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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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geistiges Interesse ein näheres Anrecht haben, als diese lustigen Gefangenen,
deren wenig ergreifenden Anblick man doch ihrem Todesmuthe einzig verdankt!

Kaum aber war das bunte Wandelbild vorüber, so war es auch ver¬
gessen, vergessen über dem leuchtenden Glänze des Sieges von Wörth. Das
war ein unbeschreibliches Leben am Sonnabend bis tief in die Nacht. Tro¬
phäen, daß selbst der stolzeste Sechsundsechziger genug hatte. Und wieder
der Kronprinz! "Der sammelt sich>einmal Lorbeeren für künstig!" hörte man
sagen; "welch ein Glanz umgibt schon den Aufgang seiner Zeit!" Und wie¬
der auch dieselben Tapferen, welche Märsche müssen sie nach der blutigen
Arbeit von Weißenburg gemacht haben! An den offenen Fenstern des Jockei-
klubbs, im Erdgeschosse eines Hauses unter den Linden, waren zuerst die Ab¬
schriften der Depeschen ausgestellt, da prangten auch die ersten Lichter; diese
Herren zeigen in solchen Zeiten trefflich ihren echten Patriotismus.

Am Tage darauf sodann -- es war der Sonntag -- glaubte man sich
wieder um vier Jahre zurückversetzt; die Siegeskanonen erdröhnten, der Wind
ging durch die Fahnen, als freue er sich des alten prächtigen Spiels. Die
ganze Stadt war auf den Beinen, in bestem Putze und in bester Stimmung.
Es war kein Uebermuth; obwohl nun auch der heiße schwere Sieg von Spicheren
noch hinzukam, so weiß doch der geringste Mann, daß das alles erst die Kämpfe
des Anmarsches sind; man vergleicht sie mit Podol und Gitschin, mit Nachod und
Skalitz; Königgrätz mit all seiner harten Noth soll erst noch kommen. Aber
sogleich ersah man auch die gewaltige Wirkung dieser Vorspiele auf Paris
und Frankreich, die denn auch nicht ausgeblieben ist. "Was kann da weiter
sein", sagt der echte Berliner; "ihr Bester" (sie meinen Mac Mahon) ist vom
Kronprinzen geschlagen." Und doppelt und dreifach ist man nun auf unsere
Armee des Centrums gespannt, von der erst zwei Divisionen in das Gefecht
des rechten Flügels freiwillig eingegriffen haben. Man sieht ernst, aber nicht
ängstlich den Dingen an der Mosel entgegen.

Für die Neutralen und ihre verborgenen Gelüste, meint man, wird es
der Lehre schon genug sein. England, das sich schon an die Brust geschlagen,
wird uns bald zujauchzen.

Wir aber haben jetzt zu helfen, zu lindern und zu trösten. Nahrung,
Verband und Pflege, ich hoffe, es soll an keinem fehlen. Ich schreibe Ihnen,
umwölkt vom Feldkaffeegeruche; ein Kaufmann der Nachbarschaft brennt täg¬
lich allein seine 400 Centner, die sofort versandt werden. Aus dem Central-
depot des Frauenvereins war gestern augenblicklich keine Arbeit zu bekommen,
alle Leinwand vergriffen, das meiste schön abgegangen, nur wenig noch in
den fleißigen Händen unserer Frauen. Wo alle angreifen, gehl's gut von
a,/D. Statten.




Verantwortlicher Redacteur: Gustav Freytag.
Verlag von F. L. Herbig. -- Druck von Hiilhcl Legler in Leipzig.

geistiges Interesse ein näheres Anrecht haben, als diese lustigen Gefangenen,
deren wenig ergreifenden Anblick man doch ihrem Todesmuthe einzig verdankt!

Kaum aber war das bunte Wandelbild vorüber, so war es auch ver¬
gessen, vergessen über dem leuchtenden Glänze des Sieges von Wörth. Das
war ein unbeschreibliches Leben am Sonnabend bis tief in die Nacht. Tro¬
phäen, daß selbst der stolzeste Sechsundsechziger genug hatte. Und wieder
der Kronprinz! „Der sammelt sich>einmal Lorbeeren für künstig!" hörte man
sagen; „welch ein Glanz umgibt schon den Aufgang seiner Zeit!" Und wie¬
der auch dieselben Tapferen, welche Märsche müssen sie nach der blutigen
Arbeit von Weißenburg gemacht haben! An den offenen Fenstern des Jockei-
klubbs, im Erdgeschosse eines Hauses unter den Linden, waren zuerst die Ab¬
schriften der Depeschen ausgestellt, da prangten auch die ersten Lichter; diese
Herren zeigen in solchen Zeiten trefflich ihren echten Patriotismus.

