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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Muth ins Herz zu sprechen; wenn aber die Erfüllung, "des größten Vaters
schönste Tochter/' zu uns herniedersteigt, wie klein, wie arm erscheint da
nicht des Wortes Kraft neben dem, was Thaten donnernd geredet! Und
dennoch! mag uns auch zum Lobe die schwache Stimme versagen über der
Gewalt der Empfindung, uns freuen und danken dürfen, ja sollen auch wir,
denn eben darum ist so groß, was geschehen ist, weil es geschah für ein
freudig dankbares Volk, das seiner Pflicht gegen die Brüder, die für uns
so herrlich ihre Pflicht gethan, nimmer vergessen kann. --

Welche Woche liegt hinter uns, seit ich Ihnen zuletzt geschrieben! Der
Anfang nahm sich noch gar trübe aus. Es war Mittwoch, den 3., an un¬
serem heißesten Tage, als eine der hier einquartierten pommerischen Divisionen
einen vielstündigen Uebungsmarsch auf unseren staubigen Chausse'en machte,
in brennender Sonne, leider natürlich mit vollem Gepäck. Der Marsch war
vielleicht wirklich etwas übers Maß getrieben; die Offiziere der Stettiner und
Colberger Regimenter waren selbst erstaunt über die Menge der Erschöpften,
die zuletzt reihenweis in den trockenen Gräben sich niederstreckten; leider Hot
es auch an Todten nicht gefehlt. Das Publicum unserer Königsvorstädte,
wo diese Truppen liegen, machte seinem Unwillen unverhohlen Luft. Und
dennoch sind solche Uebungen nicht zu vermeiden. Der Stamm der Bataillone,
die in activen Dienste befindlichen Leute haben meist gut ausgehalten; be¬
sonders tüchtig zeigen sich die Corporalschaftsführer, für die, wenn die anderen
zur Ruhe kommen, noch mancherlei Schreiberei und andere Mühseligkeit be¬
ginnt. Ich sah ihre Bücher, in die sie nicht allein das genaue Nationale
ihrer Leute eintragen müssen, sondern auch das sogenannte "Gewehrnationale",
eine bis ins kleinste ausführliche Beschreibung des Zustandes, in dem sich
die den Soldaten anvertrauten Gewehre im Augenblick der Uebergabe befunden.
Diese Unteroffiziere waren guter Laune, obwohl sie noch die lästige Aufgabe
bekamen, die zurückgebliebenen Maroden später hereinzuschaffen. Uebrigens
zeigte sich, daß außer wenigen der Anstrengung allzulange entwöhnten Reser¬
visten die Mehrzahl der Ermatteten selber die Schuld trug; sie hatten sich's
am Abend zuvor in den Berliner Quartieren allzu wohl sein lassen, wie sich
nachher beim Appell herausstellte.

Die Einquartierung in unserer Großstadt hat für die Truppen in doppel¬
ter Hinsicht ihre Schattenseiten; einmal eben wegen der Schwierigkeit der
Controle; dann aber sind nicht einmal alle Quartiere besonders erfreulich;
denn viele der freiwilligen Anerbietungen gehen von armen Leuten aus, die
so ihre für den Moment unbenützten Geschäfts- oder Werkstatträume doch
einigermaßen produetiv verwerthen wollen. Es war deshalb nicht zu be¬
klagen, daß im Laufe der Woche auch den guten Pommern die längst er¬
sehnte Gelegenheit ward, nach dem Westen abzugehen, wohin ihnen das erste


Muth ins Herz zu sprechen; wenn aber die Erfüllung, „des größten Vaters
schönste Tochter/' zu uns herniedersteigt, wie klein, wie arm erscheint da
nicht des Wortes Kraft neben dem, was Thaten donnernd geredet! Und
dennoch! mag uns auch zum Lobe die schwache Stimme versagen über der
Gewalt der Empfindung, uns freuen und danken dürfen, ja sollen auch wir,
denn eben darum ist so groß, was geschehen ist, weil es geschah für ein
freudig dankbares Volk, das seiner Pflicht gegen die Brüder, die für uns
so herrlich ihre Pflicht gethan, nimmer vergessen kann. —

Welche Woche liegt hinter uns, seit ich Ihnen zuletzt geschrieben! Der
Anfang nahm sich noch gar trübe aus. Es war Mittwoch, den 3., an un¬
serem heißesten Tage, als eine der hier einquartierten pommerischen Divisionen
einen vielstündigen Uebungsmarsch auf unseren staubigen Chausse'en machte,
in brennender Sonne, leider natürlich mit vollem Gepäck. Der Marsch war
vielleicht wirklich etwas übers Maß getrieben; die Offiziere der Stettiner und
Colberger Regimenter waren selbst erstaunt über die Menge der Erschöpften,
die zuletzt reihenweis in den trockenen Gräben sich niederstreckten; leider Hot
es auch an Todten nicht gefehlt. Das Publicum unserer Königsvorstädte,
wo diese Truppen liegen, machte seinem Unwillen unverhohlen Luft. Und
dennoch sind solche Uebungen nicht zu vermeiden. Der Stamm der Bataillone,
die in activen Dienste befindlichen Leute haben meist gut ausgehalten; be¬
sonders tüchtig zeigen sich die Corporalschaftsführer, für die, wenn die anderen
zur Ruhe kommen, noch mancherlei Schreiberei und andere Mühseligkeit be¬
ginnt. Ich sah ihre Bücher, in die sie nicht allein das genaue Nationale
ihrer Leute eintragen müssen, sondern auch das sogenannte „Gewehrnationale",
eine bis ins kleinste ausführliche Beschreibung des Zustandes, in dem sich
die den Soldaten anvertrauten Gewehre im Augenblick der Uebergabe befunden.
Diese Unteroffiziere waren guter Laune, obwohl sie noch die lästige Aufgabe
bekamen, die zurückgebliebenen Maroden später hereinzuschaffen. Uebrigens
zeigte sich, daß außer wenigen der Anstrengung allzulange entwöhnten Reser¬
visten die Mehrzahl der Ermatteten selber die Schuld trug; sie hatten sich's
am Abend zuvor in den Berliner Quartieren allzu wohl sein lassen, wie sich
nachher beim Appell herausstellte.

Die Einquartierung in unserer Großstadt hat für die Truppen in doppel¬
ter Hinsicht ihre Schattenseiten; einmal eben wegen der Schwierigkeit der
Controle; dann aber sind nicht einmal alle Quartiere besonders erfreulich;
denn viele der freiwilligen Anerbietungen gehen von armen Leuten aus, die
so ihre für den Moment unbenützten Geschäfts- oder Werkstatträume doch
einigermaßen produetiv verwerthen wollen. Es war deshalb nicht zu be¬
klagen, daß im Laufe der Woche auch den guten Pommern die längst er¬
sehnte Gelegenheit ward, nach dem Westen abzugehen, wohin ihnen das erste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/292>, abgerufen am 26.06.2024.