was unsere Berliner besonders befriedigte. Einmal die ruhmreiche Theilnahme der Bayern. Ich wünschte, sie hätten es hören können, sie, die uns so oft verkannt, wie wir sie haben leben lassen bei ihrem Biere, das uns längst für sie erobert hat, wie man die Schnelligkeit ihrer Mobilmachung rühmte, wie man sich freute, daß wir nun zusammengestanden haben in Gefahr und Sieg, der eine zur Ehre des andern! Es ist ein Kranz, den wir nun tragen; der zerrisse den eigenen Schmuck, der sich je wieder vom andern trennen wollte; wer wird es wagen, dereinst beim Friedensmahle das Tafeltuch zwischen so guten Kameraden entzwei zu schneiden? Daß sie ihr Theil an Gefangenen über¬ wiesen erhielten, verlangte jeder im ersten Augenblicke; ja wer hätte es von unserer verschrienen Annex'onslust glauben sollen, daß man hier allenthalben sagte: wir selber brauchen keine Eroberungen, aber was da erworben werden kann, möge Süddeutschland zu Theil werden, wenn es kein Süddeutschland für sich und kein Norddeutschland mehr geben wird. — Das andere, was hier lachende Herzen machte, war die Meldung, daß Turcos gefangen seien. Man hat mit ihrem lächerlichen Ruhme die Welt erfüllt, das fordert nun einmal die Schadenfreude heraus. Die Menschen müßten nicht Menschen sein, wenn man hier dem Extrazuge der liebenswür-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/294
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/294>, abgerufen am 26.06.2024.