Am Tage darauf sodann — es war der Sonntag — glaubte man sich
wieder um vier Jahre zurückversetzt; die Siegeskanonen erdröhnten, der Wind
ging durch die Fahnen, als freue er sich des alten prächtigen Spiels. Die
ganze Stadt war auf den Beinen, in bestem Putze und in bester Stimmung.
Es war kein Uebermuth; obwohl nun auch der heiße schwere Sieg von Spicheren
noch hinzukam, so weiß doch der geringste Mann, daß das alles erst die Kämpfe
des Anmarsches sind; man vergleicht sie mit Podol und Gitschin, mit Nachod und
Skalitz; Königgrätz mit all seiner harten Noth soll erst noch kommen. Aber
sogleich ersah man auch die gewaltige Wirkung dieser Vorspiele auf Paris
und Frankreich, die denn auch nicht ausgeblieben ist. „Was kann da weiter
sein", sagt der echte Berliner; „ihr Bester" (sie meinen Mac Mahon) ist vom
Kronprinzen geschlagen." Und doppelt und dreifach ist man nun auf unsere
Armee des Centrums gespannt, von der erst zwei Divisionen in das Gefecht
des rechten Flügels freiwillig eingegriffen haben. Man sieht ernst, aber nicht
ängstlich den Dingen an der Mosel entgegen.

Für die Neutralen und ihre verborgenen Gelüste, meint man, wird es
der Lehre schon genug sein. England, das sich schon an die Brust geschlagen,
wird uns bald zujauchzen.

Wir aber haben jetzt zu helfen, zu lindern und zu trösten. Nahrung,
Verband und Pflege, ich hoffe, es soll an keinem fehlen. Ich schreibe Ihnen,
umwölkt vom Feldkaffeegeruche; ein Kaufmann der Nachbarschaft brennt täg¬
lich allein seine 400 Centner, die sofort versandt werden. Aus dem Central-
depot des Frauenvereins war gestern augenblicklich keine Arbeit zu bekommen,
alle Leinwand vergriffen, das meiste schön abgegangen, nur wenig noch in
den fleißigen Händen unserer Frauen. Wo alle angreifen, gehl's gut von
a,/D. Statten.




Verantwortlicher Redacteur: Gustav Freytag.
Verlag von F. L. Herbig. — Druck von Hiilhcl Legler in Leipzig.
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[0296] geistiges Interesse ein näheres Anrecht haben, als diese lustigen Gefangenen, deren wenig ergreifenden Anblick man doch ihrem Todesmuthe einzig verdankt! Kaum aber war das bunte Wandelbild vorüber, so war es auch ver¬ gessen, vergessen über dem leuchtenden Glänze des Sieges von Wörth. Das war ein unbeschreibliches Leben am Sonnabend bis tief in die Nacht. Tro¬ phäen, daß selbst der stolzeste Sechsundsechziger genug hatte. Und wieder der Kronprinz! „Der sammelt sich>einmal Lorbeeren für künstig!" hörte man sagen; „welch ein Glanz umgibt schon den Aufgang seiner Zeit!" Und wie¬ der auch dieselben Tapferen, welche Märsche müssen sie nach der blutigen Arbeit von Weißenburg gemacht haben! An den offenen Fenstern des Jockei- klubbs, im Erdgeschosse eines Hauses unter den Linden, waren zuerst die Ab¬ schriften der Depeschen ausgestellt, da prangten auch die ersten Lichter; diese Herren zeigen in solchen Zeiten trefflich ihren echten Patriotismus. Am Tage darauf sodann — es war der Sonntag — glaubte man sich wieder um vier Jahre zurückversetzt; die Siegeskanonen erdröhnten, der Wind ging durch die Fahnen, als freue er sich des alten prächtigen Spiels. Die ganze Stadt war auf den Beinen, in bestem Putze und in bester Stimmung. Es war kein Uebermuth; obwohl nun auch der heiße schwere Sieg von Spicheren noch hinzukam, so weiß doch der geringste Mann, daß das alles erst die Kämpfe des Anmarsches sind; man vergleicht sie mit Podol und Gitschin, mit Nachod und Skalitz; Königgrätz mit all seiner harten Noth soll erst noch kommen. Aber sogleich ersah man auch die gewaltige Wirkung dieser Vorspiele auf Paris und Frankreich, die denn auch nicht ausgeblieben ist. „Was kann da weiter sein", sagt der echte Berliner; „ihr Bester" (sie meinen Mac Mahon) ist vom Kronprinzen geschlagen." Und doppelt und dreifach ist man nun auf unsere Armee des Centrums gespannt, von der erst zwei Divisionen in das Gefecht des rechten Flügels freiwillig eingegriffen haben. Man sieht ernst, aber nicht ängstlich den Dingen an der Mosel entgegen. Für die Neutralen und ihre verborgenen Gelüste, meint man, wird es der Lehre schon genug sein. England, das sich schon an die Brust geschlagen, wird uns bald zujauchzen. Wir aber haben jetzt zu helfen, zu lindern und zu trösten. Nahrung, Verband und Pflege, ich hoffe, es soll an keinem fehlen. Ich schreibe Ihnen, umwölkt vom Feldkaffeegeruche; ein Kaufmann der Nachbarschaft brennt täg¬ lich allein seine 400 Centner, die sofort versandt werden. Aus dem Central- depot des Frauenvereins war gestern augenblicklich keine Arbeit zu bekommen, alle Leinwand vergriffen, das meiste schön abgegangen, nur wenig noch in den fleißigen Händen unserer Frauen. Wo alle angreifen, gehl's gut von a,/D. Statten. Verantwortlicher Redacteur: Gustav Freytag. Verlag von F. L. Herbig. — Druck von Hiilhcl Legler in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/296>, abgerufen am 26.06.2024.